Ich will! – Intrinsische Motivation als Grundlage
Eine lebenslange Anstellung wird seltener werden, ebenso wie das Verweilen im einmal gelernten Beruf. Berufsbilder verändern sich. Entwicklungen der Technologien und Märkte lassen Berufe verschwinden und schaffen gleichzeitig andere, neue berufliche Möglichkeiten. An die Stelle der rein fachlich ausgerichteten Berufslehre tritt ein ganzheitlicher Ansatz der Persönlichkeitsentwicklung. Dies bedingt ein völlig neues Rollenverständnis der am Berufsbildungsprozess Beteiligten. Die Lernenden planen und steuern ihren Ausbildungsplan weitgehend selbst. Dabei erwerben sie auch die Fähigkeit, ein Ziel zu beschreiben, dieses zu kommunizieren und die Handlungsweisen danach auszurichten. Die Berufsbildung Swisscom spricht dementsprechend junge initiative Menschen an, die bereits während der Schulzeit ein gewisses Maß an Selbstständigkeit entwickelt haben. Der Gedanke der Eigenverantwortung ist ihnen nicht fremd, weil sie ihr Leben und damit auch ihre berufliche Entwicklung nach eigenen Vorstellungen gestalten möchten. Sie sind offen, engagiert, neugierig und kommunikativ. Und sie möchten bei der Festlegung ihrer Ziele mitreden, können aber auch zuhören und sind in der Lage, sich anzupassen und in ein Team einzufügen. Ihr Credo ist nicht «Ich muss», sondern «Ich will». Aus dieser Einstellung schöpfen sie die Motivation, ihr Bestes zu geben.
Wie wir lernen, was wir können – Kompetenzentwicklung und Lernbegleitung
Der Wissenschaftstheoretiker John Erpenbeck und der Psychologe Lutz von Rosenstiel vertreten die Auffassung, dass es kein einheitliches Begriffsverständnis von Kompetenz gibt.[16] Gemäß den Autoren wäre es aber auch verfehlt, auf ein einheitliches Verständnis im Sinne verbindlicher Charakterisierungen und Messverfahren zu hoffen, da die Phänomene, auf die der Begriff verweist, zu komplex und die Gebiete, in denen er Bedeutung gewinnt, zu vielfältig sind. Wenn wir Menschen zum Beispiel bei der Programmierung einer Website oder bei der Präsentation einer Auswertungsstatistik beobachten, sehen wir nicht die Kompetenz. Es ist das Agieren und Zeigen von Kompetenz in der Situation, die Performanz. Damit ein Individuum seine «Performance» überhaupt erbringen kann, muss es aber auf Ressourcen zurückgreifen können. Kompetenzen werden aus Ressourcen entwickelt und in konkreten Situationen als Performanz unter Beweis gestellt. Dabei ist Kompetenz aber nicht einfach die Ansammlung von Ressourcen, sondern deren Kombination in der jeweiligen Situation. Es kommt nicht nur darauf an, ob ein Mensch auf seine Ressourcen zurückgreifen kann, sondern ob er auch darauf zurückgreifen will. Dementsprechend sind Ziele, persönliche Bedürfnisse, Werthaltungen oder persönliche Einstellungen (z. B. motivationale Faktoren) entscheidende Aspekte bei der Entwicklung von Kompetenzen.
Bei der Berufsbildung Swisscom gestalten die Lernenden ihren Ausbildungsplan und somit ihre Lehre selbst. Anhand von berufsspezifischen Bildungsverordnungen und Bildungsplänen legen sie ein Soll-Profil an Kompetenzen fest, die sie in der Praxis, das heißt in den unterschiedlichen Projekten, erarbeiten werden. Zum Schluss ihrer Lehrzeit entspricht ihr Ist-Kompetenz-Profil dem Soll-Profil. Bei dieser spannenden und auch anspruchsvollen Aufgabe werden sie durch eine Lernbegleiterin oder einen Lernbegleiter unterstützt. Im Gegensatz zu den wechselnden Fachverantwortlichen in ihren Projekten bleibt die Lernbegleitung bis ans Ende der Lehre dieselbe Person, um die persönlichkeitsorientierte Entwicklung der Lernenden fördern und fordern zu können (mehr dazu in Teil 2, Kapitel 2 und 3).
Sich beweisen dürfen und müssen – Markt statt Plan
Damit ein Ausbildungsmodell funktioniert, muss es auf die jeweilige Organisation ausgerichtet sein. Es hängt von deren Merkmalen ab, zum Beispiel von den Visionen, Strategien, Kulturen, Prozessen, den Kundinnen und Kunden und von den Werten. Gerade Werte werden jedoch nicht wie anderes Wissen gelernt. Nur verinnerlichte Werte sind richtungsweisend bei Entscheidungsprozessen unter kognitiver Unsicherheit. Sie bestimmen die Bewertung und Neuordnung von vorhandenem Wissen im Selbstorganisationsprozess.[17]
Bei der Berufsbildung Swisscom arbeiten und lernen die Lernenden vom ersten Tag ihrer Lehre an in Praxisprojekten. Alle Mitarbeitenden aus allen Geschäftsbereichen können Projekte auf einem elektronischen Projektmarktplatz ausschreiben. Als Projekt wird dabei eine zeitlich begrenzte Arbeit von einem Tag bis maximal sechs Monate verstanden, die anhand eines Tätigkeitsbereichs (z. B. IT-Software-Entwicklung), Aufgaben (z. B. Installation und Support von Applikationen) und Verantwortlichkeiten (z. B. Projektleiter/-in) ausgeschrieben ist. Ergänzt wird der Projektausschrieb mit Informationen zum Standort (z. B. Bern), erwünschten Qualifikationen und Fähigkeiten (z. B. Kennen von IP-Netzwerk-Design), den erwarteten und zu entwickelnden Kompetenzen (z. B. Kundenorientierung) sowie Freitext für weitere Informationen (z. B. Vorteile und Möglichkeiten). Die Lernenden suchen sich mögliche Projekteinsätze aus und bewerben sich darauf. Die Berufsbildung Swisscom setzt also auf einen Projektmarktplatz-Ansatz, der viel Selbstständigkeit und Eigenverantwortung erfordert.
Im Rahmen von «Work Smart»[18] fördert und lebt Swisscom flexible Arbeitsformen, um eine Individualisierung der Arbeitsbedingungen nach Lebenssituationen zu ermöglichen und die besten Talente anzuziehen. Mit den flexiblen Arbeitsformen entspricht Swisscom dem Bedürfnis nach orts- und zeitunabhängiger Arbeit und dem Wunsch, Arbeit selbstorganisiert einzuteilen. Die Lernenden erhalten dementsprechend ein Handy, einen Laptop oder ein Tablet und ein Generalabonnement 2. Klasse für den Schweizer öffentlichen Verkehr. Dies ermöglicht es ihnen, sich in unterschiedlichen Projekten und Teams sowie an verschiedenen Standorten weiterzuentwickeln.
Wen wir brauchen – Mitarbeitende der Zukunft
Die ICT-Berufsbildung Schweiz, die landesweit tätige Organisation der Arbeitswelt (OdA) für das Berufsfeld der Informations- und Kommunikationstechnologie, gab am 13. September 2018 die Ergebnisse der ICT-Fachkräftestudie bekannt.[19] Die Studie prognostiziert bis zum Jahr 2026 einen zusätzlichen Bedarf an 40 000 Fachkräften, der trotz Bemühungen in der Aus- und Weiterbildung nicht gedeckt werden könne. Die Fachkräftestudie zeigt auf, dass die ICT-Branche weiterhin eine boomende Nachfrage in den Bereichen Programmierung, Beratung, Betrieb und Cloud-Services aufweist. Im Zuge der demografischen Entwicklung werden zudem die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation bis 2025 in den Ruhestand gehen. Damit wird der Wettbewerb um Talente in der Berufsbildung eher noch zunehmen. Swisscom muss proaktiv auf mögliche Kandidaten und Kandidatinnen auf dem Arbeitsmarkt zugehen, da sie sich immer weniger darauf verlassen kann, Bewerbungen auf Stelleninserate zu bekommen. Dazu kommt eine zunehmende Notwendigkeit, nach innen zu schauen, nämlich vermehrt selbst die Entwicklung der Mitarbeitenden zu unterstützen, weil gesuchte «fertige» Kompetenzprofile nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt zu finden sind. Die Berufsbildung Swisscom kann hier gleichermaßen Unterstützung und Mehrwert bieten.
Im beschriebenen Berufsbildungsmodell von Swisscom haben Mitarbeitende der Zukunft ausgeprägte Selbst-, Sozial- und Methodenkompetenzen. Auf der Grundlage langjähriger Erfahrungen mit dem Berufsbildungsmodell lässt sich das gleichermaßen spannende und anspruchsvolle Profil wie folgt zusammenfassen: Er/sie ist insbesondere engagiert, neugierig, kreativ und flexibel; er/sie kann gut mit anderen Menschen zusammenarbeiten und hat eine ausgeprägte Reflexionsfähigkeit. Dank diesen Kompetenzen gelingt es ihm/ihr, seine/ihre fachlichen Skills gezielt (weiter) zu entwickeln und seinen/ihren eigenen Lernprozess selbstgesteuert zu gestalten.
Das Interesse an einer Ausbildung bei Swisscom ist heute ungebrochen hoch. Für die jährlich rund 250 Lehrstellen erhält das Unternehmen rund 7000 Bewerbungen. Um entsprechend dem Berufsbildungsmodell passende Lernende zu finden, setzt die Berufsbildung Swisscom aktuell auf einen dreistufigen Rekrutierungsprozess.
Dreistufiger Rekrutierungsprozess
• Grobselektion (Beurteilung des Dossiers anhand definierter Kriterien sowie ein kurzes Videointerview von ungefähr 10 Minuten).
• Feinselektion (Interview von ungefähr 45 Minuten vor Ort mit zwei Mitarbeitenden