»Sizequeen war Herberts Idee. Er hatte immer gute Ideen für neue Formate.« Der dicke Mann hatte gar nicht zugehört. »Er war ein Visionär, verstehen Sie?«
»Sicher, und wie Sie eben andeuteten, hatte Herbert Veicht Ideen, die nicht auf jedermanns Zustimmung stießen. Mit anderen Worten: Hatte Ihr Kompagnon Herbert Veicht Feinde und wenn ja, wen?«
»Feinde?« Das Wort schien Dieter Koziol zurück in die Gegenwart zu holen. Er betupfte seine Oberlippe, auf der sich neue Schweißperlen gebildet hatten, mit dem Taschentuch. »Sicher. Doch seine Feinde sind gleichzeitig meine, denn wir betreiben die Firma als gleichberechtigte Partner, auch wenn mein Name im Firmennamen nicht auftaucht. Wir haben ständig Ärger mit den Kirchen, das erwähnte ich bereits. Wirklich teilweise amüsant, was da an Vorwürfen kommt. Und mit verschiedenen konservativen Kräften gibt es immer Probleme, auch wenn dieselben konservativen Kräfte sich paradoxerweise vehement für die totale Freigabe des Fernsehmarktes einsetzen. Doch ich könnte Ihnen jetzt niemanden benennen, der sich besonders aggressiv mit uns auseinander gesetzt hätte.« Er sprang mit erstaunlicher Behändigkeit aus seinem Ledersessel, schnappte sich den Telefonhörer vom Schreibtisch und bestellte bei seiner Sekretärin vier Espressi, ohne die Polizisten nach ihren Wünschen zu fragen. »Ich brauche jetzt jedenfalls einen starken Kaffee, bin bekennender Koffeinjunkie«, sagte er und ließ sich wieder tief in sein Fauteuil fallen.
»Bekommen Sie Drohbriefe oder Schmähschreiben?«
»Sicher.« Koziol lachte trocken und sein Doppelkinn glich einem Wackelpudding. »Jede Menge. Obwohl das meiste wohl an die TV-Sender direkt geht, nicht an die Produktionsfirmen. Aber wir haben Aktenordner davon. Meist nicht ernst zu nehmender Kinderkram voller Rechtschreibfehler. Die Schreiben, die wir ernst nehmen, gehen natürlich zur Überprüfung an die Polizei. Wir heben aber auch alle anderen auf, für alle Fälle, falls ja doch mal was passiert und die Polizei …« Er brach ab und starrte einige Sekunden bewegungslos vor sich hin. Dann entfuhr ihm ein lautes Schluchzen. Wasser stieg in seinen Augen auf wie eine Springflut.
»Herbert war mein bester Freund, verstehen Sie?« Nun heulte der Fernsehproduzent los. »Wir kennen uns schon, seit wir zwölf waren«, sagte er stockend unter Tränen, während er in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch suchte. »Seit genau vierzig Jahren! Eine halbe Ewigkeit. Wir sind immer gemeinsam durch dick und dünn gegangen. Und nun ist er weg. Einfach weg. Was für ein krankes Hirn ist zu so etwas fähig?«
Pfeffer gab Freudensprung leise die Anweisung, ins Sekretariat zu gehen und die Aktenordner mit den Drohbriefen sicherzustellen. »Und wenn du die Sachen ins Büro gebracht hast, Paul, gehst du bitte nach Hause und schläfst dich aus.«
Annabella Scholz lief mit federnden Schritten und hinter dem Rücken verschränkten Armen langsam durch das Büro und vermied es, das weinende, dicke Häufchen Elend anzusehen.
Dann beugte sich Pfeffer vor und berührte mitfühlend Koziols Knie. »Gehts wieder?«, fragte er, nachdem sich der Fernsehproduzent kräftig geschneuzt und zurücklehnte hatte. »Gut. Bliebe noch die Frage nach persönlichen Feinden.«
»Ich weiß nicht«, antwortete Koziol mit erstickter Stimme, immer noch nach Fassung ringend. »Herbert hat immer viel gearbeitet und sein persönlicher Bekanntenkreis deckte sich weitgehend mit dem beruflichen. Und da ich sein bester Freund war, kenne ich eigentlich all seine Bekannten. Da wäre meines Wissens keiner dabei, der finstere Pläne gehegt hat. Warum auch.«
»Und seine Frauen?«
»Dass er mehr als eine hatte, haben Sie also schon herausgefunden.« Dieter Koziol lachte keuchend und schniefte kurz. Dann schneuzte er sich erneut geräuschvoll. »Suzi lebt heute auf Ibiza, das war seine erste Frau. Die war seit Jahren nicht mehr in Deutschland. So weit ich weiß, war es auch eine einvernehmliche Scheidung, ganz ohne böses Blut. Dann kam Noemi, das ging aber nur drei Monate gut. Sie ist heute mit einem Schönheitschirurgen verheiratet. Ich glaube nicht, dass die irgendwelche Rachegedanken gegen Herbert gehegt hat. Dazu war sie zu sehr auf Geld und Prestige fixiert, das hat sie jetzt alles in Hülle und Fülle. Nummer drei war Luna, die hieß eigentlich Gaby, aber das war ihr wohl zu spießig. Die ist so tief im Esoterikwahn versumpft, bis es sogar Herbert zu viel wurde. Mein Kompagnon hatte leider nie ein gutes Händchen mit seinen Frauen. Wissen Sie, ich bin seit siebenundzwanzig Jahren verheiratet – mit ein und derselben Frau. Und ich bin immer noch in sie verliebt. Herbert konnte das nie nachvollziehen. Kaum wackelte ein hübsches Ding mit dem Hintern, war es um ihn geschehen. So hat ihn auch die derzeitige Madame aufgegabelt. Sie heißt Bambi, auch Miss Bothox genannt. Die heißt wirklich mit Vornamen Bambi, das steht in ihrem Pass.«
»Wir haben seine Frau bisher nicht erreichen können«, sagte Max Pfeffer.
»Kein Wunder. Sie leben schon längst in Scheidung. Die treibt sich sicher irgendwo mit ihrem aktuellen Begleiter herum. Warten Sie ein paar Minuten …«, Koziol sah auf seine Uhr, »… dann können Sie sie live erleben. Sie kommt für gewöhnlich um diese Zeit vorbei, um Herbert das Leben zur Hölle zu machen. Wissen Sie, Sigmund Freud hat mal behauptet, Anatomie sei Schicksal. Nun, der gute Mann irrte auch hier. Siehe Bambi. Ich warne Sie, erschrecken Sie nicht, wenn Sie sie sehen.«
Max Pfeffer erschrak trotzdem und Annabellas Augen wurden zu schmalen Schlitzten, als Bambi Veicht einige Zeit später ins Büro rauschte. Die Frau konnte jedes Alter zwischen siebzehn und siebzig haben, denn ihr totoperiertes, straffgezurrtes Gesicht glich einer Maske. Ihr stromlinienförmig magergehungerter Körper steckte in einem knappen geblümten Sommerkleid. Die Brüste, die sich darunter abzeichneten, standen so hoch und fest, dass kein Zweifel darüber herrschen konnte, womit sie gefüllt waren. Die langen rabenschwarzen Haare wurden von einer lässig hineingesteckten Designersonnenbrille zurückgehalten. Sie war eines jener seltsamen Wesen, die heute von den Medien in nicht nachvollziehbarer Weise als »schön« bezeichnet wurden. Bambis Stilettos knallten bei jedem Schritt auf dem Parkett und ihre schrille Stimme quäkte: »Wo ist Herbert? Warum glotzen mich die da draußen alle mit so komischen Kuhaugen an? Wo steckt dieser Feigling? Versteckst du ihn hier, Dieter?«
»Herbert versteckt sich nicht …«
»Schon recht. Was bildet der sich eigentlich ein, dein sauberer Kompagnon? Siebentausend Euro! Das hat er mir allen Ernstes über seinen Scheißanwalt als monatliche Apanage angeboten. Siebentausend! Bin ich eine Putze, oder was? Wie soll ich davon bitteschön leben? Wie sollen wir davon bitteschön leben, mein Schnuckiputzi?«
Bambi Veicht beugte sich hinunter und Max Pfeffer nahm erst jetzt den kleinen Yorkshire-Terrier wahr, der mit hechelnder Zunge um die Füße seines Frauchens wuselte. Das Tier trug eine rosa Schleife im Haar und glotzte denkbar unintelligent.
Beim Aufrichten bemerkte Bambi den Polizisten. Ob sie auch die Polizistin wahrgenommen hatte, ließ sie sich nicht anmerken. Sie musterte Pfeffer unverhohlen und mit Kennermiene von oben bis unten. Pfeffer stand auf, weil er sie begrüßen wollte. Doch Bambis Blick war von seinen samtigen Kuschelaugen über die breite Brust und den flachen Bauch hinunter zu seinem Schritt geglitten.
»Und wer ist das, Dieter?« Sie wandte sich an Pfeffer. »Hör zu, Schätzchen. Die Superschwanzparade wird gerade draußen abgehalten. Und nimm deine kleine Freundin da gleich mit. Wir haben Geschäftliches zu besprechen. Ciao, Bello.«
Pfeffer verzog keine Miene und hielt der Frau seine Hand hin. »Maximilian Pfeffer, Kriminalrat. Mordkommission. Angenehm, und Sie sind Frau Bambi Veicht, nicht wahr?«
Bambi starrte ihn an, gab sich aber keine Mühe rot zu werden. In Sekundenbruchteilen schaltete sie von Zicke auf kokett. »Kriminalrat. Das ist mehr als Kommissar, nicht wahr? Richtig. Ich bin Bambi. Ebenfalls angenehm. Womit kann ich Ihnen dienen?« Sie schüttelte Pfeffers Hand eine Idee zu lange und schenkte ihm einen Augenaufschlag, der frech sein sollte. Doch blieb ihr Gesicht, dessen Muskeln durch das Nervengift Bothox gelähmt waren, maskenhaft unbewegt. Pfeffer fragte sich, ob sie wohl auch beim Sex so ausdruckslos schauen würde.
Dieter Koziol stöhnte deutlich vernehmbar. »Gib dir keine Mühe, Bambi«, sagte er ärgerlich. »Der Kriminalrat hat eine unangenehme Mitteilung für dich. Bitte, Herr Pfeffer, nur zu, sagen Sie es ihr.« Dieter Koziol sah Pfeffer begierig an, keine Frage,