Existenzielle Psychotherapie. Irvin D. Yalom. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Irvin D. Yalom
Издательство: Bookwire
Серия: EHP-Edition Humanistische Psychologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783897976061
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glaubst du: Würde er gerne von dort weggehen?«

      »Er würde gerne herauskommen, aber der Sarg ist zugenagelt.«

      »Wenn er nicht im Sarg wäre, könnte er zurückkommen?«

      »Er könnte nicht den ganzen Sand hochstoßen.«

      H.G. (8 Jahre, 5 Monate): »Die Leute glauben, dass tote Menschen fühlen können.« »Und können sie das nicht?«

      »Nein, sie können nicht fühlen, es ist, als wenn sie schlafen. Schau, ich schlafe, ich fühle es nicht, außer wenn ich träume.«

      »Träumen wir, wenn wir tot sind?«

      »Ich glaube, das tun wir nicht. Wir träumen niemals, wenn wir tot sind. Manchmal blitzt etwas auf, aber nicht halb so lang wie ein Traum.«

       L.B. (5 Jahre, 6 Monate): »Seine Augen waren geschlossen.«

      »Warum?«

      »Weil er tot war.«

      »Was ist der Unterschied zwischen schlafen und sterben?«

      »Dann bringen sie den Sarg und legen ihn hinein. Sie legen die Hände so hin, wenn er tot ist.«

      »Was passiert mit ihm im Sarg?«

      »Die Würmer essen ihn. Sie bohren sich in den Sarg.«

      »Warum lässt er sie herein?«

      »Er kann nicht mehr aufstehen, weil da Sand über ihm ist. Er kann nicht aus dem Sarg heraus.«

      »Wenn da kein Sand über ihm wäre, könnte er herauskommen?«

      »Sicher, wenn er nicht sehr schlimm erdolcht wurde. Er könnte seine Hand aus dem Sand strecken und graben. Daran sieht man, dass er immer noch leben will.«

      T.D. (6 Jahre, 9 Monate): »Der Patenonkel meiner Schwester starb, und ich fasste seine Hand an. Seine Hand war so kalt. Sie war grün und blau. Sein Gesicht war ganz faltig. Er kann sich nicht mehr bewegen. Er kann nicht mehr seine Hände zusammenpressen, weil er tot ist. Und er kann nicht atmen.«

      »Sein Gesicht?«

      »Es hat eine Gänsehaut, weil er kalt ist. Er ist kalt, weil er tot ist und für immer kalt ist.«

      »Fühlt er die Kälte oder ist es, weil seine Haut so war?«

      »Wenn er tot ist, fühlt er auch. Wenn er tot ist, fühlt er ein ganz kleines bisschen. Wenn er ganz tot ist, fühlt er nichts mehr.«

      G.P. (6 Jahre): »Er streckte seine Arme aus und legte sich hin. Du konntest seine Arme nicht herunterdrücken. Er kann nicht sprechen. Er kann sich nicht bewegen. Er kann nicht sehen. Er kann seine Augen nicht öffnen, er liegt da vier Tage lang.«

      »Warum vier Tage lang?«

      »Weil die Engel noch nicht wissen, wer er ist. Die Engel graben ihn aus und nehmen ihn dann mit. Sie geben ihm Flügel und fliegen weg.«46

      Diese Aussagen sind höchst informativ. Man ist erstaunt über die inneren Widersprüche durch den Wechsel der Wissensebenen, die sogar in diesen kurzen Exzerpten offensichtlich sind. Die Toten fühlen, aber sie fühlen nicht. Die Toten wachsen, aber irgendwie bleiben sie im gleichen Alter und passen in den Sarg von derselben Größe. Ein Kind begräbt einen Schoßhund, aber hinterlässt Nahrung auf dem Grab, weil der Hund ein wenig hungrig sein mag.47 Das Kind scheint an mehrere Stufen des Todes zu glauben. Die Toten können »ein ganz kleines bisschen« fühlen (oder mögen Traummomente haben); aber jemand, der »ganz tot ist, fühlt nichts mehr.« (Nebenbei werden diese Zitate von Nagy als Beweis dafür vorgelegt, dass ein Kind den Tod als temporär betrachtet oder ihn völlig verleugnet, indem es ihn mit Abreise oder Schlaf gleichsetzt. Wieder einmal scheint die Voreingenommenheit des Beobachters offensichtlich zu sein; für mich weisen die Passagen darauf hin, dass die Kinder umfassendes Wissen hatten.

      Wenn man von Würmern gefressen wird, wenn man für immer unter dem Dreck bleibt, wenn man »ganz tot« ist und »nichts mehr fühlt«, dann ist daran nichts temporär oder unvollständig.

      Die Gleichsetzung des Kindes von Schlaf und Tod ist wohlbekannt. Der Zustand des Schlafs ist für das Kind die Erfahrung, die dem Nicht-Bewusstsein am nächsten liegt, und ist der einzige Schlüssel des Kindes dazu, was es bedeutet, tot zu sein. (In der griechischen Mythologie waren der Tod, Thanatos, und der Schlaf, Hypnos, Zwillingsbrüder.) Diese Assoziation hat Implikationen für Schlafstörungen, und viele Kliniker haben darauf hingewiesen, dass Todesangst ein wichtiger Faktor bei Schlaflosigkeit von Kindern und Erwachsenen ist. Viele ängstliche Kinder betrachten den Schlaf als gefährlich. Denken Sie an das Kindergebet:

      Now I lay me down to sleep,

      I pray the Lord my soul to keep;

      If I should die before I wake,

      I pray the Lord my soul to take.

      (Nun leg ich mich zum Schlafen hin,

      Ich bitte den Herrn, meine Seele zu bewahren;

      Wenn ich sterben sollte, bevor ich aufwache, bitte ich den Herrn, meine Seele zu sich zu nehmen.)

      Die Aussagen, die Nagy sammelte, machen es auch sonnenklar, dass die Kinder den Tod als schrecklich und furchterregend betrachten, auch wenn ihr Wissen unvollständig ist. Die Vorstellungen, in einem zugenagelten Sarg gefangen zu sein, ganz allein unter der Erde zu weinen, hundert Jahre lang begraben zu sein und dann zu Holz zu werden, von Würmern gefressen zu werden, die Kälte zu spüren, blau und grün zu werden oder unfähig zu sein zu atmen, sind tatsächlich erschreckend.

      Diese frühen Ansichten vom Tod bleiben mit erstaunlicher Beharrlichkeit im Unbewussten. Elliot Jaques beschreibt beispielsweise den folgenden Traum von einer klaustrophobischen Patientin mittleren Alters: »Sie lag in einem Sarg. Sie war in kleine Stücke geschnitten worden und war tot. Aber es gab spinnwebdünne Nervenfäden, die durch jedes Stück liefen und es mit ihrem Gehirn verbanden. Als Folge davon konnte sie alles erfahren. Sie wusste, dass sie tot war. Sie konnte sich nicht bewegen oder einen Ton von sich geben. Sie konnte nur in der klaustrophobischen Dunkelheit und Stille des Sarges liegen.«48

       Die Ansichten von Kindern über den Tod sind ernüchternd, besonders für Eltern und Erzieher, die es vorziehen, die Unerfreulichkeit des gesamten Themas zu ignorieren. »Was sie nicht wissen, wird ihnen nicht weh tun«, ist die Argumentation hinter dem offiziell geduldeten Schweigen. Aber was die Kinder nicht wissen, das erfinden sie; und wie wir in den Beispielen sehen, sind die Erfindungen scheußlicher als die Wahrheit. Ich werde später mehr über die Todeserziehung zu sagen haben, aber für den Moment ist es offensichtlich, dass der Glaube der Kinder über den Tod wirklich erschreckend ist, und dass die Kinder sich gezwungen sehen, Wege zu finden, um ihren Geist zu beruhigen.

      Verleugnung: Die zwei grundlegenden Bollwerke gegen den Tod. Das Kind hat zwei grundlegende Abwehrmöglichkeiten gegen den Schrecken des Todes – Abwehrmöglichkeiten, die aus dem ersten Lebensabschnitt stammen: Tiefer Glaube sowohl an seine persönliche Unverletzbarkeit als auch an die Existenz eines einzigartigen persönlichen letzten Retters. Dieser Glaube wird durch die direkte elterliche und religiöse Unterweisung, in Mythen über das Leben nach dem Tod, in Form der Existenz eines alles beschützenden Gottes und in der Wirksamkeit persönlicher Gebete unterstützt, und er gründet auch in der frühen Lebenserfahrung des Kleinkindes.

      Besonderheit. Jeder von uns, erst als Kind und dann als Erwachsener, hängt an einem irrationalen Glauben an seine Besonderheit. Begrenzungen, Alt-Werden, Tod mag für die da gelten, aber nicht für einen selbst, nicht für mich. Auf einer tiefen Ebene ist man überzeugt von seiner persönlichen Unverletzlichkeit und Unvergänglichkeit. Die Ursprünge dieses originären Glaubens (oder der »Ur-Abwehrmechanismen«, wie Jules Masserman sie nennt49) können in der Morgendämmerung des Lebens gefunden werden. Für jeden von uns ist das frühe Leben eine Zeit intensiver Egozentrik. Man ist das Universum: Es gibt keine Grenzen zwischen uns und anderen Objekten und Wesen. Jede unserer Launen wird ohne