Während der ersten Tage waren einige kühne Geister – besonders Frauen – auf seiner Seite, zumal als die ›Illustrated-London-News‹ sein Porträt nach seiner im Archiv des Reformclubs hinterlegten Fotografie publizierte. Manche Gentlemen sagten dreist: ›Ei! Ei! Warum nicht? Man hat außerordentlichere Dinge gesehen!‹ Dies sagten vor allem die Leser des ›Daily-Telegraph‹. Aber man merkte bald, dass dieses Journal selbst anfing, seine Zuversicht zu verlieren.
Wirklich erschien am 7. Oktober im Bulletin der königlichen Geographischen Gesellschaft ein langer Artikel, welcher die Frage von allen Gesichtspunkten aus betrachtete und das Unsinnige des Unternehmens klar auseinandersetzte. Nach diesem Artikel war alles dem Reisenden entgegen, Hindernisse, die in der Person und in der Natur begründet waren. Sollte das Projekt gelingen, musste ein wunderbares Zusammenstimmen der Ankunfts- und Abfahrtszeiten stattfinden; aber dieses Zusammenstimmen existierte nicht, konnte nicht stattfinden. Streng genommen kann man in Europa, wo verhältnismäßig kleine Bahnstrecken vorhanden sind, auf die Ankunft der Züge zu fest bestimmter Zeit rechnen; aber wenn sie in drei Tagen quer durch Indien zu fahren haben, sieben Tage durch die Vereinigten Staaten, konnte man wohl die Elemente eines solchen Problems auf ihre Genauigkeit setzen? Und sprachen nicht die Ausfälle der Maschine, Entgleisungen, Zusammenstöße, üble Witterung, Schneeverwehungen -sprach nicht dies alles gegen Phileas Fogg? War er nicht auf den Paketbooten während der Winterzeit den Windstößen oder Nebeln ausgesetzt? Ist es denn so selten, dass sich die besten Segler der überseeischen Fahrtlinien um zwei bis drei Tage verspäten? Nun konnte schon eine Verspätung, eine einzige, ausreichen, um die Kette der Verbindungen unwiederbringlich zu zerreißen. Wenn Phileas Fogg auch nur um einige Stunden für die Abfahrt eines Paketbootes zu spät kam, musste er das nächstabgehende abwarten, und durch diesen einzigen Umstand geriet seine Reise unwiderruflich in Gefahr. Der Artikel erregte großes Aufsehen. Fast alle Journale druckten ihn ab und die Aktien Phileas Foggs sanken außerordentlich.
Während der ersten Tage nach der Abreise des Gentlemans wurden über das Wagnis seines Unternehmens bedeutende Wetten abgeschlossen. Bekanntlich spielen die Wetter in England eine bedeutende Rolle: Wetter sind gescheitere und angesehenere Leute als die Spieler. Wetten liegt den Engländern im Blute. So stellten auch nicht allein die verschiedenen Mitglieder des Reformclubs bedeutende Wetten für oder gegen Phileas Fogg an, sondern auch die Masse des Publikums wurde von der Bewegung fortgerissen. Phileas Fogg wurde gleich einem Renner in eine Art ›studbook‹ eingetragen. Man machte auch ein Börsenpapier daraus und dieses wurde sogleich auf dem Handelsplatz London eingetragen. Man verlangte, man offerierte ›Phileas Fogg‹, fest oder auf Prämie und es wurden enorme Geschäfte gemacht. Aber fünf Tage nach seiner Abreise, nach dem Artikel im Bulletin der Geographischen Gesellschaft, fingen die Angebote an, häufiger zu werden. Phileas Fogg sank. Man bot paketweise. Nahm man es anfangs zu fünf, später zu zehn, so nahm man es jetzt schon nur noch um zwanzig, um fünfzig, um hundert.
Ein einziger Anhänger blieb ihm treu: der alte, gichtbrüchige Lord Albermale. Der ehrenwerte Gentleman, der an seinen Fauteuil gefesselt war, hätte sein Vermögen hergegeben, um die Reise um die Erde machen zu können, sei es auch in zehn Jahren! Und er wettete fünftausend Pfund zu Gunsten des Phileas Fogg. Und wenn man ihm, zugleich mit der Torheit des Projekts, dessen Unnützlichkeit nachwies, beschränkte er sich gewöhnlich auf die Antwort: »Ist die Sache machbar, so ist es gut, dass ein Engländer sie zuerst unternimmt!«
Nun war es dahin gekommen, dass die Anhänger des Phileas Fogg immer weniger wurden; jedermann trat, und nicht ohne Grund, seinen Gegnern bei; man nahm das Papier nur noch um hundertundfünfzig, um zweihundert gegen eins, als sieben Tage nach seiner Abreise ein völlig unerwartetes Ereignis zur Folge hatte, dass man es gar nicht mehr nahm. An diesem Tage, um neun Uhr abends, erhielt der Polizeidirektor der Hauptstadt folgende telegrafische Depesche:
›Suez nach London.‹
›Rowan, Polizeidirektor, Zentralverwaltung, Schottlandplatz.‹
Ich bin dem Bankräuber Phileas Fogg auf den Fersen. Schicken Sie unverzüglich Haftbefehl nach Bombay.
›Fix, geh. Agent.‹
Diese Depesche wirkte unverzüglich. Der ehrenwerte Gentleman trat von der Bühne und an seine Stelle ein Bankräuber. Seine in dem Reformclub aufbewahrte Fotografie wurde untersucht. Sie entsprach Zug für Zug der gerichtlich aufgenommenen Personenbeschreibung. Man brachte die geheimnisvolle Existenz des Phileas Fogg, sein abgesondertes Leben, seine plötzliche Abreise in Anschlag, und es schien offenbar, dass dieser Mann unter dem Vorwand einer Reise um die Erde und gestützt auf eine unsinnige Wette keinen anderen Zweck verfolgte, als den Agenten der englischen Polizei zu entwischen.
SECHSTES KAPITEL
Agent Fix zeigt eine Ungeduld, die nicht unbegründet ist.
J
ene Depesche betreffend Phileas Fogg wurde unter folgenden Umständen verbreitet:
Am Mittwoch, den 9. Oktober, wurde in Suez für elf Uhr vormittags das Paketboot ›Mongolia‹ erwartet, welches der ›Company peninsular and oriental‹ gehörte, ein eiserner Schraubendampfer mit Verdeck, von 2.800 Tonnen Gewicht und 500 Pferdestärken. Er machte regelmäßig die Fahrten von Brindisi nach Bombay durch den Suez-Kanal und war einer der schnellsten Segler der Kompanie, der die vorschriftsmäßige Geschwindigkeit von zehn Meilen in der Stunde zwischen Brindisi und Suez, und von 9 Meilen und 53 Hundertsteln zwischen Suez und Bombay fast immer übertraf. In Erwartung der Ankunft der Mongolia sah man am Kai ein Gedränge Einheimischer und Fremder, welche in dieser Stadt zusammenströmen, die kürzlich noch ein Flecken war, nun durch des Herrn von Lesseps großes Werk einer bedeutenden Zukunft sicher ist, – zwei Männer auf- und abgehen. Der eine derselben war der in Suez angestellte Konsularagent des Vereinigten Königreiches, welcher – trotz der ungünstigen Ahnungen der britischen Regierung und der schlimmen Prophezeiungen des Ingenieurs Stephenson – nun täglich englische Schiffe diesen Kanal passieren sah, welche so die bisherige Fahrt Englands nach Indien ums Kap der guten Hoffnung zur Hälfte abkürzte. Der andere war ein kleiner, magerer Mann, mit ziemlich gescheitem Gesicht und reizbar, der in auffallender Weise beständig mit den Augenbrauenmuskeln zuckte. Unter seinen langen Wimpern glänzte ein sehr lebhaftes Auge, dessen Feuer er jedoch nach Belieben zu löschen verstand. In diesem Augenblicke gab er Zeichen von Ungeduld zu erkennen, lief hin und her, konnte nicht ruhig auf der Stelle stehen. Dieser Mann hieß Fix und war einer jener ›Detectives‹ oder geheimen Agenten, welche die englische Polizei nach dem Diebstahl auf der Bank in die verschiedenen Häfen abgeschickt hatte. Sein Auftrag war, mit größter Sorgfalt alle Reisenden, die über Suez kamen, zu überwachen, und wenn ihm einer verdächtig vorkomme, ihm in Erwartung eines Haftbefehls im Stillen nachzureisen.
Eben, vor zwei Tagen, hatte Fix vom Direktor der Londoner Polizei die Personenbeschreibung des mutmaßlichen Diebes erhalten, nämlich die des vornehmen und wohl gekleideten Mannes, welchen man im Zahlungssaal beobachtet hatte. Der Detektiv, offenbar durch die für einen glücklichen Fang ausgesetzte, ansehnliche Prämie angespornt, wartete also mit leicht begreiflicher Ungeduld auf die Ankunft der Mongolia.
»Und Sie sagten, Herr Konsul«, fragte er zum zehnten Mal, »das Dampfboot müsse bald ankommen?«
»Jawohl, mein Herr«, erwiderte der Konsul. »Es ist gestern auf hoher See bei Port-Said gesehen worden und die 160 Kilometer des Kanals kommen bei einem solchen Segler nicht in Anschlag. Ich sage Ihnen nochmals, dass die Mongolia stets die Prämie von 25 Pfund gewonnen hat, welche die Regierung für jeden Vorsprung um vierundzwanzig Stunden vor der regulären Zeit ausgesetzt hat.«
»Dieses Paketboot kommt geradewegs von Brindisi?«, fragte Fix.
»Gerade