Seine Begleiterin hatte inzwischen einen Kienspan11 aus ihrem Leinenbeutel hervorgeholt und entzündet. Im Schein der rußenden Flamme lagen sie wortlos unter ihren Decken.
»Simon?«, unterbrach Katharina die Stille. »Hältst du mich fest? Ich hasse Gewitter.« Dann lag Katharina in Simons Armen. Ihre Hand strich zärtlich über seine Brust. Als sich ihre Blicke trafen, lächelten sie sich kurz an, schauten dann aber beide verlegen weg.
»Ist schon ein komisches Gefühl, wenn man sich schon so lange kennt wie wir«, flüsterte Katharina.
»Ja, das stimmt.« Einen Moment sagte keiner von beiden etwas.
»Mein Gott, du bist ja immer noch so schüchtern wie zur Schulzeit!«, lachte Katharina. Sie drehte sich zu ihm und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund. Es dauerte eine Weile, bis Simon realisierte, was eben geschehen war. Als sich ihre Blicke trafen, mussten beide herzhaft lachen. Danach wurden ihre Mienen wieder ernst. Vorsichtig reckte Simon seinen Kopf. Katharina befeuchtete ihren Mund mit der Zunge und kam ihm entgegen. Dann fanden sich ihre Lippen zu einem Kuss. Erst ganz vorsichtig, dann immer wilder und fordernder. Hände erkundeten fremde Haut, Kleidung wurde achtlos abgestreift.
Katharinas Atem beschleunigte sich. So hatte sie das noch nie gefühlt. Ihre Zungen tanzten und umkreisten sich, während sie zu einer einzigen Einheit verschmolzen. Ein Gefühl von Wärme und Glück durchströmte die Liebenden.
Sie glitten hinüber in einen zufriedenen Schlaf.
Aufgeweckt von Schritten auf dem Flur, löste sich Simon von Katharina. Seine Gedanken waren wieder bei dem unbekannten Mönch, den er im Klosterhof gesehen hatte.
Neugierig öffnete er die Türe zum Flur, um zu sehen, was dort mitten in der Nacht vor sich ging. Doch es war stockfinster und auch nichts mehr zu hören. Plötzlich spürte er ein Brennen. Als er sich an den Bauch fasste, musste er feststellen, dass ein Messer in ihm steckte. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, dann verlor er das Bewusstsein.
*
Als Katharina erwachte, war es immer noch dunkel und ihr Schädel dröhnte, als hätte sie gestern mehrere Krüge Wein getrunken. Schnell begriff sie, dass sie nicht mehr mit Simon im Nachtlager des Klosters lag, sondern in einer Holzkiste auf einem Fuhrwerk unterwegs war.
»Wer seid ihr? Und was wollt ihr von mir?«, rief sie panisch. Aber alles, was sie hörte, war das monotone Rumpeln der eisenbeschlagenen Räder.
Was war nur passiert? Jemand musste sie niedergeschlagen haben. Und wo um Himmels willen war Simon, dachte sie sich.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, als ihre Schmerzen in den Knochen schon fast unerträglich wurden, stoppte das Gefährt. Als die Kiste geöffnet wurde, kniff Katharina ihre geblendeten Augen zusammen.
»Wer seid ihr? Und wo bin ich hier?«
»Willkommen in Augsburg. Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise«, sagte einer der beiden unbekannten Männer übertrieben vornehm. Ohne ein weiteres Wort führten sie die junge Frau in ein großes Gebäude.
»Ihr hattet ein schönes Zimmer im Eisenhaus12 bestellt«, machte sich der andere der beiden über sie nun lustig. Entsetzt hörte sie qualvolle Schmerzensschreie einer Frau und wurde in eine Zelle gestoßen. Krachend flog die Gittertüre hinter ihr ins Schloss.
»Was wird mir vorgeworfen?«, schrie Katharina verzweifelt. Doch sie bekam keine Antwort. Ihre Zelle war gerade so groß, dass sie sich nach allen Seiten ausstrecken konnte. Auf dem kalten Steinboden war Stroh ausgelegt. Außer dem Eimer für die Notdurft war die Zelle leer. Katharina kauerte sich in eine Ecke, umschlang ihre Beine mit den Armen und konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.
»Flieht von hier, wenn Ihr könnt. Der Herrgott wacht und der Pfaffe lacht«, hörte sie einen alten Mann sprechen, der in der Zelle gegenüber angekettet war. Er schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Sein graues langes Haar und sein Bart waren Zeugen eines wohl schon längeren Aufenthalts. Dennoch hat er seinen Humor nicht verloren, dachte sich Katharina.
»Pfaffentrug und Weiberlist geht über alles, was ihr wisst«, wieder lachte der Alte.
»Wenn die Hexe stirbt, möchte ich nicht in deiner Haut stecken, Henker. Wir brechen die Befragung für heute ab. Sperrt sie wieder in die Zelle!« Zwei Männer schleiften eine bewusstlose Frau in Katharinas Zelle und ließen sie zu Boden fallen wie einen Mehlsack. Die Apothekerin hielt vor Entsetzen die Hand vor den Mund. Die Arme der Frau waren unnatürlich nach hinten gebogen, die Haut an den Daumen aufgeplatzt und nur notdürftig mit einem schmutzigen Lappen umwickelt.
»Es ist nicht Not, dass die Pfaffen heiraten, solange die Bauern Weiber haben!«, krächzte der Alte aus der gegenüberliegenden Zelle.
»Mein Gott, spart Euch doch Eure dämlichen Sprüche für andere auf. Hier liegt eine fast zu Tode gefolterte Frau und Ihr macht immer noch blöde Witze«, rief Katharina, sichtlich erbost. Die gefolterte Frau stöhnte leise.
»Kannst du mich hören? Wie heißt du?«, fragte die Heilkundige.
»Martha, die Hebamme«, wisperte sie.
»Ich werde dir jetzt leider noch einmal wehtun müssen, Martha. Deine Schultergelenke sind ausgekugelt.« Martha nickte fast unmerklich. Sie drehte die Frau auf den Rücken und stellte ein Bein auf ihre Brust, packte Martha am Handgelenk und riss mit einem schnellen Ruck an ihrem Arm. Erneut war ein Knacken in der Schulter von Martha zu hören. Die gepeinigte Frau brachte nur ein Stöhnen über ihre Lippen. Auch die zweite Schulter war auf gleiche Weise schnell in ihre ursprüngliche Lage gebracht. Ein leises »Danke« kam über ihre Lippen.
Als Martha sich nach mehreren Stunden etwas erholt hatte, fragte sie: »Wer bist du, dass du weißt, wie man Gelenke einrenkt?«
»Katharina, die Apothekerin aus Nördlingen.«
»Und weshalb bist du hier?«
»Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nicht mal, wie ich hierhergekommen bin. Keiner gibt mir eine Antwort auf meine Fragen. Ich war mit einem Freund aus Nördlingen aufgebrochen, um meinen verschollenen Ehemann zu suchen. Im Kloster Heilig Kreuz in Donauwörth wurden wir dann überfallen. Was mit meinem Freund passiert ist, weiß ich auch nicht. Mein Gott, Simon!«
Martha nahm Katharina trotz ihrer Schmerzen in den Arm und tröstete sie:
»Nicht weinen. Es wird schon alles gut werden. Dann ist es doch so, wie ich denke. Nur Augsburger und bekannte Personen werden hier hingerichtet. Die anderen werden weggebracht. Aber wohin, weiß ich nicht.«
»Der Herrgott wacht und der Pfaffe lacht«, krächzte der Alte wieder. Es näherten sich wieder Schritte. Zwei Büttel führten einige Männer in Ketten Richtung Ausgang. Als Katharina den Wachmann genauer betrachtete, blieb ihr fast das Herz stehen.
Wilhelm? Sie brachte kein Wort über ihre Lippen.
»Wer war die Wache mit den roten Haaren und dem Vollbart?«, fragte Katharina die Hebamme.
»Beim Namen kenne ich die auch nicht.«
»Der rote Willi bringt die Brauchbaren von uns hier weg«, krächzte der Alte aus der Zelle gegenüber.
»Was sagtest du, wie der heißt?«
»Der rote Willi. Ist noch recht neu hier. Nicht mal ein Jahr. Flüchtet, solange ihr noch könnt. Der Herrgott wacht und der Pfaffe lacht.«
»Oje, jetzt gehen die Sprüche wieder los«, sagte Katharina und verdrehte ihre Augen. Schritte näherten sich. Klimpernd schlugen Schlüssel aneinander, als eine Wache die Gittertüre der beiden Frauen entriegelte.
»Hände auf den Rücken!«,