Das Mündel des Apothekers. Stefan Thomma. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Thomma
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические детективы
Год издания: 0
isbn: 9783839268926
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ihn die Menge wahrscheinlich lynchen.

      »Hier, Henker, trink mal einen kräftigen Schluck Zielwasser, dann wird es schon klappen«, spottete ein junger Bursche unter Gelächter der anderen und reichte ihm einen Becher Wein. Sichtlich erbost, schlug Egger dem Lümmel das Gefäß mit dem Fuß aus der Hand und rief:

      »Ich mach das nicht! Die beiden sind unschuldig! Die waren ja gestern noch nicht einmal in der Stadt! Und Befragung gab es auch keine! Das sind willkürlich Verurteilte!«

      Der Offizier glaubte nicht richtig zu hören. So etwas hatte es ja noch nie gegeben. Ein Henker, der die Vollstreckung verweigerte. Sichtlich durcheinander, begann der Kaiserliche:

      »Die Hinrichtung wird bis zur Klärung der genauen Sachlage verschoben. Geht nach Hause!« Murrend und schimpfend, ihres Vergnügens beraubt kehrten die Zuschauer zurück in die Stadt.

      »Henker, das hat ein Nachspiel. Wie willst du da wieder rauskommen?«, drohte ihm der kaiserliche Offizier.

      *

      Zielstrebig steuerte Katharina auf die kleine Kate der Hebamme Holzinger im Gerberviertel zu. Sie bestand aus nur zwei Räumen. Im Erdgeschoss eine Küche, im oberen Stockwerk ein kleiner Schlafraum. Vor dem Eingang war ein gepflegter Kräutergarten. Über der Türe pendelte ein Holzschild quietschend im Wind, auf dem das Zeichen der Hebammen abgebildet war. Ein rotes Kreuz und der Stadtadler Nördlingens.

      Vorsichtig öffnete Katharina die Eingangstüre. Der Geruch von Fäulnis, Exkrementen und Verwesung schlug ihr entgegen. Durchgeschwitzt und mit fahlem Gesicht lag die Hebamme in ihrer Schlafstatt. Vor dem Bett stand ihre übervolle Nachtpfanne. Katharina presste sich den Handrücken unter ihre Nase und verzerrte das Gesicht.

      »Mathilda, wie geht es dir? Kannst du mich hören?«

      »Komm mir lieber nicht zu nahe, Kind. Die Pestilenz hat dieses Mal keinen Bogen um mein Haus gemacht. Es hat mich mit voller Wucht erwischt.«

      »Das habe ich fast befürchtet!« Katharina presste ihre Lippen aufeinander. »Ich hab dir was zum Essen mitgebracht. Und ich kaue Engelwurz, das soll gegen eine Ansteckung helfen.«

      »Ach, die Gerberin hat auch Engelwurz gekaut und trotzdem ist sie an der Beulenpest gestorben. Es ist wohl doch eher in Gottes Hand, wann und wie wir von dieser Welt gehen.«

      »Ich bete jeden Tag für dich. Du wirst doch wieder gesund, nicht wahr?«

      »Bader Fromme hat mir die Beulen aufgestochen und den Saft abfließen lassen. Er sagt, dass man dadurch eher überlebt. Wir werden ja sehen, ob Gott sich meiner armen Seele erbarmt.«

      »Du warst immer gut zu den Menschen. Warum soll er sich deiner nicht erbarmen?«

      Mathilda verzog nur das Gesicht zu einem gequälten Lächeln.

      »Was du jetzt brauchst, ist frische Luft, und die stinkende Nachtpfanne muss dringend raus hier!« Nachdem sie gelüftet und den Nachttopf geleert hatte, wusch sie der Kranken das Gesicht und flößte ihr zu trinken ein.

      »Herrje, es wird ja schon bald dunkel. Ich sollte längst zu Hause sein. Ich schau morgen wieder nach dir! Versuch zu schlafen!«, riet Katharina der Pestkranken und verabschiedete sich.

      In der Abenddämmerung trat sie ihren Heimweg an. Die Gassen waren menschenleer und in den Häusern wurden die ersten Lichter entzündet. Schon kurze Zeit später bemerkte sie, dass ihr jemand folgte. Nach einem Blick über die Schulter sah Katharina eine dunkle Gestalt. Eine große Hutkrempe verdeckte das Gesicht des Unbekannten. Sie beschleunigte ihre Schritte und hoffte, so ihrem Verfolger zu entkommen, doch die Geräusche kamen näher.

      Ihr Herz klopfte schneller.

      Sie spürte das Blut durch ihre Adern rauschen. Kurz vor dem Hafenmarkt blickte sie sich erneut um. Nur noch wenige Schritte trennten den Schwarzgekleideten von ihr.

      Katharina raffte ihre Röcke und rannte, so schnell sie konnte.

      Vergebens. Die Gestalt ließ sich nicht abschütteln. Als er sie erreichte, spürte Katharina ein feuchtes Tuch im Gesicht. Sie wollte schreien, aber es gelang ihr nicht. Beißender Geruch drang in ihre Nase.

      Dann wurde es dunkel um sie.

      *

      Georg Schillinger lief aufgeregt im Sitzungssaal des Rathauses auf und ab.

      »Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?«, schrie er den Scharfrichter an. »Kannst du dir vorstellen, wie ich vor den kaiserlichen Offizieren jetzt dastehe? Die haben mir zwar nichts zu sagen, da ich direkt dem Kaiser unterstehe, doch sollte sich herumsprechen, dass mir ein ehrloser Henker auf der Nase herumtanzt, verliere ich meine Glaubwürdigkeit und Autorität!«

      »Mit Verlaub, werter Herr Bürgermeister, die beiden können das unmöglich gewesen sein. Die waren ja vorgestern noch nicht mal in der Stadt. Auch die Offiziere wissen das. Und ich hab die Sattlerfamilie befragt. Es wurde nicht geplündert. Ihre Tochter wurde geschändet, kann sich aber an nichts mehr erinnern, weil sie wohl ohnmächtig wurde. Das passt doch alles nicht zusammen.«

      Schillinger überlegte und strich mit Zeigefinger und Daumen über sein Kinn.

      »Das sind schwerwiegende Anschuldigungen. Soll ich den Offizieren ins Gesicht sagen, dass sie mich anlügen?«

      »Vielleicht waren es sogar die Offiziere selbst und jetzt brauchen sie einen Sündenbock.«

      »Deine Theorien werden ja immer abenteuerlicher! Mach deine Arbeit ordentlich und hör auf, deine Nase in Dinge zu stecken, die dich nichts angehen. Sonst hat Nördlingen bald einen neuen Scharfrichter.«

      Hans Griebel, der Totengräber, platzte in die Schreibstube des Bürgermeisters.

      »Verzeihen Sie, Herr Bürgermeister, die Störung …«, begann dieser hastig.

      »Griebel! Hat man dir keinen Anstand beigebracht? Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?«, schrie Schillinger erbost. »Was gibt es so Wichtiges?«

      »Verzeihung, Herr Vorsitzender«, entschuldigte sich Hans. »Eine blonde junge Frau wurde tot aufgefunden. Im Gerberviertel nahe der Stadtmauer.«

      »Das weiß ich auch, dass die es nicht waren!«, blaffte Schillinger den Henker an. »Der Bader soll sie sich anschauen, woran sie gestorben ist! Und ihr haltet den Mund. Kein Wort zu irgendeinem. Habt ihr verstanden? Wir haben schon genug Gerede in der Stadt. Und jetzt schert euch raus!«

      *

      Elfriede drückte währenddessen ihre Nase an die Scheibe und starrte aus dem Fenster.

      »Wo, um Himmels willen, treibt sich Katharina wieder herum?«

      »Ist sie denn noch nicht zu Hause?«, fragte Riesinger.

      »Nein. Und ich mach mir langsam Sorgen. Es ist mittlerweile stockfinster draußen.«

      Heftig pochte es gegen die Eingangstüre. Die Haushälterin sah zu Benedikt, der achselzuckend am Schreibpult der Offizin saß. »Ich erwarte niemanden mehr.« Gemächlich schlurfte Elfriede zum Eingang.

      »Der junge Mühlbichler. Was wollt Ihr um diese Zeit noch hier?«

      »Ich wollte nur wissen, ob Katharina da ist.«

      »Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich von ihr fernhalten«, murrte der Apotheker aus dem Hintergrund.

      »Das tue ich, Herr Riesinger. Ich möchte ja auch nur wissen, ob sie zu Hause ist und ob es ihr gutgeht. Der alte Griebel hat heute die Leiche einer jungen Frau aufgefunden.« Die entsetzten Blicke von Elfriede und Benedikt trafen sich.

      »Herr im Himmel!«, entfuhr es der Haushälterin.

      »Katharina ist heute Nachmittag zur Hebamme Holzinger ins Gerberviertel. Sie ist aber immer noch nicht zurück«, stotterte Elfriede.