In den 1970er und 1980er Jahren herrschte eine regelrechte Aufbruchsstimmung. Viele Gläubige engagierten sich für die Ökumene und hofften auf verbindliche Gemeinschaften christlicher Kirchen.103 So entstanden gerade in den 1970er Jahren im Zuge der charismatischen Erneuerung viele neue Gemeinschaften, nicht wenige von ihnen sind ökumenisch geprägt.104 Initiativen und Vereine innerhalb und außerhalb der Kirchen setzten sich dafür ein, dass sich die Kirchen verstärkt neben ökumenischen auch zu politischen Fragen positionierten.105 Theologische Gespräche zwischen der DBK und der VELKD begannen bereits in den 1980er Jahren.106 Entscheidende Impulse für die Ökumene in Deutschland kamen zudem durch die Besuche von Papst Johannes Paul II. in Deutschland in den Jahren 1980 und 1987.107 Ein im Auftrag der Ökumenischen Kommission eingerichteter Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen kam 1985 zu dem Ergebnis, dass die gegenseitigen Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts die Partner heute nicht mehr treffen.108
4. Ökumene in den 1990er und frühen 2000er Jahren in Deutschland
Die 1995 von Papst Johannes Paul II. promulgierte Enzyklika „Ut unum sint“ (UUS) war der Ökumene gewidmet. Der Papst bekräftigt das unbedingte Streben nach der Einheit der Christen.109 Johannes Paul II. greift damit den drängenden Wunsch Christi zur Einheit wieder auf.110 Nicht unerwähnt bleiben sollte das im August 2000 von der Kongregation für die Glaubenslehre veröffentliche Schreiben „Dominus Iesus – Über die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche“. Hierin wird der Rang der katholischen Kirche stark hervorgehoben. Teile der katholischen Kirche und insbesondere die evangelischen Kirchen sehen hierin eine deutliche Belastungsprobe des ökumenischen Verhältnisses.111
Anders als im Fall der katholischen Kirche gibt es keine einheitliche evangelische Kirche. So wird im Rahmen des ökumenischen Dialogs teilweise zwischen der Verständigung zwischen der katholischen Kirche und der lutherischen bzw. der katholischen Kirche und der reformierten Kirchengemeinschaft differenziert.112 Dabei sind sich die katholische und die lutherische Kirche hinsichtlich der Realpräsenz Christi in der Eucharistie einig.113 Die reformierte Kirche hingegen misst dem Abendmahl lediglich eine rein symbolische Bedeutung bei. 1999 veröffentlichten die katholische Kirche und die Lutheraner die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER).114 Katholiken und Lutheraner erklären, dass ein Grundkonsens hinsichtlich der Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre besteht. Die weiterhin bestehenden Unterschiede im Verständnis werden ausdrücklich als tragbar angenommen.115
2001 unterzeichneten die „Konferenz Europäischer Kirchen“ (KEK) und der „Rat der Europäischen Bischofskonferenzen“ (CCEE) die Charta Oecumenica, eine Selbstverpflichtung zur Achtung der Vielfalt der christlichen Traditionen.116 Durch die 2007 unterzeichnete „Magdeburger Erklärung“ haben elf Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK)“117, darunter auch die katholische Kirche vertreten durch die DBK sowie die EKD, die gegenseitige Anerkennung der Taufe vereinbart.
Begeisterung lösten im In- und Ausland der erste Ökumenische Kirchentag 2003 in Berlin sowie zweite Ökumenische Kirchentag 2010 in München aus. Der dritte Ökumenische Kirchentag ist 2021 in Frankfurt am Main geplant.118 Wie bereits Papst Johannes Paul II. setzte auch Papst Benedikt XVI. während seiner Deutschlandbesuche 2005 und 2006 ein Zeichen für die Ökumene, indem er zu verschiedenen ökumenischen Gesprächen einlud. Auch das 2008 von Papst Benedikt XVI. anlässlich des 2000. Geburtstages des Apostels Paulus ausgerufene Paulusjahr stand ganz im Zeichen der Ökumene. Inwieweit Papst Franziskus neue Impulse für den Dialog der christlichen Konfessionen setzt, bleibt abzuwarten. Bisher hat er sich der Ökumene sehr zugewandt positioniert.119
III. Gegenwärtige Position der Kirchen zur Ökumene
Ein derart großer ökumenischer Enthusiasmus wie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist nicht mehr vorhanden.120 Zwischenzeitlich empfand man den ökumenischen Dialog als schwierig.121 Man sprach sogar von einer Krise der Ökumene.122 Der ökumenische Prozess habe, so Kasper, inzwischen eher das Format einer friedlichen Koexistenz.123 Auch die Forschung konzentrierte sich in den vergangenen Jahrzehnten auf einige wenige Theologen und Initiativen.124 Die Ursachen für die Stagnation sind vielseitig: Zollitsch führt den Rückgang des ökumenischen Enthusiasmus darauf zurück, dass durch die deutliche Annäherung in den vergangenen Jahrzehnten nun die Differenzen sichtbarer wurden.125 Ähnlich äußert sich Schockenhoff, der das momentane Stocken der Ökumene darin begründet sieht, dass die Kirchen verstärkt nach der eigenen Identität suchen.126 Unterschiedliche Auffassungen in konfessionellen Fragen führten dazu, dass sich die einzelne Konfession nach ihrer Position fragen müsse.
Teilweise wird sogar die Gefahr eines Identitätsverlusts durch die Ökumene gesehen.127 Dabei könnten durch den Versuch, konfessionelle Profile zu überwinden, umgekehrt sogar rekonfessionalisierende Tendenzen entstehen.128 So unterstreicht Papst Benedikt XVI.: „Das Notwendigste für die Ökumene ist zunächst einmal, dass wir nicht unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten fast unvermerkt verlieren, die uns überhaupt zu Christen machen und die uns als Gabe und Auftrag geblieben sind.“129 Sofern den Menschen die christliche Identität nicht mehr bewusst ist, droht die Ökumene in einem „Wischi-waschi-Ökumenismus“ zu verschwimmen, befürchtet Kasper.130 Es sei wichtiger denn je die Fundamente der Ökumenischen Bewegung zu sichern. Ein Identitätsverlust – egal ob konfessionsbezogen oder bezogen auf das Christentum – sei für eine erstarkende Ökumenische Bewegung kontraproduktiv.
Mit Blick auf die zahlreichen Fortschritte der Vergangenheit einerseits und die momentan vermeintliche Stagnation andererseits wird oftmals eingewandt, dass die Lehre aus bestimmten Aspekten ein Problem mache, wo Gläubige gar keins sehen. Die eigentliche Frage, die sich heute mehr denn je zu stellen scheint, ist diejenige, welches Ziel Ökumene eigentlich hat. Meint Ökumene „Rückkehr“ oder steht sie für „Vereinigung und Verschmelzung“? Oder soll Einheit in der Ökumene den kleinsten gemeinsamen Nenner abbilden? Es gibt nach wie vor keine einheitliche Vorstellung davon, was von Einheit erwartet wird und wie diese aussehen soll.131 In der Ökumenischen Bewegung bestand von vornherein weitgehende Einigkeit darüber, dass Einheit nicht mit Uniformität gleichzusetzen sei.132
Insbesondere die evangelisch-lutherische Seite prägte das Konzept der Einheit in versöhnter Vielfalt.133 Konfessionen sollen nach diesem Verständnis nicht ihre Bedeutung verlieren. Dabei sei jedoch eine Verständigung über das Bekenntnis erforderlich, die eine gemeinsame Feier der Sakramente und die gegenseitige Anerkennung ordinierter Dienste voraussetze. Aufgrund der Versöhnung werden sich alle momentan bestehenden Konfessionen wandeln, ohne dabei jedoch ihre Identität zu verlieren.134 Äußerungen von Papst Franziskus lassen sich dahingehend verstehen, dass er sich ebenfalls für dieses Modell ausspricht.135
Aus der vorangehenden Darstellung wird deutlich: Es gibt keine einheitliche Antwort auf die Frage, was das ökumenische Ziel ist. Im Prozess der Einheitsbildung geht es nicht nur um das Sammeln von Informationen über die jeweils andere Konfession, um sie besser kennenzulernen, sondern auch darum, sich gegenseitig zu bereichern und voneinander zu lernen („Ökumene der Gaben“136).137 In der heutigen Ökumenischen Bewegung steht ein stetiger Austausch im Vordergrund (Dialogökumene).138
IV. Zwischenergebnis
Seit Ende des 19. Jahrhunderts haben sich Christen einander deutlich angenähert. Spätestens mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil