Zum Verständnis der Position der katholischen Kirche Anfang des 20. Jahrhunderts ist der CIC von 1917 entscheidend. Danach galt die katholische Kirche als identisch mit der Kirche Jesu Christi, es bestand ein exklusiver Identitätsanspruch.66 Nichtkatholiken waren nach dem Verständnis des CIC/1917 Häretiker und Schismatiker (vgl. cann. 167 § 1 n. 4; 731 § 2; 765 n. 2; 795 n. 2; 985 n. 1; 1240 § 1 n. 1; 1458 § 1; 1470 § 1 n. 6; 2314 § 1, 2339)67, damit ausgeschlossen von der aktiven Teilnahme am Gottesdienst und nicht zugelassen zu den Sakramenten. Katholiken wiederum war es untersagt, an Gottesdiensten anderer Konfessionen teilzunehmen und Sakramente zu empfangen.68 Die einzige Möglichkeit zur Wiederherstellung der kirchlichen Einheit war die Einzelkonversion.69 Andere (nicht-katholische) Kirchen und kirchliche Gemeinschaften galten als nicht-katholische Sekten (cann. 542 § 1 und 693 § 1 CIC/1917).
Gleichzeitig erstarkte die „Bewegung für praktisches Christentum“, die 1925 ihre erste Weltkonferenz abhielt. Zwei Jahre später fand die erste Weltkonferenz der „Bewegung für Glaube und Kirchenverfassung“, die stärker auf die Kirche ausgerichtet war, in Lausanne (Schweiz) statt. Katholiken wurde allerdings die Teilnahme vom Heiligen Stuhl untersagt (vgl. can. 1325 § 3 CIC/1917).70 Diese ablehnende Haltung wurde auch in der Enzyklika Mortalium animos von 1928 deutlich.71 Die Enzyklika warnt vor einer Gleichstellung aller christlichen Konfessionen und ist damit Zeugnis der bis dahin vertretenen Rückkehr-Ökumene, d.h. einer Wiedervereinigung nur durch Rückkehr zur katholischen Kirche.
Aus dem protestantisch geprägten Milieu entstand der Hochkirchliche Bund. Hiervon spaltete sich in Deutschland 1924 der neugegründete Hochkirchliche Ökumenische Bund ab.72 Letzterer verstand sich als „Umfassungsbewegung“ – „una sancta catholica ecclesia“.73 Später wurde spezifiziert, dass die Wahrheit nicht in einer Kirche und in einer sichtbaren Gemeinschaft alleine existiere, es gäbe vielmehr Teilwahrheiten, sie sich gegenseitig befruchteten.74 Mit Schreiben des Sanctum Officium75, der Kardinalskongregation für die Reinhaltung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre, an die deutschen Bischöfe wurde es Katholiken untersagt, sich in irgendeiner Weise an dem (Hochkirchlichen) Ökumenischen Bund zu beteiligen.76
Nach katholischem Verständnis begann die Ökumenische Bewegung in Deutschland 1938 mit der „Una Sancta Bewegung“, begründet von Max Josef Metzger.77 Daneben werden aus katholischer Perspektive häufig der Jaeger-Stählin-Kreis und das Zweite Vatikanische Konzil als wesentlich für die Ökumenische Bewegung angesehen.78 1946 bildeten sich zunächst zwei voneinander unabhängige Gesprächskreise, auf katholischer Seite geleitet vom einstigen Erzbischof von Paderborn, Lorenz Kardinal Jaeger, auf evangelischer Seite von dem damaligen Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Oldenburg, Wilhelm Stählin. Die Arbeitskreise vereinigten sich 1968 zum „Evangelischen und Katholischen ökumenischen Arbeitskreis“, der bis heute existiert.79 1957 gründete Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger das „Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik“ mit dem Ziel einer künftigen Einheit in der Wahrheit und in der Liebe.80 Das Institut besteht bis heute.
Auf internationaler Ebene kam es 1948 zur konstituierenden Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Amsterdam (Niederlande).81 Katholiken wurde weiterhin die Teilnahme untersagt. Die katholische Kirche ist heute nach wie vor nicht Mitglied des ÖRK, mittlerweile erfolgt jedoch eine enge Zusammenarbeit.82
2. Das Zweite Vatikanische Konzil
Im Land der Reformation hatten die beiden Weltkriege die Konfessionen näher zusammengebracht. Zum einen hatten die Kirchen gleichermaßen die nationalsozialistische Unterdrückungspolitik erfahren, zum anderen hatten sie gemeinsam die Schrecken des Krieges erlebt.83 Auf der katholischen Seite ergab sich allerdings eine deutlich erkennbare Divergenz zwischen der Auffassung des Vatikans und der der Laien. Das Sanctum Officium prägte weiterhin eine ablehnende Haltung gegenüber den anderen christlichen Konfessionen und änderte hieran auch bis unmittelbar vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil nichts.84 Erste „Ökumenische Kreise“, die unabhängig von der institutionalisierten Kirche agierten, entstanden bereits Ende der 1950er Jahre.
Weniger als drei Monate nach seiner Wahl verkündete Papst Johannes XXIII. 1959 seine Absicht zur Einberufung eines Konzils. Anders als bei früheren Konzilen war die Vorbereitungskommission etwa zur Hälfte mit Bischöfen und Ordensoberen besetzt, d.h. mit späteren Entscheidungsträgern, so konnte der Kurienapparat bereits während der Vorbereitung entscheidenden Einfluss nehmen. Der Papst musste hinsichtlich seines eigenen Anliegens, der Förderung der Ökumene, zunächst größere Widerstände überwinden. Um den Einfluss der Kurie einzuschränken, richtete Papst Johannes XXIII. 1960, d.h. noch vor Eröffnung des Konzils, das „Sekretariat für die Förderung der Einheit der Christen“ ein.
Das Zweite Vatikanische Konzil (Vaticanum II)85, von der römisch-katholischen Kirche als das 21. Ökumenische Konzil angesehen, hatte den Auftrag zur pastoralen und ökumenischen Erneuerung. Nach dem Tod von Papst Johannes XXIII. Im Juni 1963 wurde das Konzil von Papst Paul VI. fortgesetzt. Das Konzil verlief in vier Sitzungsperioden, in denen insgesamt 16 Dokumente promulgiert wurden, und endete im Dezember 1965. Grundlegende Dokumente für den katholischen Ökumenismus sind die Dogmatische Konstitution über die Kirche (Lumen gentium, LG)86, das Dekret über den Ökumenismus (Unitatis redintegratio, UR), die Erklärung zur Religionsfreiheit (Dignitatis humanae) und die Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung (die Verbum).87 Nicht-katholische Kirchen und kirchliche Gemeinschaften werden als legitime Existenzformen christlichen Lebens angesehen.88
Ein Meilenstein der Ökumenischen Bewegung ist das im Zuge des Konzils verfasste Dekret über den Ökumenismus „Unitatis redintegratio“89. Inhaltlich steht das Ökumenismusdekret in enger Beziehung zur dogmatischen Konstitution LG. Es beginnt mit den Worten „Die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen ist eine der Hauptaufgaben des Heiligen Ökumenischen II. Vatikanischen Konzils.“.90 Christus habe eine einige und einzige Kirche gegründet.91 Die vorliegende Spaltung sei ein „Ärgernis für die Welt und Schaden für die Sendung der Kirche“.92 Die Taufe aller Christen begründe ein sakramentales Band der Einheit, alle Getauften seien Schwestern und Brüder im Herrn.93 Nach dem Ökumenismusdekret darf die Schuld der Trennung nicht den nicht-katholischen Christen zur Last gelegt werden, denn „(…) die katholische Kirche betrachtet sie als Brüder, in Verehrung und Liebe“.94 Hinsichtlich anderer christlicher Konfessionen wird erstmals von „Kirchen“95 und „kirchlichen Gemeinschaften“96 gesprochen.97 Auch Nichtkatholiken und Kirchen bzw. kirchliche Gemeinschaften werden als legitime Existenzformen christlichen Lebens angesehen.98 Durch das Zweite Vatikanische Konzil wurde der Kirchenbegriff ausgeweitet und damit das Verfassungsrecht des CIC/1917 revidiert.99
3. Ökumene in Deutschland nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil
Ausgehend vom Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde – nun auch von katholischer Seite – der Dialog mit anderen Konfessionen gesucht.100 Dabei ging es zum einen um bilaterale