Irrlichter und Spöckenkieker. Helga Licher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helga Licher
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783967526691
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Clausen ist vor einiger Zeit die Frau gestorben, und nun sucht er jemanden, der ihm den Haushalt führt. Dort wirst du lernen wie man einen Hof bewirtschaftet. Kochen und Backen kannst du ja schon recht gut, sagt deine Großmutter. Du wirst es bestimmt gut bei Marten Clausen haben und solltest diesen Schritt als eine Möglichkeit annehmen, etwas dazuzulernen.«

      Stine stand wie angewurzelt am Kamin und starrte den Pfarrer an.

      »Ich soll weg …«, stotterte sie fassungslos.

      Pfarrer Harms legte tröstend einen Arm um Stines Schulter.

      »Du fühlst dich doch hier nicht wohl, die Leute in Oldsum werden dich nie in Ruhe lassen. Es ist das Beste für dich, glaube mir. In einigen Jahren, wenn du alt genug bist den Hof zu übernehmen, kommst du zurück.«

      Stine war blass geworden, ihr Blick wanderte zum Fenster hinaus über das grüne Marschland. Hier war sie zu Hause, nur hier kannte sie jeden Baum und jeden Strauch. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, jemals von hier wegzugehen.

      Sie erinnerte sich daran, wie sie ihren Großvater einmal nach Dunsum begleitet hatte. Er hatte Ersatzteile für den alten Lanz besorgen müssen. Das Dorf lag nur wenige Kilometer von Oldsum entfernt, doch für Stine hatte die Fahrt dorthin eine kleine Weltreise bedeutet.

      »Utersum ist so weit, den Weg schaffe ich mit dem Fahrrad nie.«

      Das Mädchen blickte den Pfarrer verzweifelt an, in ihren Augen schimmerten Tränen.

      »Stine, Utersum ist nicht aus der Welt. Du kannst den Bus nehmen, dann bist du in einer Stunde in Oldsum. Bauer Clausen hat sicher nichts dagegen, wenn du sonntags nach Hause fährst.«

      Seine Stimme klang warm und behutsam, offensichtlich hatte er Mitleid mit dem Mädchen. Leise sprach er weiter:

      »Schau, der Clausenhof ist ein moderner Betrieb, du wirst dort keine schwere Arbeit verrichten müssen. Und eine Menge Knechte und Mägde gibt es auch. Sie werden dir zur Hand gehen.«

      Doch Stine hörte ihm nicht zu. Stumm stand sie am Fenster und starrte auf die endlosen Wiesen und Felder ihres Großvaters. Das alles würde irgendwann einmal ihr gehören.

      Ihr Großvater war einer der reichsten Bauern auf der Insel, und wenn sie sein Erbe antreten würde, wäre sie die begehrteste Jungbäuerin auf Föhr.

      Aber taugte sie überhaupt zur Bäuerin?

      Sie kümmerte sich zwar gerne um die Tiere des Hofes und konnte hervorragend kochen, doch ihre große Leidenschaft war das Schreiben.

      »Aus dir wird einmal eine berühmte Schriftstellerin«, hatte ihre Lehrerin einmal gesagt.

      Stine lächelte und dachte an die vielen kleinen Geschichten und Gedichte, die sie in ihrem Nachtkästchen versteckt hielt. Die Geschichten erzählten von Zwergen und Prinzessinnen und von ihrer Sehnsucht in fremde Länder zu reisen.

      Stine drehte sich um und schaute zur Tür, die sich plötzlich öffnete. Meta kam ins Zimmer, sah fragend von einem zum anderen und wandte sich schließlich an den Pfarrer.

      »Ole sagt, du willst meine Ziehtochter nach Utersum bringen?«

      Pfarrer Harms blickte zuerst die Bäuerin an und sah sich dann nach Stine um, die immer noch stumm am Fenster stand.

      »Ole meinte …«, stotterte er hilflos.

      Meta räusperte sich und machte einen Schritt auf ihre Enkelin zu. Der Pfarrer ahnte, dass sich Unheil ankündigte. Er wäre einer Auseinandersetzung mit der Bäuerin gerne aus dem Weg gegangen, aber dafür war es nun zu spät.

      »Wann Stine den Knudtsenhof verlässt, bestimme immer noch ich«, sagte Meta schneidend. Ihre Stimme duldete offenbar keinen Widerspruch.

      »Das sind Familienangelegenheiten und gehen niemanden etwas an. Auch dich nicht, Pfarrer. Ich werde das mit Ole besprechen.«

      Die Augen der Bäuerin funkelten böse, unwillkürlich ballte sie ihre Hände zu Fäusten. Der alte Harms nutzte die Gelegenheit um hastig den Raum zu verlassen. Er kannte Meta, sie war ein gutmütiger Mensch, aber wenn sie zornig wurde, ging man ihr am besten aus dem Weg.

      Meta nahm ihre Enkelin in den Arm und strich ihr beruhigend über das Haar.

      »Kannst du dir vorstellen nach Utersum zu gehen, Stine?«, fragte Meta. Behutsam nahm sie Stines Gesicht in beide Hände und fuhr fort:

      »Ich kenne den alten Clausen, er ist ein anständiger Kerl, und sein Hof ist ordentlich und sauber. Dort wirst du zur Hauswirtschafterin ausgebildet. Eine vernünftige Ausbildung ist notwendig, wenn man einen Bauernhof leiten will. Und das wirst du doch einmal.«

      Stine schaute ihre Großmutter traurig an. Sie spürte einen quälenden Stich in ihrem Herzen. Nie hätte sie daran gedacht einmal eine solche Entscheidung treffen zu müssen.

      Sie dachte an ihren Großvater, er hatte sich in letzter Zeit sehr abweisend ihr gegenüber verhalten. An manchen Tagen sprach er kaum ein Wort mit ihr. Oft musste sie mit anhören wie er der Großmutter heftige Vorwürfe machte und immer wieder von einem Fluch sprach, der über dem Knudtsenhof liegen solle. Sie wusste, wie gerne er Bürgermeister geworden wäre. Stine fühlte, dass ihr Großvater sie für dieses Unglück verantwortlich machte, obwohl er seinen Vorwurf nie öffentlich aussprach. Trotz allem liebte Stine ihre Großeltern über alles, und der Gedanke an eine Trennung schmerzte sie.

      »Großmutter, ich kann mir einfach nicht

      vorstellen, woanders zu leben. Hier ist mein Zuhause. Aber wenn es denn sein soll. Du denkst auch, ich sollte nach Utersum gehen, nicht wahr?«

      Stine griff nach Metas Hand, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Insgeheim hoffte sie ihre Großmutter würde einfach nur sagen: »Bleib hier …«

      Doch Meta seufzte, und während sie in ihrer Schürze nach einem Taschentuch suchte, entgegnete sie kleinlaut:

      »Pfarrer Harms hat wohl Recht, Ruhe wirst du hier in Oldsum nicht finden. Wäre deine Mutter damals rechtzeitig gegangen, vielleicht …«, Meta biss sich auf die Lippen und blickte ihre Enkelin erschrocken an. Seit Jahren wurde über Rieke Knudtsen kein Wort verloren. Alle Familienmitglieder hielten sich an diese unausgesprochene Regel.

      Der Bauer hatte seine einzige Tochter an dem verhängnisvollen Tag ihres Unfalls aus seinem Leben und damit auch aus seinem Gedächtnis gestrichen. Hasserfüllt vernichtete er alles, was in seinem Haus an Rieke erinnerte. Meta konnte sich lange nicht erklären, warum Ole so verbittert war. Riekes Spinnereien konnten alleine nicht der Grund dafür sein. Inzwischen aber ahnte sie, welch große Schuld der Bauer mit sich herumtrug.

      Stine beobachtete ihre Großmutter und sah, wie aufgewühlt sie war.

      »Erzähl mir von meiner Mutter«, bat sie.

      Meta schluckte und holte tief Luft.

      »Ach, deine Mutter verhielt sich manchmal auch ein wenig sonderbar. Großvater konnte das einfach nicht verstehen, das weißt du ja. Es wäre besser gewesen, deine Mutter wäre mit dir und deinem Vater aufs Festland gezogen. Weg von der Insel und diesen üblen Anfeindungen. Aber sie wollte nicht. Na ja, dann hatte sie kurz darauf diesen schrecklichen Unfall.«

      Stine horchte auf. Es war das erste Mal, dass Großmutter von ihrer Tochter Rieke erzählte. Stine hatte sich häufig gewundert, dass es keine Erinnerungsstücke von ihrer Mutter im Haus gab.

      »Warum war meine Mutter sonderbar? Sah sie auch diese weiße Frau? Bitte, Großmutter sag es mir.«

      Stine bebte am ganzen Körper. Konnte es sein, dass es noch jemanden gab, der diese seltsamen Erscheinungen hatte? War es möglich, dass auch ihre Mutter von Träumen geplagt wurde?

      »Ja, deine Mutter erzählte häufig von einer Frau in einem weißen Kleid. Ich habe ihr oft gesagt, dass diese Frau ihr Schutzengel sei und ihr nichts Böses will, aber Rieke dachte, sie sei krank. Wir Knudtsen-Frauen haben eine besondere Gabe.«, fuhr die Großmutter fort. »Wir träumen manchmal Dinge, die wir nicht sofort verstehen. Du solltest diesen Träumen nicht zu viel Bedeutung geben, dann