Das Mündel des Apothekers. Stefan Thomma. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Thomma
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические детективы
Год издания: 0
isbn: 9783839268926
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Herkunft trieb Benedikt zurück auf die Straße.

      »So g’sell so«, ertönten die Rufe der Türmer, die so beweisen sollten, dass alle auf ihren Posten waren. Ziellos marschierte der Apotheker durch die Gassen, konnte aber nichts über die Herkunft des Pferdes herausfinden.

      Als Riesinger den Hafenmarkt erreichte, bemerkte er, dass er nicht allein war. Er drehte sich um, doch es war niemand zu sehen. So ging er weiter, wenn auch etwas schneller. Er hörte sich nähernde Schritte. Er schluckte.

      Sollte ein Büttel ihn ohne Laterne antreffen, würde er die Nacht im Narrenhäuschen verbringen müssen. Auch war um diese Uhrzeit nur noch Gesindel unterwegs.

      Er vernahm ein metallisches Geräusch und spürte die Klinge eines Dolches am Hals. Er wagte sich nicht zu bewegen.

      »W… was wollt Ihr von mir? Mein Geld? Dann nehmt es Euch! Oder ist es wegen des Pferdes? Ihr könnt es gerne wiederhaben. Ich hab es ja nur versorgt und … ah, ah … Was soll das?« Benedikt spürte einen brennenden Schmerz an seiner Kehle. Er wollte um Hilfe rufen. Aber er konnte nur noch ein gurgelndes Geräusch von sich geben.

      Durch ein lautes Kreischen wurde Katharina aus dem Schlaf gerissen. Müde rieb sie sich die Augen.

      »Ist es denn nicht möglich, in dieser Stadt zu schlafen, ohne dass ich vor Sonnenaufgang geweckt werde?«, schimpfte sie und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Es dauerte einen Moment, bis Katharina begriffen hatte, wo sie war.

      Seit einigen Monaten gab es von Wilhelm, ihrem Ehemann, kein Lebenszeichen. Seine Kameraden waren aus den Schlachten längst zu ihren Familien zurückgekehrt. Wegen des schlechten Verhältnisses zu ihrem Schwiegervater hatte sie sich entschieden, zurück zu Elfriede und ihrem Stiefvater zu ziehen. Es kostete den Apotheker einiges an Überredungskunst, Josef Hofmeister davon zu überzeugen, dass Katharina bei ihm besser aufgehoben war. Eine beträchtliche Summe für den Verlust von Katharinas Arbeitskraft ließ den Tuchhändler letztendlich einlenken.

      Nachdem sie nun schon wach war, ging sie in die Küche, um sich eine Tasse von dem bitteren, schwarzen Kaffee aufzubrühen, den ihr Benedikt aus Venedig mitgebracht hatte. Eigentlich mochte sie ihn nicht besonders, aber er weckte ihre Lebensgeister.

      Im Nachthemd tapste Katharina die breite Holztreppe nach unten. In der Küche brannte Licht. Elfriede hatte den Küchenofen bereits angeschürt. Es war zwar schon Mai, doch die Nächte waren immer noch kalt und teilweise war sogar noch Frost an den Fenstern.

      »Guten Morgen, Katharina. Du sollst doch nicht immer barfuß auf dem kalten Steinboden gehen«, murrte Elfriede.

      »Guten Morgen«, erwiderte die Angesprochene kurz und hob eine Augenbraue.

      Heftig klopfte es an die Haustüre. Beide sahen sich fragend an.

      »Wer kommt denn jetzt in aller Herrgottsfrüh?«, wunderte sich Elfriede und schlurfte zum Eingang.

      »Simon? Was treibt dich um diese Uhrzeit hierher?«

      »Benedikt wurde eben ermordet aufgefunden!«

      Entsetzt starrten sie sich an. Elfriede hielt die Hand vor den Mund. Katharina blickte ins Leere.

      »Jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten.«

      »Der kopflose Reiter!« Elfriede vergrub ihr Gesicht in den Handflächen.

      »Der Stadthauptmann sagte, es sei ein Raubmord gewesen. Wohl ein Bettler oder Beutelschneider. Da es aber jeder gewesen sein konnte, wurden die Ermittlungen erst gar nicht aufgenommen. Seine Geldkatze hing gefüllt an seinem Gürtel, sagte die Hebamme Holzinger, die ihn gefunden hatte. Da passt doch etwas nicht!«

      »Das war das Pferd vom kopflosen Reiter, das er eingefangen hatte«, befürchtete die Haushälterin.

      »Ach, Elfriede, das sind doch alles nur Märchen«, rügte Katharina sie.

      »Märchen? Als ich noch ein Kind war«, begann Elfriede zu erzählen, »war ich mit ein paar Freunden auf dem Heimweg. Wir hatten die Gräber für Allerheiligen geschmückt und das Unkraut gezupft. Plötzlich, wie aus dem Nichts, stand uns ein Leichenzug gegenüber. Aber das war kein gewöhnlicher Leichenzug. Keiner der Personen hatte einen Kopf. Wir hatten zuerst gedacht, da erlaubt sich jemand einen Scherz und der Josef hatte sie ausgelacht, ja sogar beschimpft. Einer der Kopflosen hatte ihm eine Maulschelle verpasst. Er hatte den nächsten Morgen nicht erlebt.« Elfriede zitterte. Katharina nahm sie in den Arm. Keiner sagte etwas.

      »Er war wie ein Vater für mich«, unterbrach Katharina die Stille. »Er war zwar streng, aber auch gerecht, und er hatte es mich nie spüren lassen, dass ich nicht seine leibliche Tochter bin.«

      In der Zeit des langen Krieges waren Mord, Plünderungen und Vergewaltigungen an der Tagesordnung gewesen. Doch man hoffte immer, es würde andere treffen. Nun war nach fast einem Jahr nach Ende des Kriegs der Tod doch noch in ihrer Familie angekommen.

      Als Katharina kurze Zeit später die Apotheke verließ, bemerkte sie, dass der Frühling die Stadt wieder zum Leben erweckt hatte. Nach den kalten Wintermonaten trafen sich die Bürger wieder auf dem Markt, nicht nur, um Einkäufe zu erledigen, sondern um mit dem ein oder anderen, den man schon lange nicht mehr gesehen hatte, wieder mal ein Schwätzchen zu halten. Marktfrauen boten ihre kargen Reste der letzten Ernte feil und Gerber legten ihre Felle und Lederstücke zum Verkauf aus.

      Katharina war auf dem Weg zum Rathaus, das auf der anderen Seite des Marktplatzes lag. Durch den heimtückischen Mord an ihrem Stiefvater war sie immer noch nachdenklich und in sich gekehrt. Entgegenkommende musterten die junge Frau mitleidig.

      Sie war zu einer erwachsenen Frau herangewachsen. Mit ihren blondgelockten Haaren wirkte sie wie die Engel auf den Fresken der Kirche und auf ihrem gut gefüllten Mieder blieb so manch ein Männerblick länger haften, als der Anstand es erlaubte. Ihre hochgewachsene Gestalt überragte die meisten Nördlinger.

      Ihr Herz pochte, als sie die Stufen zum Rathaus emporstieg, und nicht nur, weil sie gleich beim Bürgermeister vorsprechen würde, sondern weil sie den Kaffee nicht gewohnt war.

      »Werte Frau Hofmeister, es ist unmöglich für Euch, eine Erbschaft anzutreten«, begann Bürgermeister Schillinger. »Kennt Ihr die Gesetzeslage denn nicht?«

      »Ich verstehe nicht ganz, Benedikt Riesinger hat mich doch adoptiert und somit bin ich doch erbberechtigt.«

      »So weit ist das ja richtig, aber eine Frau ohne Ehemann kann nicht erben.«

      »Ich bin doch verheiratet, nur ist mein Mann eben vermisst.«

      »Wir brauchen hier eine Unterschrift Eures Gatten, damit die Erbschaft auch rechtskräftig wird. Keine Unterschrift, kein Erbe! Ich mach Euch einen Vorschlag, Frau Hofmeister. Erich Stracke, der Stadthauptmann, würde sich Eurer gerne annehmen. Und Euren Wilhelm könnten wir für tot erklären. Dann wäre doch allen geholfen, oder nicht?«

      »Der stinkende Fettwanst, der nur noch ein paar faule Zähne im Maul hat und ständig besoffen ist? Niemals! Vorher erhänge ich mich am nächsten Baum. Wie viel Zeit bleibt mir, meinen Mann zu finden?«

      »Zwölf Wochen. Zwölf Wochen, dann heiratet Ihr entweder den Erich oder das Erbe geht an die Stadt. Das ist mein letztes Wort. Gehabt Euch wohl, Frau Apothekerin.«

      Sie brauchte dringend Hilfe, aber wem konnte sie vertrauen? Als Katharina die 350 Stufen auf den Daniel stieg, schlug die Turmuhr der St. Georgskirche dreimal. Keuchend und außer Atem erreichte sie die Türe zur Turmstube. Wenn ihr einer helfen konnte, dann der Stadthauptmann. Sie war zwar nicht scharf auf ein Gespräch mit dem Widerling, doch er hatte Verbindungen zu den Truppen und kannte wichtige Soldaten.

      Sie atmete noch einmal tief durch, bevor sie anklopfte. Ein ihr unbekannter Wachsoldat öffnete ihr die Türe zur Turmstube. Im Hintergrund konnte sie bereits Erich sehen, der in eine vor Fett triefende Keule biss.

      »Waff für eine erfreuliche Überraffung«, schmatzte dieser mit vollem Mund, so dass Teile seiner Mahlzeit durch die Luft flogen. »Lasst uns allein, wir haben etwas zu bereden«, wies Stracke seine Kollegen an. Als sie die Türe hinter sich schlossen,