Schweigen über Köln. Maren Friedlaender. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Maren Friedlaender
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839269862
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hell war Motsi Mabuse? Miss Tagesschau frisch verliebt und irgendwas mit Dieter Bohlen, lebte der überhaupt noch? Bild textete: »Machte Hollywood-Star extra ins Bett? Sie sagt, es war der Hund.« Was für eine Schlagzeile! Mit was für Zeug dröhnten sich die Leute bloß zu? Irgendetwas war in den letzten Jahren geschehen. Das Niveau der Berichterstattung sackte auf der nach unten offenen Skala stetig ab. Danach Kölner Stadtanzeiger, mal gucken, was so los war in ihrer Jeckenstadt. Das Abonnement hatte sie vor Jahren gekündigt. Sie hatte von gutem Journalismus eine andere Vorstellung. Monika Münzer selbst recherchierte akribisch, sauber. Ohne abgesicherte Fakten gab es keine Veröffentlichung. Beim WDR hatte sie gekündigt, mit Verzicht auf eine beamtenartige Lebensstellung mit Pensionsansprüchen. Sie konnte diesen Gesinnungs- und Haltungsjournalismus nicht mehr guten Gewissens vertreten. Besser gesagt – er kotzte sie an. Zuletzt waren ihre Beiträge immer häufiger zensiert oder nicht gesendet worden mit meist fadenscheinigen Argumenten. Keine Karriere ohne eine gewisse Haltung zu Themen. Nun arbeitete sie als Freie. Die Aufgabe eines Journalisten – so wie sie es sah – bestand darin, neugierig zu sein, die Fenster nach allen Seiten zu öffnen, Informationen zu beschaffen, die Leser mit Fakten zu versorgen, ohne eine vorgefasste eigene Meinung zu verwursten. Wie eine Krake hatte der Gesinnungsjournalismus sich im Lande ausgebreitet. Es gab eine Art stillen Konsens zu gewissen Themen, eine Übereinstimmung, was gerade noch politisch korrekt war, und einen Shitstorm, sobald man bestimmte Themen hinterfragte. Migration, Umwelt, Gendergedöns, Ehe für alle, künstliche Befruchtung für alle, Organe für alle, Me-too-Hype. Als aber der Redaktionsleiter beim WDR ihr unter den Rock griff, verlief ihre Beschwerde im Sand. Ein verdienter SPD-Genosse, der Herr Redakteur, mit guten Kontakten in die Parteizentrale. So einer bekam keine Abmahnung.

      Als Buße hatte er einen Sonderbericht in Sachen Frauenbewegung ins Programm genommen. »Frauenbewegungen – haha«, witzelten die männlichen Kollegen. »Frauenbewegungen – dagegen haben wir doch nichts.« Blinzeln mit schmierigem Grinsen gewürzt. Idioten.

      Egal. Mit solchem Kinderkram verschwendete sie ihre Zeit nicht. Sie kam zurecht mit den Chauvis. Weniger mit der Meinungsdiktatur, der sich die meisten ihrer Journalistenkollegen unterwarfen, um nicht in die rechte Schmuddelecke verbannt zu werden. Münzer hielt die Selbstzensur für gefährlich. Wo endete das? Im Totalitarismus.

      Sie hatte versucht, den Dauererregungszustand wegzumeditieren, aber der Ärger kam beim Nachrichten lesen immer wieder mal hoch. Im Kölner Stadtanzeiger stieß sie auf den Bericht über einen Todesfall in der Nacht vom Freitag auf Samstag, ein unbekannter Toter. Täter ebenfalls unbekannt – flüchtig. Der Fundort irritierte sie. Friedrich-Schmidt-Straße, Ecke Vincenz-Statz-Straße. Monika Münzer wusste alles, was am 5. September 1977 dort passiert war, jedes zugängliche Detail, obwohl sie zu dem Zeitpunkt ein Kind war, als Hanns Martin Schleyer an genau dieser Stelle von Mitgliedern der RAF entführt wurde.

      Sie blickte auf die Pinnwand in ihrem Arbeitszimmer. Dort hingen die Fahndungsplakate: RAF-Täter der ersten Generation, RAF-Täter der zweiten Generation. Und teils gesuchte RAF-Mitglieder der dritten Generation, einige nicht identifiziert. Ein Mitglied der Gruppe hatte Monika Münzer aufgespürt, in akribischer Kleinarbeit, jahrelangen Recherchen und mit Unterstützung eines Spezialisten.

      Wer war der Tote am Stadtwald? Sie las. Keine Angaben über die Identität des Ermordeten. Münzer griff zum Telefonhörer und wählte die Nummer von Müller. Es meldete sich der Anrufbeantworter: Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht. Monika Münzer überlegte einen Moment, ob sie auflegen sollte, später wieder versuchen. Sie entschied sich für eine kurze Bitte um Rückruf. Für ihr robustes Aussehen hatte Monika Münzer eine überraschend zarte Stimme, fast einschmeichelnd, einnehmend und eindringlich in ihrer sanften Art, mit der sie Menschen zu den erstaunlichsten Dingen überreden konnte.

      Monika Münzer griff in ihr schulterlanges blondes Haar, drehte die widerspenstigen Locken zu einem Zopf zusammen und steckte ihn hoch, eine Geste, die sie immer dann gedankenverloren wiederholte, wenn sie nervös war. Sie widerstand dem Impuls, ins Auto zu steigen, um zur Friedrich-Schmidt-Straße zu fahren, eine Strecke von 15 Minuten. No big deal, dachte sie, kurz mal schauen. Stattdessen hockte sie sich auf ihr Sofa, zog die Beine ganz nah an ihren Körper heran und wickelte sich den flauschigen Bademantel eng um den frierenden Leib, sodass sie zu einer kleinen Kugel zusammenschrumpfte. Wie damals.

      Zwei Stunden später rief Müller zurück.

      »Ich will nur wissen, ob du etwas damit zu tun hast?«, fragte Monika Münzer.

      »Er lebte, als ich ihn verließ«, sagte Müller wahrheitsgemäß.

      Mehr wollte sie nicht wissen.

      Ein Kollege

      Theresa Rosenthal und ihr Team steckten weiterhin fest im Fall des unbekannten Toten. Wie hieß es so schön: Recherchen in alle Richtungen. Endeten alle in Sackgassen. Sie überlegte, ihren Aachener Kollegen Michael Fett anzurufen. Michel – französisch ausgesprochen – nannte sie ihn seit einer gemeinsamen Untersuchung in Lüttich. Es tat gut, mit einem klugen Kollegen zu sprechen. Grund genug gab es, denn das Fahrzeug, in dem das Opfer lag, hatte ein belgisches Kennzeichen. Fett war oft grenzübergreifend tätig, hatte gute Kontakte zu belgischen Kollegen. Warum hatte sie ihn nicht früher angerufen? Theresa seufzte. Keine einfache Geschichte – sie und Fett. Lüttich. War ein paar Monate her. Sie hatten nicht nur ermittelt. Ein schöner Abend. Fett kannte sich aus in Lüttich. Abendessen in einem algerischen Restaurant. Wie hieß es gleich? Chez Rabah? Danach ins »Les Olivettes«, eine Bar chantant. Klavierspiel, alte französische Chansons, die Gäste sangen mit und danach. Hotel. Eine Nacht mit Michel. Peinlich? Nein, es war eine schöne – Theresa stockte. Doch, schöne Nacht, nur. Theresa lebte in dritter Ehe. Mit Georg. Drei Ehen sind genug, dachte sie, und Fett ist nicht der Mann für Spielchen. Sie hatte plötzlich große Lust, seine Stimme zu hören, seine klugen Gedanken, seine Sicht der Dinge. Die ganz eigene Sicht eines Eigenbrötlers. Ein berufliches Telefonat, redete sie sich ein und griff zum Hörer.

      »Fett.«

      Als seine Stimme durch den Apparat drang, war Auflegen der erste Impuls. Sie antwortete nicht sofort, wartete einen Moment zu lange, bis er erneut seinen Namen nannte und sie in gezwungen lockerem Ton sagte:

      »Hallo, ich hörte nicht, wollte gerade auflegen. Hier ist Theresa.«

      Sie war froh, dass ihr Kollege Marco Bär sich nicht in der Nähe aufhielt. Sein unverschämtes Grinsen hätte sie nicht ertragen. Bär war in mancher Hinsicht ein Kind, hatte aber ein feines Gespür für Stimmungen. Ihren gekünstelt heiteren Tonfall im Gespräch mit Fett hätte der Junge mit Spott quittiert.

      »Theresa, welche Theresa?«, hörte sie Fett.

      »Rosenthal«, antwortete sie verwirrt und wusste gleichzeitig, dass er sie auf den Arm nahm. Kleine Rache.

      »Ah, Theresa, die schöne Vergessliche.«

      »Michel«, stotterte sie. »Ich rufe dich an, also wegen …«

      »Du willst sicher hören, wie es mir geht«, half Fett ihr.

      »Ja, selbstverständlich, das vor allem.«

      »Mal abgesehen davon, dass ich seit Monaten auf diese Nachfrage warte, doch ja, davon abgesehen geht es mir gut.« Fett lachte, was der Anklage die Härte nahm.

      »Michel, du weißt …«

      »Schön, wie du das sagst, Michel, habe ich vermisst. Und du?«

      »Das Übliche. Es wird in Köln weiterhin gemordet. Und bei euch?« Sie war froh, dass sie sich ins Berufliche retten konnte.

      »Ich hatte gerade einen Toten an einer Brücke hängen«, berichtete Fett. »Große Nummer bei uns in Aachen. Baulöwe.«

      »Victor Neels oder so, nicht wahr?«

      »Die Brücke, an der er hing, hieß Victor-Neels-Brücke«, erklärte Fett. »Neels war zehn Jahre lang Kommandant der belgischen Streitkräfte im Camp Vogelsang und bemühte sich in der Zeit um eine Annäherung an die lokale Bevölkerung. Ihm zu Ehren wurde die Brücke auf den Namen Victor Neels getauft. Hast du Lust auf eine Tatortbesichtigung? Ein schöner Ausflug in die Eifel. Wanderung um den