Die Sichtbarkeit der Übersetzung
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Umschlagabbildung: La Torre de Babel de Libros von Marta Minujín (Foto: Estrella Herrera; Ausschnitt). Quelle: Wikimedia Commons, lizenziert unter CC-BY-2.0.
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ISBN 978-3-8233-8465-6 (Print)
ISBN 978-3-8233-0297-1 (ePub)
Danksagung
Jedes Buch entsteht im Austausch. Dieses Buch verdankt sich zuallererst dem Austausch mit den Beitragenden des Bandes, die sich inspiriert und kritisch mit der Sichtbarkeit der Übersetzung auseinandergesetzt haben und mir dabei zahlreiche neue Perspektiven auf das Thema eröffnet haben. Für viele bereichernde Gespräche danken möchte ich auch meinen Kolleg:innen an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, namentlich Vittoria Borsò, Vera Elisabeth Gerling, Eva Ulrike Pirker, Volker Dörr und Alexander Nebrig. Arvi Sepp, Stefan Helgesson, Pieter Vermeulen und Gesine Müller waren in den letzten Jahren wichtige Gesprächspartner:innen zum Thema Literatur und Übersetzung. Meinen Studierenden danke ich für viele kritische Nachfragen. Meine Mitarbeiterinnen Miriam Hinz und Christina Slopek standen mir bei der Redaktion der Beiträge unermüdlich zur Seite – dafür ein sehr herzliches Dankeschön. Schließlich danke ich Kathrin Heyng vom Narr Verlag für die kompetente Unterstützung bei der Produktion des Bandes.
Zur Einleitung: Die Sichtbarkeit der Übersetzung – Zielsprache Deutsch
Birgit Neumann, Universität Düsseldorf
On ne parle jamais qu’une seule langue […].
On ne parle jamais une seule langue. (Derrida 1996: 21)
1 Zur Ethik und Poetik der (un-)sichtbaren Übersetzung
Vor gut 25 Jahren beklagte Lawrence Venuti (1995) die Unsichtbarkeit der Übersetzer:innen, und Beispiele für solche oftmals strategischen Invisibilisierungen gibt es in der Tat zuhauf. Die Namen von Übersetzer:innen werden auf den meisten Buchcovern nicht genannt und in vielen Rezensionen finden sie allenfalls dann Erwähnung, wenn es um Erwartungen an sprachliche Flüssigkeit und Transparenz geht.1 Die für die kritische Reflexion von Übersetzungen relevanten Fragen, z.B. nach kreativen Veränderungen, ästhetischen Neuerungen und Funktionen innerhalb der Zielkultur, werden nur selten gestellt. Werden diese Fragen thematisiert, dann zumeist im Fall von Neuübersetzungen klassischer und kanonischer Literatur, selten aber bei der Besprechung von zeitgenössischer übersetzter Literatur. Diese Unsichtbarkeit setzt sich auf der Ebene des Textes fort. Der internationale Buchmarkt prämiert vor allem im Bereich des Mainstreams transparente, geschmeidige und leserfreundliche Literatur, die ihren übersetzten Charakter verschleiert und die Illusion erweckt, sie hätte ebenso gut in der Zielsprache verfasst werden können. Solche domestizierenden und glättenden Übersetzungen, die tatsächlich erhebliche Eingriffe durch Übersetzer:innen erfordern, reflektieren implizit bestehende Hierarchien zwischen Sprachen, denn im globalen Geflecht wird die kulturelle Dominanz von Sprachen auch durch den Eindruck ihrer schier grenzenlosen Assimilationsfähigkeit gefestigt. Immer noch haftet der Übersetzung ein Stigma an; Venuti spricht sogar vom ‚Skandal der Übersetzung‘. Übersetzung wird als minderwertige, unkreative und bloß derivative Praxis abgetan, die aber doch immensen Einfluss auf die Wahrnehmung anderer Kulturen nimmt (vgl. 1998: 1–4).
Seit der Veröffentlichung von Venutis The Translator’s Invisibility: A History of Translation (1995) hat sich Einiges getan und es gibt Anzeichen dafür, dass Übersetzungen und Übersetzer:innen nicht ganz so unsichtbar sind, wie von dem amerikanischen Übersetzungswissenschaftler nahegelegt. Venutis Thesen von der Unsichtbarkeit der Übersetzung wurden vielfach kritisch kommentiert – nicht zuletzt von ihm selbst (vgl. Venuti 2008) – und in diesem Zusammenhang maßgeblich relativiert. Verschiedentlich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass seine Behauptung der Unsichtbarkeit eben dezidiert mit Blick auf die Besonderheiten des amerikanischen Buchmarktes formuliert wurde und sie sich daher kaum problemlos auf andere Kontexte übertragen ließe.2 Anders als etwa in Deutschland, Italien, Frankreich, Brasilien oder Indien spielen Übersetzungen auf dem amerikanischen Buchmarkt tatsächlich eine vergleichsweise geringe Rolle. Während Übersetzungen in Erstauflage auf dem deutschen Buchmarkt im Jahr 2019 immerhin 12,45 % aller Publikationen ausmachten, lag der Wert in den USA bei nur ca. 3 % (vgl. Neumann 2021).3 Die viel beschworene ‚Bibliodiversität‘, die eine Möglichkeit der Erfahrbarkeit sprachlicher und kultureller Alterität bietet, ist damit recht niedrig. Aber auch in den USA sind Übersetzer:innen und Übersetzungen längst nicht mehr unsichtbar; gerade in den letzten Jahren sind viele übersetzte Werke aus ihrem Schattendasein hervorgetreten. Der Trend zur zunehmenden Monopolisierung des internationalen Buchmarktes durch die sogenannten ‚Großen Fünf‘ (gemeint sind Hachette, Harper Collins, Macmillan, Penguin Random House und Simon and Schuster) geht mit einer gegenläufigen Entwicklung einher, nämlich der Herausbildung etlicher unabhängiger Verlagshäuser, die, wie etwa Granta Books und Portobello Books, gerade auf den symbolischen Wert übersetzter Literaturen bauen (vgl. Thompson 2010; Vermeulen/Hurkens 2019).
Es gibt also auch eine andere Geschichte der Übersetzung, eine Geschichte der Sichtbarkeit, Profilierung und Agentialität – und diese Geschichte, eingeschlossen ihrer verschiedenen Theorien und Praktiken, will der vorliegende Sammelband exemplarisch mit Blick auf die Zielsprache Deutsch ins Zentrum stellen. Der Fokus liegt dabei auf textuell generierten Formen der Sichtbarkeit, die in der Agentialität der Übersetzer:innen gründet. Um dieser Sichtbarkeit auf die Spur zu kommen, lohnt ein Blick auf die Vieldeutigkeiten, die dem Begriff selbst eingeschrieben sind. Der Begriff ‚Übersetzung‘ impliziert nämlich nicht nur Bewegung; vielmehr ist er selbst ein paradigmatisches travelling concept (vgl. Bal 2002), ein Konzept, das zwischen verschiedenen Disziplinen, Ansätzen und Wissenschaftskulturen reist. Diese ‚Reisen‘ lenken den Blick auf semantische Polyvalenzen sowie die transformativen Dimensionen von Austausch und Relokation. Abgeleitet von dem altgriechischen Begriff metaphrásein (‚paraphrasieren‘, ‚übersetzen‘) lässt sich ‚Übersetzen‘ als Transfer „eines mobilen Guts von einem Ufer zum anderen“ (Borsò 2014: 32) verstehen und damit die Übertragung bzw. Setzung von Bedeutung akzentuieren.4 Aber gemäß der Etymologie lässt sich auch das ‚über‘ betonen, und aus dieser Perspektive stellt sich der Akt der Übersetzung als viel dynamischer, sogar als überbordend dar, nämlich „als Herausforderung der Bewegung“ (ebd.) zwischen Sprachen, zwischen Texten und Kulturen. Ins Blickfeld geraten dabei die wechselseitigen Verstrickungen, Veränderungen und Neuformationen des Eigenen und Fremden bzw. des Wörtlichen und Figürlichen, auf die der Begriff metaphrásein verweist (vgl. Cheyfitz 1991). Übersetzungen lassen sich als offene Prozesse der Bedeutungsübertragung verstehen, bei denen durch sprachliche Kreativität, semantischen Transfer und Verknüpfung Neues, also ein Drittes, entsteht. Sie bringen Veränderungen und ‚Ver-anderungen‘ hervor, die über Bestehendes hinausgehen und die beide durch sie ins Spiel gebrachte Sprachen in Bewegung versetzen. Impliziert sind damit die Instabilität und Polyvalenz innerhalb jeder einzelnen Sprache, „[t]he existence of two languages within a single language“ (Guldin 2016: 20), die den Wechsel und Übergang zwischen dem Wörtlichen und Figürlichen allererst ermöglicht.
Aber dass die der Etymologie eingeschriebene Dichotomie – zwischen dem Eigenen und dem Wörtlichen auf der einen Seite und dem Fremden, Figürlichen und Uneigentlichen