8. Kapitel • Die Dicken – Oder: Warum es saublöd ist, andere »fette Sau« zu nennen
Drei Gruppen, eine Gemeinsamkeit: Dicke Menschen werden zur Zielscheibe
9. Kapitel • Die Dürren – Oder: Warum es nicht hilft, Magersüchtigen ein Stück Pizza in den Mund zu schieben
Sind Formate wie »Germany’s Next Topmodel« schuld an Essstörungen?
Magersucht wird häufig als »Modeerscheinung« abgetan
Fällt es dem Umfeld nicht auf, wenn jemand hungert?
Wer erkrankt an Magersucht?
Ist Magersucht eine Frauenkrankheit?
10. Kapitel Die Rabenmütter – Oder: Warum das Beste fürs Kind nie gut genug ist
Wie schnell sollte eine Mutter nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten?
Warum bekommen die Deutschen immer weniger Kinder?
Man kann nur vermissen, was man nicht hat
Mama muss immer alles geben
Fazit – Oder: Wie mir die TV-Sendung »Der Bachelor« bei der Bewältigung meiner Vorurteile hilft
Danksagung
Einleitung — Oder: Warum wir Menschen in Schubladen stecken und wie sie da wieder rauskommen
Würdest du eine Frau als Babysitterin engagieren, die vorher als Prostituierte gearbeitet hat? Findest du es ganz normal, wenn sich zwei Männer leidenschaftlich küssen? Würdest du bei einem Rohrbruch lieber Sanitär Özdemir als Sanitär Meier anrufen? Hältst du dicke Menschen für genauso diszipliniert wie dünne? Und würdest du als Arbeitgeber jemanden einstellen, der schon mal einen Burn-out hatte?
Wenn du all diese Fragen mit Ja beantwortet hast, ist dieses Buch vermutlich nicht das Richtige für dich. Wenn du aber auch nur bei der einen oder anderen Frage gezögert hast, bis du hier goldrichtig. Bist du tolerant? Ich sage dir ganz ehrlich: Ich bin es nicht. Das klingt jetzt hart und ist auch nur ein Teil der Wahrheit. Ich bin weder rechtsradikal noch homophob, sondern halte mich für aufgeschlossen gegenüber anderen Lebensformen und Menschen. Aber meine Toleranz hat genauso Grenzen wie die jedes anderen Menschen auch. Zum Beispiel, wenn ich mit Veganern gemeinsam grille (bei allem Respekt für ihre Lebensform) und sie mir dabei eine Szene machen, wie ich nur mein Bio-Hühnchen auf das gleiche Rost wie ihre Tofu-Wurst legen kann (»Bah, die soll nicht neben dem toten Tier liegen«) – da hört meine Toleranz auf.
Jeder von uns hat Vorurteile. Müssen wir uns deswegen schlecht fühlen? Womöglich manchmal, wenn wir anderen damit schaden. Aber sie sind nicht grundsätzlich etwas Schlechtes.
Warum brauchen wir Vorurteile?
Ich möchte dem Begriff »Vorurteil« einmal kurz seine ausschließlich negative Behaftung nehmen, denn im Kern bedeutet er, dass man sich ein Urteil erlaubt, bevor man einen Menschen oder eine Situation wirklich einschätzen kann. Und das geht für uns überhaupt nicht anders: Wir müssen Menschen und Dinge in Schubladen stecken, damit unsere Welt funktioniert. Wenn wir bei jedem Menschen, den wir treffen, oder bei jedem Handgriff, den wir tun, hinterfragen würden, ob jemand oder etwas gut oder schlecht ist, würden wir unsere gesamte Lebenszeit mit Sortieren verbringen. Da wir weder die Zeit noch die Nerven dazu haben, müssen wir also darauf zurückgreifen, was wir selbst schon einmal erlebt haben oder aber von anderen Menschen, in den Medien oder sonst irgendwo darüber gehört haben.
Dieses Schubladendenken ist dabei kein Phänomen der Neuzeit, sondern tief in unserer Evolution verwurzelt. So hat zum Beispiel das Gehirn eines Steinzeitmenschen Dinge in Schubladen sortiert wie: »großes Tier bedeutet Gefahr«. Gott sei Dank kam der Steinzeitmensch voreilig zu diesem Urteil, denn: Hätte er erst bei jedem großen Tier unvoreingenommen geschaut, ob es ein liebes oder ein gefährliches Tier ist, hätte die Menschheit vermutlich nicht überlebt.
Sind Vorurteile unbegründet?
Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Die meisten Vorurteile haben irgendwo ihren Ursprung. Die Annahme, dass die Deutschen besonders ordentlich und pünktlich sind, kommt zum Beispiel daher, dass viele Deutsche im Verhältnis zu Menschen anderer Nationen tatsächlich besonders sauber und pünktlich sind. Das erfährt man spätestens, wenn man in Afrika die Berge von Müll an den Straßenrändern sieht oder merkt, dass in der Türkei keine verlässlichen Fahrpläne existieren, sondern der Bus dann kommt, wann er eben kommt. Trotzdem zeigt diese Annahme über Deutsche, dass es sich dabei nur um ein Vorurteil handelt: Sicher kennst du mehr als nur einen, der weder ordentlich noch pünktlich ist.
Der wahre Kern offenbart sich bei Vorurteilen oft darin, dass eine Annahme auf mehrere Menschen einer Personengruppe zutrifft. Diese Annahmen können übrigens sowohl positiv als auch negativ sein. So sind zum Beispiel viele schwarze Menschen gute Läufer, viele Frauen frieren schnell und ja, tatsächlich trifft auf einige Universitätsbesucher auch der Spruch zu: »Gelfrisur und Polohemd, ich bin ein BWL-Student.« Aber nur, weil es mehrere Menschen gibt, die sich in bestimmten Punkten ähnlich sind, treffen die Annahmen in den seltensten Fällen gleich auf eine gesamte Personengruppe zu.
Entscheidend bei der Frage nach Vorurteilen ist oft, ob man die Erfahrungen selbst gemacht hat oder ob sie auf dem Hörensagen basieren. In den allermeisten Fällen sind Vorurteile gesellschaftlich gewachsen. Wir lernen schon als Kinder, dass man einen Mann an kurzen und eine Frau an langen Haaren erkennt, dass man vor Spinnen Angst hat, aber Marienkäfer bedenkenlos auf die Hand nehmen kann oder dass die Farbe für »echte« Jungs Blau ist, während Mädchen Rosa lieben. Alles, was davon abweicht, ist zunächst einmal »nicht normal« – und das führt oft zu einer negativen Bewertung. Was wir kennen, gibt uns Sicherheit, während wir Unbekanntem oft skeptisch gegenüberstehen, weil es uns unsicher macht. Das hat nicht zwangsläufig etwas mit der Erziehung durch Eltern, Lehrer oder andere Bezugspersonen zu tun, sondern ist zum Teil auch eine angeborene Skepsis gegenüber allem, was wir nicht kennen. Ich kann mich zum Beispiel daran erinnern, dass ich einen schwarzen Kinderarzt hatte. Als ich sehr klein war, wollte ich mich nicht von ihm untersuchen lassen, weil ich dachte, dass seine Hautfarbe abfärben könnte. Obwohl meine Eltern nicht die geringsten Vorurteile gegenüber Schwarzen hegen und sie diese dementsprechend auch nicht an mich weitergegeben haben, hatte ich erst einmal Angst, denn ich hatte schlicht und ergreifend vorher noch nie einen schwarzen Menschen gesehen.
Kann ich tolerant sein – trotz Vorurteilen?
Nicht tolerant zu sein und Vorurteile zu haben, ist nicht das Gleiche, hat aber einiges miteinander zu tun. Was heißt es, tolerant zu sein? Der Duden sagt dazu, dass jemand »in Fragen der religiösen, politischen oder anderen Überzeugung bereit ist, eine andere Anschauung, Einstellung, andere Sitten, Gewohnheiten und anderes gelten zu lassen«. Ein Vorurteil hegt jemand hingegen, wenn er »ohne Prüfung der objektiven Tatsachen eine voreilig gefasste, meist von feindseligen Gefühlen gegen jemanden oder etwas geprägte Meinung« hat. Das heißt: Je mehr Vorurteile ein Mensch hat, desto weniger tolerant ist er. Ob sich jemand stark oder weniger stark von Vorurteilen leiten lässt, hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab. Von seinen Ängsten zum Beispiel. Denn je mehr Ängste ein Mensch hat, desto mehr »helfen« ihm die Vorurteile, einer vermeintlichen Gefahrensituation aus dem Weg zu gehen. Außerdem spielt es eine Rolle, ob ein Mensch gelernt hat, seine Gedanken und sein Verhalten zu reflektieren oder nicht.
Besonders oft haben wir außerdem dann Vorurteile, wenn das Verhalten anderer unseren Lebensbereich direkt berührt und wir uns angegriffen fühlen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Ich kann spendabler mit meiner Toleranz sein, wenn mich die Andersartigkeit eines Menschen nicht betrifft. Wenn zum Beispiel meine Freunde Lisa und Marc am liebsten Aktivurlaub machen, während ich am liebsten faul am Strand liege, dann ist mir das egal. Schwierig wird es, wenn wir gemeinsam Urlaub planen. Dann hinterfrage ich ihre Vorlieben und nehme vielleicht an, dass Lisa und Marc auch im Urlaub pausenlos etwas zu tun haben müssen, weil sie nicht in der Lage sind, einfach mal abzuschalten (was sie im Übrigen