Für interessierte und schulisch engagierte Jugendliche besteht seit 1993 die Möglichkeit, eine erweiterte Allgemeinbildung zu erwerben (➔ Zur Geschichte der Berufsmaturität). Diese Berufslernenden besuchen an maximal zwei Tagen in der Woche die Berufsfachschule. Für die Bildungsinhalte stehen kleine Zeitgefässe, wenig Lektionen zur Verfügung. Dies bedeutet für die Lehrpersonen: viel Stoff – wenig Zeit. Angesichts dieser Herausforderung wird von den Unterrichtenden differenziertes didaktisches Vorgehen und ein stark ressourcenorientiertes Denken und Handeln gefordert, möglichst ohne Substanzverlust in den zu vermittelnden Fächern.
Schlüsselbegriffe
Berufsbildung, Berufsbildungsgesetz (BBG), Berufsbildungsverordnung (BBV), Verordnung über die berufliche Grundbildung, Berufsfachschulen (BFS), Berufsmaturität (BM), duale (triale) Ausbildung, Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ), Organisationen der Arbeitswelt (OdA)
Einführung in die Berufsbildung6
Die Berufsbildung ermöglicht den Jugendlichen den Einstieg in die Arbeitswelt und sorgt für Nachwuchs an qualifizierten Fachkräften. Sie ist arbeitsmarktbezogen und zugleich Teil des gesamtschweizerischen Bildungssystems. Die Berufsbildung ist im Bildungsgesamtsystem auf der Sekundarstufe II und der Tertiärstufe angesiedelt. Sie baut auf klar definierten Bildungsangeboten auf und zeichnet sich durch hohe Durchlässigkeit aus: Der Besuch weiterführender Bildungsangebote und Tätigkeitswechsel im Verlauf des Berufslebens sind ohne Umwege möglich.
Die Berufsbildung vermittelt zwei Dritteln der Jugendlichen in der Schweiz zunächst eine solide berufliche Grundlage. Sie ist Basis für lebenslanges Lernen und öffnet eine Vielzahl von Berufsperspektiven. Die Ausbildung in Betrieb und Berufsfachschule («duales System») ist die überwiegende Form der Berufsbildung. Über 200 Lehrberufe stehen zur Wahl. Neben der klassischen Ausbildung in einem Betrieb kann eine berufliche Grundbildung (Berufslehre) auch in einem schulischen Vollzeitangebot, etwa einer Lehrwerkstätte oder einer Handelsmittelschule, absolviert werden.
Die Ausbildungen orientieren sich an tatsächlich nachgefragten Berufsqualifikationen und an den zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätzen. Durch den direkten Bezug zur Arbeitswelt weist die Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eine der tiefsten Jugendarbeitslosigkeitsquoten auf.
An die berufliche Grundbildung schliesst die höhere Berufsbildung an. Die Bildungsangebote der berufsbildenden Tertiärstufe (Tertiär B)7 vermitteln spezifische Berufsqualifikationen und bereiten auf Kaderfunktionen vor. Die Berufsmaturität (BM) öffnet den direkten Zugang zu den Fachhochschulen (mit Ausnahme der pädagogischen Hochschulen). Umgekehrt ist das Berufsbildungssystem offen für Abgängerinnen und Abgänger von allgemeinbildenden Schulen.
Eine gemeinsame Aufgabe von drei Partnern
Berufsbildung ist eine partnerschaftliche Verbundaufgabe von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt (OdA).
Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) ist als Ausführungsorgan des Bundes zuständig für die strategische Steuerung und Entwicklung der Berufsbildung. Es trägt ein Viertel der Gesamtkosten der öffentlichen Hand und ist u.a. zuständig für die Qualitätssicherung und Weiterentwicklung des Gesamtsystems, den Erlass der über 200 Verordnungen über die berufliche Grundbildung und die Anerkennung von Bildungsangeboten der höheren Berufsbildung. Das früher zuständige Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) ist per 1. Januar 2013 im SBFI aufgegangen.
Die Kantone sind für den Vollzug, d.h. für die Umsetzung und Aufsicht über die Berufsbildung zuständig. Die 26 kantonalen Berufsbildungsämter sind die Vollzugsorgane auf kantonaler Ebene. Sie sind zuständig für die Lehraufsicht, die Berufsfachschulen und schulischen Vollzeitangebote sowie für Berufsinformations- und Berufsberatungsstellen und auch für das Lehrstellenmarketing. Ihre Tätigkeiten koordinieren sie im Rahmen der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK), einer Fachkonferenz der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK).
Die Organisationen der Arbeitswelt (OdA) definieren u.a. Bildungsinhalte, stellen Ausbildungsplätze bereit und entwickeln neue Bildungsangebote. Zu den OdA zählen Berufsverbände, Sozialpartner, andere zuständige Organisationen und Anbieter der Berufsbildung sowie Unternehmen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten Ausbildungsplätze für die berufliche Praxis bereitstellen und so ihren Nachwuchs sichern. Die Beteiligung der Firmen an der Berufsbildung ist freiwillig.
Die Lernorte
Der enge Bezug der beruflichen Grundbildung zur Arbeitswelt zeigt sich durch die drei Lernorte (wobei es neben der hier skizzierten «trialen Berufsbildung» zahlreiche weitere Varianten gibt, z.B. schulisch organisierte Grundbildungen oder Grundbildungen in öffentlichen Lehrwerkstätten; vgl. Wettstein/Gonon/Schmid i.V. [2014]).
•Betrieb: Die klassische berufliche Grundbildung (Lehre) findet in einem Betrieb statt, wo den Lernenden die berufspraktischen Fähigkeiten vermittelt werden. Kleinere Betriebe können sich auch zu einem Lehrbetriebsverbund zusammenschliessen. Solche Verbünde eignen sich für Unternehmungen, die nur über beschränkte personelle Kapazitäten verfügen oder aufgrund ihrer Spezialisierung nur einen Teil der Ausbildung anbieten können.
•Berufsfachschule: Sie vermittelt die schulische Bildung. Diese besteht aus beruflichem und allgemeinbildendem Unterricht. Es gibt mehrere Formen, den Verlauf der beruflichen Grundbildung zu organisieren: klassische Organisationsform mit ein bis zwei Tagen Schule und drei bis vier Tagen Betriebsphase über die ganze Dauer der beruflichen Grundbildung, degressives Schulmodell (zu Beginn mehr Schultage, im Verlauf nimmt der Schulanteil sukzessive ab), Basislehrjahre usw. Zu den Berufsfachschulen zählen auch schulische Vollzeitangebote (Lehrwerkstätten, Handelsmittelschulen usw.).
•Überbetriebliche Kurse: Sie dienen – ergänzend zur Bildung in Betrieb und Berufsfachschule – der Vermittlung und dem Erwerb grundlegender Fertigkeiten. Die überbetrieblichen Kurse finden häufig in brancheneigenen Lernzentren statt.
Die Berufsmaturität im System der Berufsbildung
Vorteile der Berufsmaturität aus der Sicht der Berufsbildung
•Bildungsangebot: Mit der Einführung der Berufsmatura ab 1993 (➔ Zur Geschichte der Berufsmaturität) hat die Berufsbildung ihr Angebot inhaltlich umfassend und auf hohem Niveau vervollständigt. Mit dem prüfungsfreien Zutritt zur Hochschulbildung ist die allgemeine Anerkennung der beruflichen Grundbildung gestiegen.
•Praxis und anspruchsvolle Bildung: Mit der Berufsmaturität wird eine anspruchsvolle Bildung auf Stufe der beruflichen Grundbildung angeboten, ohne dass der wertvolle Aspekt der Ausbildung in der Praxis verloren geht.
•Brachliegende Potenziale: Die Berufsmaturität kann während der beruflichen Grundbildung, aber auch später erworben werden. Mit der Berufsmaturität haben auch «Spätzünder/innen» die Möglichkeit, diese Chance wahrzunehmen.
•Weiterbildung: Je höher das Bildungsniveau, desto höher die Teilnahme an Weiterbildung. Berufsmaturität und Fachhochschule fördern grundsätzlich die Bereitschaft zur Weiterbildung.
•Berufsbildung als Tätigkeitsgebiet: Die Berufsmaturität trägt dazu bei, die Berufsbildung selbst als Tätigkeitsgebiet attraktiv zu machen.
•Verschiedene Organisationsformen: