Es ist interessant zu beobachten, wie Impulse zur Abschaffung des in der Schule gezüchteten Konkurrenzverhaltens ausgerechnet aus der Arbeitswelt kommen, wo man längst begriffen hat, dass Leistung vor allem als Kooperations-Kompetenz Sinn macht. Und es ist die Arbeitswelt, die anstelle der Zensuren das Können ermittelt und als gemeinsame Währung eingesetzt sehen möchte. Persönlichkeiten in pädagogischen Berufen, die ihren pädagogischen Auftrag ernst nehmen, finden möglicherweise eher Verbündete in der Arbeitswelt und unter den in dieser Welt tätigen Eltern als in der verwalteten Welt des Schulwesens.
Entscheidendes Kriterium für den Erfolg bleibt der Bildungsprozess der Kinder und Heranwachsenden. Sein Gelingen vermittelt die Kraft zum Weiterarbeiten. Unsere Gesprächspartner haben die Erneuerung an der ihnen zugänglichen Stelle zu ihrer Sache gemacht. Sie durchschauen die Funktion der Bedenken, die ihnen anfangs von vielen Seiten als Grund dafür vorgetragen werden, lieber alles beim Alten zu lassen; anstelle dieses «Aber» neigen sie zum «wie»: «Wie schaffen wir das?»
In der Begegnung mit ihnen nehmen wir die Intensität ihres Engagements wahr und finden uns von ihrer positiven Haltung angesteckt.
Die Schule ist embryonische Gesellschaft und Gemeinschaft zugleich: Wie Antje Rümenapf im Odenwald ein ermutigendes Beispiel in die Welt bringt – Von Helmut Schreier
ANTJE
RÜMENAPF
Antje Rümenapf
*07.11.1960 in Göttingen
1987 Lehramt Grundschule
1998 Beratungstätigkeit «Integrative Begabtenförderung an Grundschulen»
2001-2003 Hilfsdezernentin am Staatl. Schulamt Erbach/Odenwald
2004-2013 Projektkoordination SINUS-Transfer Grundschule/Nawi
2005 Schulleitung der Grundschule Beerfurth/Odenwald und
2013 Stellvertretende Schulleitung Lindenhofschule Brensbach/Odenwald
Die Schule ist embryonische Gesellschaft und Gemeinschaft zugleich:
Wie Antje Rümenapf im Odenwald ein ermutigendes Beispiel in die Welt bringt
Von Helmut Schreier
Geographische Lage und organigraphische Situation der Schule
I
n der Mittelgebirgslandschaft des hessischen Odenwaldes mit seinen Streuobstwiesen, Buchenwäldern und Burgruinen, wo die Idylle des Naturparks Bergstrasse auf den Einfluss der nahegelegenen Ballungsräume Mannheim-Ludwigshafen und Hanau-Frankfurt-Wiesbaden trifft, liegt an der B38 zwischen Fränkisch-Crumbach und Reichelsheim der Ort Beerfurth. Folgt man dort dem grünen Wegweiser «Grundschule» durch schmale Gassen an den Fassaden von Fachwerkhäuschen vorüber in den Neubaubereich mit seinen Eigenheimen hinein, die genau so aussehen, wie sie überall in Deutschland aussehen, kommt man schliesslich ans Ziel, den weiten, asphaltierten Schulhof mit zwei entsiegelten Oasen voller Baumstämme und Schaukeln, eingerahmt im rechten Winkel von den flachen und einstöckigen weiss geputzten Schulgebäuden. Hinter dem Gebäude rechterhand als langgestreckter Riegel ein auffallend gepflegter Schulgarten und am unteren Ende, wo sich das Gelände öffnet, eine hölzerne Pergola – «das Naturklassenzimmer» – und der Rasen eines Bolzplatzes mit zwei Toren.
Schulleiterin Antje Rümenapf
Viel Platz für 70 Schulkinder. Und für sieben Lehrerinnen – die Schulleiterin unterrichtet selbstverständlich ebenfalls – und «locker zwanzig» (sagt die Schulleiterin) weitere Erwachsene, die in irgendeiner pädagogischen Funktion mit den Kindern und der Schule zu tun haben. Ich stelle mir das Zusammenwirken der hier dauernd oder zeitweilig pädagogisch tätigen Menschen nach dem Muster von konzentrischen Kreisen vor, mit dem Kollegium in der Mitte, dem Team von Betreuern und Fachleuten in einem zweiten Kreis drumherum, und in einem dritten Kreis alle, die in der Nähe leben und greifbar sind: Potenzielle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die bei sich bietender Gelegenheit rekrutierbar wären. Die Schule ufert organigraphisch gewissermassen über ihre administrativ vorgegebenen Grenzen hinaus. Im Zentrum die Leiterin, sie «fährt» das Unternehmen, indem sie Impulse gibt und die Menschen im Team ermutigt.
Bei einem unserer Gespräche singt sie mir den Refrain aus dem Schullied vor: «Unsre Schul’ hat keine Segel und fährt nicht auf’m Ozean, aber wie ein Schiff auf grosser Reise hat sie manches schon gesehn in all den Jahrn ... und als Käpt’n steht Frau Rümenapf auf dem Deck, ahoi!»
SINUS: Beispiel für Projekte
Ich kenne Antje Rümenapf von der Zusammenarbeit beim SINUS-Projekt Grundschule[1], einer Investition des Bundesbildungsministeriums aus dem Jahre 2004 zur Förderung des Anfangsunterrichts in Mathematik und Naturwissenschaft an deutschen Grundschulen. (Es war ausserdem der Versuch der Bundesministerin, die Kleinstaaterei der Länder mit ihren erbarmungslos eigenwilligen Bildungsplänen durch wechselseitigen Austausch in diesem Bereich abzumildern.) Wir trafen uns auf Tagungen und bei Workshops, die sie mit ihrem Kollegium besuchte, und im Lauf der folgenden sechs Jahre und der dabei zunehmenden SINUS- Erfahrung übernahm sie zusammen mit Kolleginnen Präsentationen zu Unterrichts-Themen – «Das Fliegen» war ein besonders ausgiebig recherchiertes Phänomen – oder zur Einrichtung von Forscherräumen und Forschungsprozeduren mit Kindern. Sie koordinierte die didaktische Strategie der hessischen Grundschulkollegien, die am naturwissenschaftlichen Teil des Projekts beteiligt waren.
Beim Besuch dieser Schulen im Jahre 2010 war mir aufgefallen, dass jede ihren eigenen «Forscherraum» zum Experimentieren eingerichtet hatte und dort den Königsweg des naturwissenschaftlichen Vorgehens zu vermitteln suchte – eine Vermutung aufstellen, die Vermutung überprüfen und das Ergebnis festhalten. Gleichzeitig waren die Schulen aber eigene Wege gegangen, was Einrichtung und Ausstattung, Themenwahl und Ausformulierung der Methode anging. Das Gleichgewicht zwischen zentraler Vorgabe und lokaler Eigeninitiative erschien wie ein gutes Omen für die Aussicht auf den dauerhaften Erfolg des SINUS-Impulses. Es gestattet die Aussage: Das haben wir selbst aufgebaut. Und das, was von den Lehrkräften selbst entwickelt und aufgebaut wird, hält länger als das, was durch Vorgaben in die Welt kommt.
«Um eine gute Idee am Leben
zu halten, sind Menschen
nötig, die diese Idee zur
Anwendung bringen.»
Inzwischen ist das SINUS-Projekt ausgelaufen, die Mittel für Fortbildung und Material sind aufgebraucht, und die über Jahre hin angekurbelten Aktivitäten zum naturwissenschaftlichen Lernen haben sich überall auf einem im Vergleich niedrigeren Niveau als noch vor wenigen Jahren eingependelt, wie mir scheint.[2]
In der Schule in Brensbach, die Antje seit einem Jahr neben der benachbarten Schule in Beerfurth leitet[3], fällt mein Blick auf die roten Koffer mit Material zu naturwissenschaftlichen Versuchen, die vom Verlag cvk in den siebziger Jahren (vor nahezu einem halben Jahrhundert) an Tausende von Grundschulen in der Bundesrepublik Deutschland verkauft und im Unterricht vermutlich anfangs über einige Jahre eingesetzt worden sind – so lange der bildungspolitisch eingespielte naturwissenschaftliche Impuls im Sachunterricht anhielt, der damals durch die Curriculum- Orientierung nach amerikanischem Vorbild ausgelöst worden war. Jetzt liegt der Stapel roter Koffer auf dem Schrank, seit Jahrzehnten von Menschenhand – jedenfalls für Unterrichtszwecke – unberührt. Ich sehe die gleiche Koffersammlung in vielen Schulen, meist auf den Schränken in den Lehrerzimmern, eine Illustration der zynischen Vorstellung, wonach all die guten Impulse und Reformbestrebungen zur Verbesserung