In der OECD-Expertise werden neben der Erneuerung auf der Führungsebene weitere Gelingensbedingungen für den Turnaround genannt, die sich sowohl auf formalisierte Strukturen und Prozesse als auch auf informelle Beziehungen erstrecken.
Es sei ein förderliches Schulklima zu schaffen, bei dem nicht die Disziplinierung im Vordergrund stehe, sondern eine durch Respekt und Anerkennung geprägte pädagogische Beziehung. Diese Beziehung müsse durch eine hoch entwickelte Förderdiagnostik und durch Förderprogramme unterstützt werden, die vor allem Kindern und Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten zugutekommen (OECD, 2012, S. 119).
Es bedürfe einer Personalstrategie für die dauerhafte Rekrutierung von hoch qualifizierten Lehrpersonen und für ein Mentoring, das junge Lehrpersonen bei akuten Problemen entlastet. Der Turnaround müsse dadurch vorangetrieben werden, dass in den »Failing Schools« günstige Arbeitsbedingungen geschaffen werden; zudem müsse es auch finanzielle Anreize und berufliche Aufstiegschancen geben, die das Engagement wachhalten (OECD, 2012, S. 128).
Auf der Unterrichtsebene solle schülerzentrierten Aktivitäten ein hoher Stellenwert zukommen, die aber von einem kohärenten und anspruchsvollen Curriculum her definiert und strukturiert werden. Formative und summative Leistungsbeurteilungen sollten so kombiniert werden, dass die Schülerinnen und Schüler optimale Fortschritte erzielen (OECD, 2012, S. 136).
Die Zusammenarbeit mit Eltern, Gemeinden und anderen Anspruchsgruppen sei zu intensivieren. Namentlich Eltern, die bislang schwer von der Schule erreicht worden seien, müssten mit Nachdruck einbezogen werden; ihnen sollten »clear guidelines« an die Hand gegeben werden, wie sie ihre Kinder optimal fördern können (OECD, 2012, S. 142).
Die von der OECD ins Auge gefassten Schritte für den Turnaround erstrecken sich mithin auf Aspekte der Personalentwicklung, der Unterrichtsorganisation und der Einflussnahme auf die soziale Umwelt der Schule. Mehrfach wird die Steuerung über materielle Anreize ins Spiel gebracht, wobei die Umsetzung in vielen Ländern weitreichende Veränderungen bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen voraussetzen würde. Unabhängig von den arbeitsrechtlichen Aspekten stellt sich dabei die Frage, ob die Aufgabenvielfalt im Lehrberuf überhaupt eine aussagekräftige Leistungsbewertung ermöglicht, die in Gratifikationen umgemünzt werden kann. Nicht minder unklar ist, wie genau eine professionelle Hierarchisierung in Form eines pädagogischen Karrieremusters aussehen soll: Das schulische Aufgabenfeld weist viele Merkmale auf, die einer solchen Hierarchisierung entgegenstehen – wobei an erster Stelle die Tatsache zu nennen ist, dass die Interaktion von Lehrpersonen und Lerngruppen sich recht beharrlich als ein Kerngeschäft erweist, das durch eine professionelle Über- oder Unterordnung pädagogischer Akteure kaum erleichtert oder ergiebiger gestaltet werden kann.
Das Gelingen des Turnarounds ist gemäß der OECD-Expertise unter anderem an Testergebnissen von Schülerinnen und Schülern abzulesen, wobei weniger absolute Werte, sondern relative Wissenszuwächse zum Maßstab gemacht werden sollen. Zugleich legt die Expertise Wert darauf, dass Aspekte der Individualisierung und der Binnendifferenzierung nicht vernachlässigt werden dürften. Gleichwohl bleibt die Würdigung der schülerzentrierten Aktivitäten der Leistungsorientierung untergeordnet. Wenn es heißt, dass durch das Curriculum eine »culture of high expectations of success« (OECD, 2012, S. 136) vorangetrieben werden soll, dann ist diese Formel nicht frei von Ambiguitäten: Einerseits lässt sie sich so lesen, dass auch schwächeren Schülerinnen und Schülern ein Grundvertrauen hinsichtlich der eigenen Erfolgsaussichten vermittelt werden soll; andererseits öffnet sich ein weiter Interpretationsspielraum hinsichtlich der Frage, wem in einer solchen Kultur Enttäuschungen und Misserfolge anzurechnen sind. Die Versagensproblematik kommt gleichsam durch die Hintertür wieder ins Haus des Lernens zurück.
Bei mehreren Punkten der OECD-Expertise zu Gelingensbedingungen des Turnaround kommen finanzielle Aspekte ins Spiel – wobei zugleich relativierend darauf hingewiesen wird, dass es um Probleme geht, die mit Geld allein nicht zu lösen sind. Jedoch ist klar, dass deren Bewältigung finanzielle Ressourcen erfordert – und hier besteht dann das Risiko, dass sich Regierungen eher auf gute Nachrichten aus dem Bildungssystem konzentrieren und die Bildungsadministration zur Produktion von Erfolgsmeldungen anregen.2 Immerhin ist aber in demokratischen Systemen für Dissens gesorgt – und damit auch für die Möglichkeit, dass Schulen ihre Nöte an die Öffentlichkeit tragen. Im Frühjahr 2006 hat die Rütli-Schule in Berlin mit einem Hilferuf auf sich aufmerksam gemacht, der nicht nur den Senat, sondern auch die Massenmedien erreichte. In dem Appell wurde eine Schulwirklichkeit erkennbar, die durch ethnische Segregation und Vandalismus geprägt war und in der Schülerinnen und Schüler den Lehrpersonen mit unverhohlener Verachtung begegnet waren.3 Der Hilferuf stieß auf außerordentliche öffentliche Resonanz, die dazu führte, dass sich das Bild der Schule innerhalb weniger Jahre zum Positiven gewandelt hat.4 Erkennbar ist, dass die öffentliche Anteilnahme den Lehr- und Leitungspersonen sowie der ganzen Schule gutgetan hat – wobei die Anteilnahme mit der Reorganisation der Schulform und vielfältigen Unterstützungsangeboten verbunden war. Die spektakuläre Aktion hat insofern den erwünschten Effekt ausgelöst, wobei aber darauf hinzuweisen ist, dass Wiederholungen zu einer Desensibilisierung führen und dieser Schritt insofern nicht musterbildend wirken kann.
Die Wirksamkeit des Hilferufs der Rütli-Schule zeigt indirekt auch, dass hier ein Fall administrativer Vernachlässigung und öffentlicher Indifferenz vorlag: Nicht die Schule hat in diesem Fall versagt, vielmehr müssen sich politische Akteure ankreiden lassen, dass sie ihren Aufgaben nicht gerecht geworden sind. In diesem Sinne beginnt die Geschichte von »Failing Schools« damit, dass ihnen soziale Probleme aufgebürdet werden und sie bei deren Bewältigung sich selbst überlassen bleiben. Vor diesem Hintergrund stellt sich immer die Frage, was auf der Ebene der Bildungspolitik getan werden kann, um die Wahrscheinlichkeit deutlich zu verringern, dass Schulen in eine Notlage geraten.
Indes ist nicht damit zu rechnen, dass die Antworten auf diese Frage einhellig ausfallen. Schon bei den wissenschaftlichen Expertisen gehen die Ansichten weit auseinander: Während die einen in der Steuerung über Bildungsstandards und Leistungstests die »letzte Chance für gute Schulen« (so der Titel von Wössmann, 2007) sehen wollen, gilt anderen diese Form der Steuerung als korrumpierende Praxis, die letztlich katastrophale Konsequenzen zeitigen müsse: Die Rede von »Collateral Damage« (Nichols & Berliner, 2007) lässt gar an zivile Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen denken, die von zynischen Militärstrategen achselzuckend in Kauf genommen werden. Solche rhetorischen Zuspitzungen führen relativ schnell zu einer Konstellation, in der nicht mehr Argumente ausgetauscht, sondern nur noch Belege für eine dogmatisch festgelegte Position gesammelt werden. Der vorliegende Band zielt darauf ab, solche Zuspitzungen zu vermeiden und verschiedene Gesichtspunkte zum Stichwort »Failing Schools« in einer vergleichenden und abwägenden Perspektive zur Sprache zu bringen. Die Grundthese lautet, dass es keine Patentrezepte und Wundermittel für die Gestaltung von Bildungssystemen gibt – und dass die Eigendynamik dieser Systeme nicht unterschätzt werden sollte.
Der Beitrag von Carsten Quesel und Vera Husfeldt setzt beim Thema der marktorientierten Steuerung des Bildungswesens an. Autorin und Autor rekonstruieren bildungspolitische Diskussionen und Reformprozesse in England und den USA im Hinblick darauf, an welchen Kriterien das »Versagen« von Schulen festgemacht wird und wie die Effekte marktorientierter Steuerungsversuche zu bilanzieren sind.
Frans J. G. Janssens behandelt das Beispiel sehr schwacher Primarschulen in den Niederlanden, wobei er das Hauptaugenmerk auf die Arbeitsweise des Schulinspektorats legt und Effekte von Interventionen im Anschluss an kritische Diagnosen zur Schulqualität herausarbeitet. Dabei kann er sich zum einen auf eine starke niederländische Forschungstradition zur Schulqualität und zum anderen auf seine eigene Berufserfahrung im Inspektorat stützen.
Joachim Herrmann beschäftigt sich mit einer Unterstützungsmaßnahme für »Schulen in schwieriger Lage« im Stadtstaat Hamburg, die im Zeitraum von 2007 bis 2010 durchgeführt wurde. Er skizziert die Grundzüge des Programms und behandelt dann eingehend die Kernprobleme der Schulen, die in dieses Programm involviert waren. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen plädiert er dafür, der Schulkultur im Rahmen der Diskussion über die Problematik des Organisationsversagens mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Elisabeth