Clemens G. Arvay: Ich zitiere noch einmal die psychologische Glücksforschung: Glückliche Menschen zeichnen sich statistisch durch Folgendes aus: Sie haben ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl, sie sind optimistisch, sie gehen aus sich heraus und sind auch zu ihren Mitmenschen liebenswürdig, sie haben enge Freundschaften oder sie sind glücklich verheiratet. Sie gehen Tätigkeiten nach, bei denen sie ihre Fähigkeiten einsetzen können, zum Beispiel in der Arbeit, aber auch in der Freizeit. Sie sehen in dem, was sie tun, Sinn oder haben eine sinnstiftende Weltanschauung, sie schlafen ausreichend und betreiben Sport. Das sind, statistisch betrachtet, die Faktoren, die mit dem Glücklichsein zusammenhängen, mit einem positiven Lebensgefühl3.
Roland Düringer: Okay, glückliche Menschen haben also die genannten Eigenschaften, so sagen die Wissenschaftler, also diejenigen, die Wissen schaffen. Nun sollte man fragen: Was war zuerst? Sind sie glückliche Menschen und deswegen haben sie diese Eigenschaften oder haben sie die Eigenschaften und sind deswegen glücklich? Was war zuerst, die Henne oder das Ei? Das ist die Frage.
Clemens G. Arvay: Das ist eine sehr gute Frage. Was die Psychologie jedenfalls ganz klar sagen kann, ist, womit das Glücklichsein und das positive Lebensgefühl nicht zusammenhängen: Es ist definitiv nicht das Alter, es ist nicht das Geschlecht und es ist nicht der Bildungsgrad.
Das Glück hängt auch nicht davon ab, ob man Kinder hat oder nicht. Es ist nicht die körperliche Attraktivität und es ist vor allem nicht der materielle Wohlstand4. Sicher, das sagt schon der menschliche Hausverstand. Aber immerhin lässt sich auch das nun wissenschaftlich beweisen. Es sind eben doch andere Werte, die glücklich machen, als das Materielle.
Ein weltbekannter Psychologieprofessor aus den USA, David G. Myers, hat zehn Ratschläge niedergeschrieben, die bei Befolgung angeblich glücklich machen. Einer davon lautet: „Machen Sie sich klar, dass anhaltendes Glück nicht vom finanziellen Wohlstand abhängt, behalten Sie die Entscheidungsfreiheit über Ihre Zeit.“
Andere Punkte sind:
„Suchen Sie sich eine Arbeit und Hobbys, bei denen Sie Ihre Fähigkeiten einsetzen können. Geben Sie engen Beziehungen den Vorrang. Blicken Sie über sich hinaus, zum Beispiel, indem Sie auch für andere etwas tun. Seien Sie dankbar für die positiven Aspekte in Ihrem Leben und pflegen Sie Ihr spirituelles Selbst“, also den Geist.
Dies sind die Empfehlungen eines international anerkannten Psychologen. Vieles davon deckt sich mit deinen eigenen Aussagen, vor allem beim Thema Zeit, also: „Behalten Sie die Entscheidungsfreiheit über Ihre Zeit. Suchen Sie sich eine Arbeit und Hobbys, bei denen Sie Ihre Fähigkeiten einsetzen können.“
Roland Düringer: Das meiste davon kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Aber: Wenn die Rahmenbedingungen, in denen wir uns befinden, uns die Umsetzung erschweren, was machen wir dann? Wenn wir nicht das tun können, was wir gerne tun, nicht die Arbeit haben, die uns zufrieden stellt, sondern einfach irgendeine, um das Leben zu finanzieren. Daher – und weil es auch in der Liste dieses Psychologen steht – ist es gerade für Menschen, die in so einer glücklichen Lebenssituation sind, wie ich oder du, ganz wichtig, dass man oft „danke“ sagt, ganz egal, zu wem. Es ist nicht selbstverständlich. Und, dass man dann, wenn man in einer so glücklichen Lebenssituation ist, auch die Verpflichtung hat, von seinem Glück etwas abzugeben, es zu teilen, in welcher Form auch immer. Es ist oft viel schöner, etwas zu geben, als etwas zu nehmen. Das ist eine alte Weisheit. Wenn man die Möglichkeit hat, etwas zu geben und jemandem wirklich Freude zu machen, auf sinnvolle Art und Weise, dann ist das ein großartiges Gefühl. Ich habe das am eigenen Leib erfahren.
Vor ein paar Jahren versteigerte ich einen Großteil meiner Autosammlung für einen jungen Mann namens Gerhard. Er sitzt nach einem Unfall im Rollstuhl. Ich erinnere mich gut daran, als Gerhard mich einmal nach einer meiner Vorstellungen ansprach. Er erklärte mir, dass er einen speziellen, behindertengerechten Wagen benötigte und sein Plan war, von mehreren Prominenten Objekte zu sammeln, um diese zu versteigern. Er fragte mich, ob ich ihm irgendetwas dafür überlassen konnte.
Ich antwortete ihm: „Ja, ich kann dir natürlich etwas geben, aber hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie viele Objekte du brauchst, um dir ein solches Auto zu kaufen?“ Ich wusste, wie viel das kostete, denn mein Schwager ist in einer ähnlichen Situation und besitzt so ein Auto. Es verschlingt ein Vermögen.
Ich hielt Gerhards Wunsch im Hinterkopf: „Kommt Zeit, kommt Rat.“ Als ich etwa ein halbes Jahr später in meiner Halle stand und mir meine Autos ansah, schwirrte ein Gedanke durch meinen Kopf: „Eigentlich hätte ich lieber eine leere Halle.“
Ich rief Gerhard an: „Wir verkaufen meine Autos und du kannst dir für den Erlös zumindest einen Teil deines Wagens finanzieren.“ So taten wir es dann. Für mich war es relativ einfach, die Aktion medial anzukündigen, gemeinsam mit der Motorzeitschrift „Autorevue“, dessen Chefredakteur ich kenne. Wir versteigerten in kürzester Zeit 13 Autos und es kam bei weitem mehr Geld für Gerhard zusammen, als ich zu träumen gewagt hatte. Er konnte sich sein Automobil damit vollständig finanzieren. Die Aktion war ein dreifacher Nutzen: Erstens bekam Gerhard sein Auto, das er dringend brauchte. Ich war unnötige Last los und die Menschen, die die Autos kauften, hatten – vielleicht nur kurzzeitig, aber doch – Freude daran.
Clemens G. Arvay: In unserer Gesellschaft ist es doch ungewöhnlich, dass jemand 13 Autos …
Roland Düringer: Ja, es ist ungewöhnlich, aber es gibt Menschen, die haben noch viel mehr Autos.
Clemens G. Arvay: Das meine ich nicht. Ich wollte sagen: In unserer Gesellschaft ist es doch ungewöhnlich, dass jemand 13 Autos für jemand anderen hergibt.
Roland Düringer: Nun ja, mich von diesen Autos zu trennen war etwa so, wie für andere, ein paar Fahrräder abzutreten. Ich verdiente damals wie gesagt mein Geld sehr leicht. Es war keine so besondere Leistung. In der Summe war es zwar ein schöner Betrag, der auch sinnvoll verwendet wurde, aber es war von meiner Seite aus nichts, worauf ich stolz sein musste. Ich hätte meine Autos auch einfach verkaufen können, hätte den Erlös behalten und mir vielleicht neues Industriegerümpel gekauft. Oder ich hätte das Geld auf die Bank gebracht, damit es im großen Weltcasino zirkuliert. Das Gefühl, Gerhard mit der Versteigerung eine Freude zu bereiten und damit etwas Sinnvolles zu tun, war deutlich besser.
Sinn im Leben
Clemens G. Arvay: Wir haben als Einzelpersonen eben beschränkte Möglichkeiten, wir können nicht die ganze Welt retten.
Roland Düringer: Das ist der springende Punkt: Viele glauben, sie müssten die Welt retten und schmieden gute Pläne, wie das gehen könnte. Sie haben Konzepte und Ideen dafür, gründen Vereine, vielleicht auch Parteien, Bewegungen. Ich aber glaube, dass kein Mensch auf die Welt kommt, um diese zu „retten“. Manche glauben natürlich auch, wir kämen auf die Welt, um uns selbst zu retten, um unsere Seele, unseren Geist zu retten. Wenn ich in meinem kleinen Umfeld einiges bewegen kann, wenn ich Sinn stiften kann in verschiedenen Bereichen, dann habe ich eigentlich die Welt gerettet. Denn was ist schon die Welt? Angeblich wissen wir das heutzutage: Seit jemand von oben ein Foto von unserem Planeten Erde gemacht hat, sehen wir zum Beispiel, dass die Erde rund ist, dass sie annähernd eine Kugel ist. Jeder von uns kann heutzutage in einem elektronischen Gerät nachsehen, was auf der anderen Seite der Erde passiert, wie es dort aussieht, das ist alles kein Problem mehr. Unsere Welt ist für uns also gleichbedeutend mit dem Planeten Erde, geht aber, wie mittlerweile ja bekannt, weit darüber hinaus. Immerhin waren ja schon Menschen auf dem Mond und wollen bis zum Mars und noch weiter. Wir wissen, dass es andere, fremde Galaxien gibt. Das sind für uns noch relativ neue Dinge. Die Lebenswirklichkeit des Menschen war aber schon immer seine eigene Umgebung. Wie weit ist man früher zu Fuß gekommen? Der Ort, in dem ich wohne, ist von Wien vielleicht 40 Kilometer entfernt. Der inzwischen verstorbene Opa meines Nachbarn und die Oma, die noch lebt, waren dennoch nicht öfter in Wien, als ihre Hände Finger zählen.
Ich bin mir sicher, dass ich hier in der Umgebung Menschen finde, die noch nie in Wien waren, weil es in