Reise um die Erde in 80 Tagen. Jules Verne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jules Verne
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783868209549
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Pendeluhr, welche Stunden, Minuten, Sekunden, Tag und Datum anzeigte. Nach seiner Gewohnheit sollte sich Herr Fogg Schlag halb zwölf Uhr aus dem Hause und zum Reformclub begeben. In diesem Augenblicke klopfte es an die Türe des kleinen Salons, worin sich Phileas Fogg aufhielt. Der gekündigte Diener trat ein.

      »Der neue Diener«, sagte er.

      Ein Bursche von etwa dreißig Jahren trat ein und grüßte.

      »Sie sind Franzose und heißen John?«, fragte Phileas Fogg.

      »Jean, wenn es ihnen beliebt, mein Herr«, erwiderte der neue Diener. »Jean Passepartout, ein Beiname, der mein natürliches Geschick, mich aus Verlegenheiten zu ziehen, bezeichnet. Ich glaube ein braver Bursche zu sein, mein Herr, doch, offen gesagt, ich bin schon mehreren Berufen nachgegangen. Ich war Bänkelsänger, Dressurreiter in einem Zirkus, voltigierte wie Leotard und tanzte auf dem Seile wie Blondin; darauf bin ich Lehrer der Gymnastik geworden, um meine Talente besser auszunutzen, und zuletzt Sergeant bei den Pompiers in Paris. Ich habe merkwürdige Brände auf meiner Liste. Nun aber habe ich Frankreich bereits seit fünf Jahren verlassen und bin, um das Familienleben zu genießen, Kammerdiener in England. Da ich jetzt ohne Stelle bin und vernommen habe, Herr Phileas Fogg sei der pünktlichste und zurückgezogenste Mann im Vereinigten Königreiche, so habe ich mich dem Herrn vorgestellt, in der Hoffnung, bei demselben ruhig zu leben, und selbst den Namen Passepartout zu vergessen ...«

      »Passepartout ist ganz passend für mich«, erwiderte der Gentleman. »Sie sind mir empfohlen worden. Man hat mir gute Auskunft über Sie gegeben. Sie kennen meine Bedingungen?«

      »Ja, mein Herr.«

      »Gut. Wieviel Uhr haben Sie?«

      »Elf Uhr zweiundzwanzig Minuten«, erwiderte Passepartout, indem er eine große silberne Uhr aus seiner Hosentasche hervorzog.

      »Sie sind in der Zeit zurück«, sagte Herr Fogg.

      »Verzeihen Sie, mein Herr, aber das ist nicht möglich.«

      »Um sieben Minuten sind Sie zurück. Gleichviel. Merken wir uns nur die Abweichung. Also, von diesem Augenblicke an, elf Uhr neunundzwanzig Minuten vormittags, Mittwoch, 2. Oktober 1872, sind Sie in meinem Dienst.«

      Hierauf stand Phileas Fogg auf, nahm seinen Hut in die Linke, setzte ihn mit einer automatischen Bewegung auf und verschwand ohne ein weiteres Wort zu sagen.

      Passepartout hörte, wie die Haustüre sich einmal schloss; sein neuer Herr ging hinaus; dann zum zweiten Mal; sein Vorgänger, James Forster, ging ebenfalls fort.

      Passepartout befand sich allein im Hause der Saville-Row.

      ZWEITES KAPITEL

      Passepartout hat sein Ideal gefunden.

      M

      einer Treu«, sagte sich Passepartout, der anfangs etwas verdutzt war, »ich finde, dass die Hampelmännchen bei Madame Tussaud ebenso lebendig sind, wie mein neuer Herr!« Die Hampelmännchen der Madame Tussaud sind nämlich Wachsfiguren, die in London sehr gerne gesehen wurden, und bei denen man in der Tat nur vermisste, dass sie nicht sprechen konnten.

      Während der wenigen Augenblicke, in denen er mit Phileas Fogg zusammen gewesen war, hatte Passepartout seinen künftigen Herrn schnell, aber doch genau gemustert. Der Mann von edler und schöner Gestalt, hohem Wuchs, dem einige Wohlbeleibtheit nicht übel stand, mochte etwa vierzig Jahre alt sein, hatte blondes Haar und Bart, eine glatte Stirn ohne auch nur einen Schein von Runzeln an den Schläfen, ein eher bleiches als gerötetes Gesicht, prachtvolle Zähne. Er schien in hohem Grade zu besitzen, was die Physiognomisten ›Ruhe in der Tätigkeit‹ nennen, eine Eigenschaft, die allen denen gemein ist, welche ihre Arbeit mit wenig Geräusch betreiben. Mit Seelenruhe und Phlegma ausgestattet, reinem Auge und unbeweglichen Wimpern, war er der vollendete Typus jener kaltblütigen Engländer, wie man sie im Vereinigten Königreiche ziemlich häufig antrifft, und deren etwas akademische Haltung Angelika Kaufmanns Pinsel zum Staunen treffend dargestellt hat. Sah man diesen Gentleman bei seinen verschiedenen Tätigkeiten, so gab er den Ausdruck eines Geschöpfes, dessen sämtliche Teile wohl im Gleichgewicht standen und richtig abgewogen waren, so vollkommen, wie ein Chronometer von Leroy oder Earnshaw. Und in der Tat war Phileas Fogg die personifizierte Genauigkeit, was man deutlich an ›der Stellung seiner Füße und Hände‹ sah; denn beim Menschen, wie bei den Tieren, sind die Glieder selbst ausdrucksvolle Organe der Leidenschaften.

      Phileas Fogg gehörte zu den mathematisch exakten Menschen, die niemals eilig und stets fertig mit ihren Schritten und Bewegungen sparsam sind. Er hob sein Bein nicht, ohne dass es nötig war, und ging stets den kürzesten Weg. Kein Blick nach der Decke war bei ihm vergeblich, keine Handbewegung überflüssig. Man sah ihn nie in Gemütsbewegung oder Unruhe. Kein Mensch auf der Welt war weniger hastig und doch kam er stets zu rechter Zeit. Es ist jedoch begreiflich, dass dieser Mann einsam lebte und sozusagen außer aller gesellschaftlichen Beziehung. Er wusste, dass es im Leben unvermeidlich Reibungen gibt, und da die Reibungen hemmen, so rieb er sich an niemandem. Was nun Jean, genannt Passepartout, betrifft, so war er ein echter Pariser, eben aus Paris, und hatte seit den fünf Jahren, in denen er in England wohnte und in London den Kammerdiener spielte, vergeblich einen Herrn gesucht, an den er sich fest anschließen konnte. Passepartout gehörte nicht zu denen, die sich in die Brust werfen, mit kecker Nase, zuversichtlichem Blick, trockenem Auge doch nur unverschämte Tölpel sind. Nein, Passepartout war ein braver Bursche mit freundlichem Gesicht, etwas vorstehenden Lippen, ein sanfter und geschmeidiger Charakter, mit so einem gutwilligen, runden Kopf, wie man ihn gerne auf den Schultern eines Freundes sieht. Er hatte blaue Augen, bräunlichen Teint, ein Gesicht, das voll genug war, um selbst die Wölbung seiner Wangen wahrzunehmen; breite Brust, starke Taille, einen Muskelbau von herkulischer Kraft, welche durch die Übungen seiner Jugendzeit erstaunlich entwickelt war. Seine braunen Haare spielten etwas ins Rötliche. Kannten die Bildhauer des Altertums achtzehn verschiedene Arten, das Haupthaar der Minerva zu ordnen, so wusste Passepartout für das seinige nur eine: drei Strich mit dem Scheitelkamm und der Hauptschmuck war fertig.

      Ob der mitteilsame Charakter dieses Burschen zu dem des Phileas Fogg passen würde, war der einfachsten Voraussicht nicht möglich zu sagen. Sollte wohl Passepartout der so gründlich exakte Diener sein, welchen sein Herr bedurfte? Das ließe sich nur aus der Erfahrung gewinnen. Nachdem er, wie wir wissen, eine ziemlich vagabundierende Jugend gehabt hatte, trachtete er nach einem ruhigen Leben. Da man ihm die regelmäßige Pünktlichkeit und sprichwörtliche Kälte der Gentlemen gepriesen hatte, so versuchte er in England sein Glück. Aber bisher hatte ihm der Zufall wenig geholfen; er hatte nirgends Wurzel fassen können und schon zehnmal den Herrn gewechselt. Überall war man phantastisch, ungleich, abenteuerlich, von Land zu Land schweifend, – was zu Passepartout nicht mehr passen konnte. Sein letzter Herr, der junge Lord Longsferry, Parlamentsmitglied, kam oft, wenn er seine Nacht in den ›Austernstuben‹ Haymarkets verbracht hatte, auf den Schultern der Polizisten nach Hause. Passepartout, der vor allen Dingen seines Herrn Ehre bewahren wollte, wagte einige respektvolle Bemerkungen, die üble Aufnahme fanden, und er kündigte den Dienst auf. Darauf hörte er, Phileas Fogg, Sq., suche einen Diener und erkundigte sich über ihn. Ein Mann von so geregeltem Leben, der nicht auswärts schlief, keine Reisen machte, niemals auch nur einen Tag abwesend war, konnte ihm nur angenehm sein. Er stellte sich vor und wurde, wie wir wissen, angenommen.

      Passepartout befand sich also, nachdem halb zwölf vorüber war, allein im Hause der Saville-Row. Sogleich machte er sich daran, es vom Keller bis zum Speicher zu besichtigen. Dieses reinliche, geordnete, strenge, puritanische, wohl für den Dienst eingerichtete Haus gefiel ihm. Es machte auf ihn den Eindruck eines schönen Schneckenhauses, das jedoch mit Gas erleuchtet und geheizt war, denn der kohlenstoffhaltige Wasserstoff war darin hinreichend für alle Bedürfnisse der Beleuchtung und Erwärmung. Passepartout fand im zweiten Stock leicht das für ihn bestimmte Zimmer, und es gefiel ihm. Durch elektrische Glocken und Hörrohre stand es mit den Gemächern des Zwischenstocks und der ersten Etage in Verbindung! Auf dem Kamin stand eine elektrische Uhr, welche mit der Uhr im Schlafzimmer von Phileas Fogg übereinstimmte,