„Wo bleibt Mister Gallego?“
„Gerade eingetroffen. Sie wissen ja, wie das ist, wenn man von den Labors der SRD in der Bronx um diese Zeit zur Federal Plaza zu fahren versucht.“
Ich nippte an meinem Kaffee.
Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann begann Mr McKee, die Zeit damit zu nutzen, dass er uns über den aktuellen Stand der Ermittlungen gegen die an Bord der JAMAICA BAY Festgenommenen informierte.
Inzwischen traf Tom Gallego von der Scientific Research Division ein.
Mr McKee nickte ihm kurz zu. Noch ehe sich Gallego gesetzt hatte, sagte unser Chef: „Unsere Kollegen von der SRD haben bei der genaueren Untersuchung der Giftfässer an Bord der JAMAICA BAY einige interessante Entdeckungen gemacht, die ein völlig neues Licht auf den Fall werfen. Mister Gallego, Sie haben das Wort.“
„Danke, Sir“, sagte Gallego. Er ließ kurz den Blick durch den Raum schweifen. „Ich will Sie nicht damit langweilen, welche extrem giftigen Chemikalien wir im Einzelnen in den Fässern gefunden haben. Es handelt sich dabei aber durchweg um stark ätzende Säuren, die bei verschiedenen Industrieprozessen entstehen. Aber so stark eine Säure auch sein mag, es gibt Dinge, die selbst der zersetzenden Kraft der stärksten Säure widerstehen können. Insbesondere sind das polymere Kunststoffe, deren lange Molekülketten eine Zersetzung nahezu unmöglich machen. Der bekannteste dieser Stoffe dürfte das Polyvinylchlorid sein – kurz PVC. Eine ähnliche Struktur haben Silikone, wie sie für Brustimplantate, aber auch für den Korrosionsschutz von Leitungssystemen oder auch zum Schutz von Implantaten aller Art vor Zersetzung verwendet werden, denn auch der menschliche Körper produziert hochaggressive Säuren, die auf die Dauer selbst Knie- und Hüftimplantate aus Titan zersetzen würden. Von empfindlichen Herzschrittmachern mal ganz abgesehen!“ Gallego atmete tief durch und fuhr dann fort: „Wir haben in einem der Fässer ein Brustimplantat gefunden, an dem sich nur noch geringfügige DNA-Reste befanden. Der Körper der Trägerin ist vollständig zersetzt worden, aber anhand der Seriennummer konnten wir die Klinik und die Trägerin des Implantats herausfinden. Es handelt sich um Norma Jennings aus Buffalo, New York State, die seit fünf Jahren vermisst wird. Sie war Ende zwanzig, rothaarig, zierlich. Der Sie passt in das Opferprofil eines bisher unbekannten Serientäters, dem wir mindestens fünf Frauenmorde in den Staaten Ohio, Pennsylvania und New York State zur Last legen.“
„Ein Serientäter, der seine Leichen in Giftfässern entsorgt hat?“, fragte Clive zweifelnd.
Tom Gallego nickte. „Daran, dass die vermisste Norma Jennings in dem Säurefass an Bord der JAMAICA BAY war, gibt es keinen Zweifel. Der Körper war in Anbetracht der Säurekonzentration wahrscheinlich nach wenigen Wochen vollkommen zersetzt. Das Skelett ist dann nach spätestens drei Monaten völlig aufgelöst gewesen. Eine chemische Feinanalyse wird da kaum noch genauere Erkenntnisse bringen. Der menschliche Körper besteht zu 70 Prozent aus Wasser, das später von dem Wasser, in dem die Säue gelöst war, nicht mehr zu unterscheiden war. Knochen und Zähne brauchen etwas länger bis sie aufgelöst werden, aber letztlich blieb nur das Brustimplantat.“
„Besteht irgendein Anlass, darüber nachzudenken, ob der Mord an Norma Jennings vielleicht im Zusammenhang mit einer Verwicklung in Machenschaften der Müll-Mafia geschah?“, fragte Mr McKee.
„Ich habe bereits eine Schnellabfrage über NYSIS gestartet“, mischte sich unser Kollege Agent Max Carter ein. „Es gibt kein Indiz, das darauf hindeutet. Norma Jennings arbeitete für eine Lokalzeitung, den Buffalo Herald. Ihr Alltag dürften Berichte über den örtlichen Kaninchenzüchterverein, den Basketball-Pokal des Countys für High School Mannschaften und die Unfälle auf den Highways der Gegend gewesen sein.“
„Das ist noch nicht alles“, fuhr Gallego fort. „Wir haben natürlich auch die anderen Fässer untersucht. Dabei sind wir auf weitere menschliche Überreste gestoßen, die möglicherweise von Opfern des Serientäters stammen. Es handelt sich um einen Goldzahn und ein halb zersetztes Knochenfragment. Da beides in unterschiedlichen Fässern sichergestellt wurde, nehmen wir an, dass es sich um zwei verschiedene Opfer handelte, die wir bislang allerdings noch nicht die identifizieren konnten.“
„Wir werden alle vermissten Personen, die ins Raster passen mit den Spuren abgleichen“, erklärte Max Carter „In Frage kommt bisher Myra McConnor, seit vier Jahren vermisst, rothaarig, zum Zeitpunkt ihres Verschwindens 24 Jahre alt und von Beruf Bedienung in einer Snack Bar in der Bersino Road in Buffalo.“
Mr McKee wandte sich an Milo und mich. „Ich möchte, dass Sie und Milo sich nach Buffalo begeben und der Sache auf den Grund gehen“, erklärte er. „Ich habe vorhin mit dem Chief der Homicide Squad gesprochen. Das Buffalo Police Department wird Sie in jeder Hinsicht unterstützen. Kann sein, dass dies nur ein Zufallsfund ist, der mit den Ermittlungen gegen Brian Mondale und die Müll-Mafia nicht das Geringste zu tun hat. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass hier möglicherweise ein gefährlicher Serientäter am Werk war, der noch immer aktiv sein könnte!“
„Es wäre gut, wenn wir wüssten, von wo genau die Giftfässer stammten“, sagte ich.
„Daran arbeiten wir“, erklärte Tom Gallego.
„In so fern haben beide Fälle schon etwas miteinander zu tun, denn Mondale hat uns bisher nicht verraten, wessen Müll er mit Hilfe der JAMAICA BAY entsorgen wollte“, ergänzte Max Carter. „Aber das Auffinden des Brustimplantats gibt uns natürlich einen Hinweis in Richtung Buffalo.“
„Fand nicht auch Jack Mantaglias letzter Auftragsmord in der Nähe von Buffalo statt?“, fragte ich an Max gerichtet.
Unser Kollege nickte. „Das stimmt.“
9
Der Mann mit dem Goldkreuz auf der Brust nahm sein Glas und machte zwei Schritte nach vorn. Er fixierte mit seinem Blick die Frau Mitte zwanzig, deren rot gelockte Mähne bis weit auf den Rücken hinabreichte. Sie rührte lustlos mit dem Trinkhalm in ihrem Drink herum. Giftgrün war der Drink eine Spezialität von Anselmo dem Barkeeper. Es gab sicher nicht wenige, die Anselmos Drinks wegen in Mac’s Bar kamen. Aber die Rothaarige machte den Eindruck, als wüsste sie die Qualität ihres Drinks heute nicht zu schätzen.
Der Mann mit dem Kreuz auf der Brust setzte sich auf den Hocker neben ihr und stellte sein eigenes Glas auf den Tresen.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte der Mann mit dem Kreuz. Sie ignorierte ihn zunächst.
Aber das ließ der Mann mit dem Kreuz nicht gelten. Er wiederholte seine Frage einfach – diesmal etwas lauter, sodass sich einige der anderen Gäste schon umdrehten.
Die Rothaarige drehte sich nun zu ihm herum und blickte auf. „Das haben Sie doch schon getan“, sagte sie. Sie musterte ihn. Ihr Urteil stand nach ein paar Sekundenbruchteilen fest. Das war niemand, mit dem sie sich länger beschäftigen wollte. Aber er ließ sich nicht so schnell einschüchtern.
„Mein Name ist Larry“, sagte er.
„Ach!“
„Und wenn Sie nicht schon einen Drink hätten, würde ich Ihnen einen