Demokratietheorien. Rieke Trimcev. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rieke Trimcev
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783734412417
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deren Mehrheit, was als dasselbe fortan angenommen werden soll, zeige ich so: Dessen Wahrheit wird am sichersten beurteilt, und dessen Nutzen für die Allgemeinheit am sorgfältigsten beachtet, worauf die Gesamtheit der Bürger mit Verstand und innerer Anteilnahme ihre Aufmerksamkeit richtet. Einen Mangel an der Gesetzesvorlage kann nämlich eine größere Zahl eher bemerken als ein Teil von ihr; denn jedes körperhaftes Ganze wenigstens ist größer an Masse und Kraft als jeder Teil von ihm für sich. Ferner wird aus dem ganzen Volk heraus der Nutzen des Gesetzes für die Allgemeinheit schärfer beachtet, weil niemand sich wissentlich schadet. Dort aber kann jeder beliebige überblicken, ob der Gesetzentwurf mehr zum Vorteil eines einzelnen oder gewisser Leute neigt als zu dem der anderen oder der Gemeinschaft, und kann Einspruch erheben. Das wäre nicht möglich, wenn nur einer oder einige wenige, die mehr auf den eigenen Vorteil aus sind als auf den der Allgemeinheit, dieses Gesetz gäben. Diese Meinung stützt auch hinlänglich, was wir über die Notwendigkeit von Gesetzen in I 11 festgestellt haben.

       Marsilius von Padua: Der Verteidiger des Friedens. Auswahl aufgrund der Übersetzung von Walter Kunzmann und der Bearbeitung von Horst Kusch mit einem Nachwort von Heinz Rausch. © Stuttgart: Reclam 1971, I. Teil, Kapitel XII, §§ 3-6, S. 52-56

      Interpretation

      Ein neues Selbstverständnis brach sich Bahn, ein weltimmanentes Denken rivalisierte mit dem Gedanken der Transzendenz und sollte ihn schließlich verdrängen. Der Aristotelismus schien ohne den Glauben an den einen und einzigen Gott auszukommen und setzte eine neue Gelassenheit an die Stelle der christlichen Furcht. Der Mensch galt nicht mehr unbesehen als sündhaft, sondern als ein mit Verstand und natürlichen Bedürfnissen ausgestattetes Lebewesen, als animal rationale et sociale. Die natürliche Ordnung erlangte Eigenbedeutung innerhalb der Gnadenordnung, die irdische Herrschaft wurde künftig nicht nur durch Bezug auf Gott, sondern auch auf die Beherrschten legitimiert. Die menschlichen Gemeinschaften – von der Familie über die Nachbarschaft, das Dorf und die Stadt bis hin zur Provinz und zum König- oder Kaiserreich – wurden nun – neben der Kirche – als „natürliche“ Einheiten eigenen Rechts konzipiert. Kein Wunder, dass sich die Theologen vehement gegen den Einbruch der Philosophie in ihr eigenes Territorium und gegen die Brechung ihres Deutungsmonopols wehrten. Doch blieb ihr Abwehrkampf letztlich vergebens. Verketzerungen und Verbote nützten wenig. Das politische Denken emanzipierte sich nach und nach aus den Fesseln der christlichen Theologie.