„Vielen Dank noch mal, dass ihr mir so spontan geholfen habt. Und liebe Grüße an die Chefin.“ Sabrina war nirgends zu sehen. Bei nächster Gelegenheit sollte sie eine Flasche Champagner von mir für ihre Unterstützung heute Morgen bekommen.
Eine ganze Kiste davon stand noch in meinem Keller. Auch so eine Hinterlassenschaft meines früheren Vorgesetzten, als ich noch seine gut funktionierende Geliebte war, und er gelegentlich, wenn seine Olle mal wieder auf Golf- oder Schönheitsreise war, bei mir vorbeschneite. Champagner musste immer im Haus sein, wenn sich der gnädige Herr in meinen Laken räkelte. Die Nacht verbrachte er dann nur in meinem Bett, weil er meist nach einem, ausschließlich zu seinen Gunsten verlaufenden, Quickie und ein paar Gläsern zu viel noch auf mir einschlief und fahruntüchtig war. Ich sollte nicht mehr darüber nachdenken – es war vorbei und wühlte mich nur auf. Am besten würde ich Sabrina die ganze Kiste schenken und den Blick nach vorne richten, bevor die, mit ihm immer wieder aufkommenden negativen Gefühle, die Gegenwart überlagerten.
Als äußeres Zeichen meiner Abneigung schüttelte ich meinen Körper, warf meinen Kopf entschlossen in den Nacken und ging voller Selbstbewusstsein zurück in mein Büro. Die letzten Schritte musste ich schon im Spurt nehmen, um noch rechtzeitig das schier endlos klingelnde Telefon zu erreichen. Es war Andreas, der sich meldete und mich sofort anbrüllte, weil ich nicht unverzüglich ans Telefon gegangen war. Selbst als ich den Hörer eine Armlänge von meinem Ohr weghielt, vernahm ich seine Ansprache. Echt merkwürdig, wie die Stimmung im Minutentakt kippen konnte und sich genau ins Gegenteil wandelte. Vor einer viertel Stunde noch erfreute ich mich am schönen Augenblick eines wirklich gelungenen Vormittages und stand jetzt im Auge eines Sturmes im Wasserglas. Ich ließ mich von der schlechten Laune nicht anstecken und hörte mir ohne etwas zu sagen an, was Andreas mir so lautstark mitzuteilen hatte. Das machte ihn allerdings noch wütender.
„Warum gibst Du mir verdammt noch mal keine Antwort?“ Er wollte offensichtlich immer noch wissen, warum ich nicht ans Telefon gegangen war. Aber was sollte ich ihm darauf antworten. Ich blieb sachlich.
„Ich war nicht hier.“
Seine Reaktion darauf hätte ich mir denken können. Trotzdem bebte mein Trommelfell, als das nächste Gebrüll ins Innere meines Ohres drang. Das musste ich mir nun wirklich nicht gefallen lassen. Ich legte auf und nahm mögliche Konsequenzen in Kauf. Als ich mich mit meinem Handeln nach einer halben Stunde immer noch nicht unwohl fühlte, war mir klar, dass ich das Richtige getan hatte. Nach ein paar Recherchearbeiten am Nachmittag nahm ich Kontakt mit Frank auf und informierte ihn vorsichtshalber, dass ich Feierabend machen würde. Nicht, dass der auch noch ausrastete, falls er mich später noch brauchte. Er war lieb, wie immer und erzählte vom Krankenhausbesuch, der ohne neue Erkenntnisse geblieben war. „Ist gut, Sara. Mach Dir einen schönen Abend und viel Spaß beim Sport. Wir sehen uns morgen früh.“
SECHZEHN
Auf meiner Fahrt zur Arbeit, am nächsten Morgen, machte ich den üblichen Stopp beim Ortsbäcker „Pepe“ und nahm mir meinen ersten Kaffee im Becher mit. Eigentlich bin ich Langschläferin und deshalb ohne Koffein um diese Uhrzeit nicht lebensfähig. Hoch lebe der Erfinder des „Coffee to go“, dem es wahrscheinlich ähnlich gegangen sein musste, als er das Getränk gangbar machte. Mein Gewissen hatte mich früh aus dem Bett getrieben, weil ich wusste, dass unser gesamtes Team wieder bis spät in die Nacht gearbeitet hatte, während ich den Abend nach einem ausgiebigen Sportprogramm mit den Folgen 1, 2 und 3 einer amerikanischen Serie auf Netflix verbracht hatte. 4 bis 8 verschlief ich komplett, sodass ich ausgeruht um kurz nach 05.30 Uhr erwachte. Auf dem Sofa – vor dem Fernseher.
„Hi Sara, Du bisse aber früh. Isse alles in de Ordnung?“ Der Inhaber und gute Geist der Backstube freute sich immer, als hätten wir uns eine Ewigkeit nicht gesehen und begrüßte mich überschwänglich mit seinem südländischen Dialekt und Küsschen hier und Küsschen da. Dabei war die letzte Begegnung selten mehr als 24 Stunden her. Aber das entsprach seinem Naturell und war sehr wohltuend in der zum Teil sehr ignoranten neuen Welt.
„Ja, alles ok, Pepe. Wie geht’s Dir?“
„Sehe wir uns an Freitag zu Karaoke-Abend in de Ratskeller?“
Die Antwort blieb ich im schuldig. Ich und Karaoke … ich und Ratskeller … ich und Pepe. Das ging alles nicht. Das ging gar nicht. Pepe ist ein toller Mensch und ich freute mich immer, ihn zu sehen. Aber ihm fehlten eine ganze Menge Haare und Zähne. Und das, was oben nicht mehr vorhanden war, hatte er an Bauchumfang zu viel. Durch seine liebe und immer freundliche Art, war er ein absoluter Menschenfänger und mein Herzensmensch. Eine Beziehung mit ihm konnte ich mir allerdings nicht vorstellen, auch wenn er hin und wieder Versuche startete, sich mit mir zu verabreden. So wie heute.
„Da kannste Du mire etwas von der verschwundene Bella erzählen. Der Fitnessstudio, wo sie gearbeitete, ist ganz in die Nähe von hier“, rief er mir hinterher. „Wusste Du?“
Klar wusste ich das, Lohmar ist ein Dorf. Jeder kennt jeden und jeder weiß, was der andere tut. Spätestens bei Pepe erfährt man alles.
Auch diese Frage beantwortete ich ihm nicht. Dienstgeheimnis eben. Ich hatte die Tatsache zwar in der Akte gelesen, verdrängte es aber, um mir nicht unnötig vor Augen zu führen, wie nah das Verbrechen war. Dass wir sie vermutlich gefunden hatten und sie tot war, durfte ich unter gar keinen Umständen durchblicken lassen. Dann wäre meine Karriere bei der Polizei schon zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hatte.
„Ciao Pepe. Bis morgen.“
Den Kaffee musste ich schlürfen, um mir nicht den Mund zu verbrennen. Aus den vielen schmerzlichen morgendlichen Erfahrungen wusste ich nur zu gut, dass er erst in Köln die optimale Trinktemperatur haben würde. Und so landete der Becher noch fast voll auf meinem Schreibtisch.
„Guten Morgen!“, begrüßte mich Frank, der immer der Erste aus unserem Team im Büro war. Dass er so früh hier war, sprach für eine äußerst kurze Nacht.
„Danke, für den Kaffee.“ Ohne aufzublicken nahm er einen großen Schluck. Dass er nicht für ihn sein könnte, zweifelte er keine Sekunde an. Die Welt drehte sich halt um ihn und nicht umgekehrt. Er war unrasiert heute Morgen, trug noch denselben Anzug wie gestern und sah verschlafen aus. Sein Körpergeruch aus Nikotin und Schweiß erfasste den Raum und in einer großen Welle der stinkenden Moleküle auch mich. Puuuuh! Das passte überhaupt nicht zu ihm und war einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass er die komplette Nacht im Dickicht des Verbrechens verbracht hatte.
„Wir waren die ganze Zeit hier und sind das wenige, das wir haben, wieder und wieder durchgegangen“, berichtete er von den vergangenen Stunden. „Andreas war noch einmal am Fundort und hat versucht, etwas zu finden, das wir und die Kollegen übersehen haben könnten.“ Seinen Unmut darüber konnte er kaum zügeln und die Ader auf seiner Stirn drohte vor Zorn zu platzen. „Gefunden hat er natürlich nichts!“
„Kann ich etwas für Dich tun?“, fragte ich.
„Könntest Du gleich den Befund in der Gerichtsmedizin abholen?“ Frank kramte in einem Stapel Unterlagen. „Und prüfe bitte alte Vermisstenfälle hier in der Region und einen möglichen Zusammenhang mit anderen Leichenfunden“, fügte er hinzu.
Der Ernst der Situation war ohne eine Erklärung spürbar und ließ keinen Raum für Höflichkeitsfloskeln oder ein privates Wort. Ich hörte immer wieder und überall, dass sich die Stimmung im Polizeipräsidium seit den Silvestervorfällen in Köln sehr verändert hatte und eine latente Anspannung