Wenn sich eine Organisation verändern möchte, geht das nur mit den Menschen, denn sie bilden einen wesentlichen Kulturentwicklungsfaktor; dies gilt in hohem Maße für Führungskräfte (vgl. ebd., S. 167). Im folgenden Abschnitt wird exemplarisch erläutert, wie sich Organisationen erfolgreich verändern können, wie neue Arbeitskulturen entstehen, welche Herausforderungen dabei zu bewältigen sind und welche Rolle die verantwortlichen Personen dabei einnehmen.
2.3 KULTURWANDEL
Wir haben gesehen, dass unterschiedliche Werte eine Unternehmenskultur ausmachen und diese in der Culture Map visualisiert werden können. Mithilfe der Culture Map kann zudem eine bewusste Entwicklung der Unternehmenskultur angeregt werden. Dies geschieht in vier Schritten:
1. KULTURCHECK: Erfassung des gegenwärtigen Kulturmusters;
2. KONTEXTCHECK: Einbeziehung des Kontextes, um Anforderungen an eine Kultur zu identifizieren;
3. KULTURZIELBILD: Vorgaben der Kulturentwicklung;
4. KULTURSTEUERUNG: Maßnahmen zur Steuerung der Kulturentwicklung (vgl. ebd., S. 159).
Nachfolgend wird an zwei Beispielen erläutert, wie Sagmeister (2016) in der Praxis Unternehmen und Organisationen berät, die an ihrer Kultur arbeiten wollen. Beide Fälle sind real, wurden aber mit fiktiven Namen ausgestattet und verfremdet, um ihre Anonymität zu wahren.
2.3.1 DRUCKEREI MONOPRINT
Über Jahrzehnte war die Druckerei Monoprint erfolgreich im Geschäft und konnte nicht über eine mangelnde Auslastung klagen. Sie erfüllte große Druckaufträge von staatsnahen Betrieben – vor allem Fahrpläne und Telefonbücher wurden gedruckt. Monoprint nahm eine wirtschaftliche Vormachtstellung ein. Als Folge der fortschreitenden Digitalisierung und im Zeitalter von Internet mit Fahrplan-Onlineangeboten und elektronischen Telefonbüchern nahm der Bedarf an Druckerzeugnissen der Firma Monoprint drastisch ab. Um überleben zu können, musste sich das Unternehmen neu ausrichten (vgl. ebd., S. 181).
Der Kulturcheck ergab eine Dominanz der violetten, blauen und grünen Werte. Es herrschte Kontinuität, denn auftretende Fragen wurden vom Firmeninhaber verbindlich und verlässlich entschieden. Seine Akzeptanz bei den Mitarbeitenden war hoch, denn ihr Wohl lag ihm am Herzen. Die Stimmung war dementsprechend gut und es herrschte eine familiäre Atmosphäre. Offene Konflikte gab es keine. Produkte, Prozesse und Abläufe waren präzise umschrieben und die Zuständigkeiten geklärt. Die linke Seite der Culture Map war bescheiden ausgeprägt. Weder Eigenverantwortung noch Eigeninitiative standen auf dem Programm von Monoprint. Denn es war klar: Fahrpläne und Telefonbücher wurden von Monoprint gedruckt; Veränderungen waren über eine lange Zeit unnötig und undenkbar. Die detaillierte Analyse ergab, dass die violetten Werte sich nicht auf das gesamte Unternehmen bezogen, sondern sich vorrangig in einzelnen Unternehmensbereichen manifestierten. Neben dem Inhaber gab es einflussreiche Bereichsleiter.
Aufgrund der schwerwiegenden Umsatzeinbußen und des Kulturchecks kam der Inhaber zum Schluss, dass er sein Unternehmen neu ausrichten musste und dass dies nur mit einer Kulturentwicklung zu realisieren war. Die linke Seite der Culture Map musste sichtbarer werden. Sein entsprechender Aufruf an die Mitarbeitenden wurde gut aufgenommen. Doch schon nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass die Mitarbeitenden in der Komfortzone verharrten und Veränderungen zur Neuausrichtung des Unternehmens nicht umsetzten. Der Inhaber griff zu einschneidenden Maßnahmen: Gezielt suchte er nach Mitarbeitenden, die orange Werte vertraten. Er fand zwei verhältnismäßig junge Mitarbeiter, die verantwortungsvolle Aufgabenbereiche übernahmen. Zusätzlich stellte er externe, teilweise branchenfremde Mitarbeitende ein. Ihr frischer Wind sollte starre Strukturen auflösen. Das Lohnsystem wurde umgestellt, indem ein leistungsorientierter Ansatz einen Gehaltsanteil ausmachte. Der Inhaber konnte sich aber nicht von seinen Bereichsleitern trennen; ihre Loyalität dem Unternehmen und ihm gegenüber verunmöglichte ihm das. So versuchte er in Einzelgesprächen neue Aufgabengebiete für sie festzulegen. Das gelang nur bei einem Teil der Bereichsleiter; zwei kündigten enttäuscht. Das harte Durchgreifen des Inhabers war für einen Teil der Belegschaft ein Schock und es dauerte eine Weile, bis sie sich an die Neuerungen gewöhnt hatten. Einige, die «die gute alte Zeit» vermissten, verließen das Unternehmen von sich aus. Über weite Strecken blieb aber die Mitarbeiterzahl stabil und mit zunehmendem Erfolg bildete sich eine neue Unternehmensidentität (vgl. ebd., S. 180–183).
Es sind nicht nur einzelne Unternehmen, wie zum Beispiel die Druckerei Monoprint, die sich dem digitalen Wandel stellen müssen, sondern auch ganze Branchen, wie beispielsweise der Einzelhandel. Die Veränderungen machen sich schon heute in den Verkaufsformen, im Kundenkontakt und in der Logistik bemerkbar. Neue und innovative Konzepte sind gefragt und diese Herausforderungen machen auch vor der Ausbildung des Verkaufspersonals nicht halt, die ebenfalls neu ausgerichtet werden muss. Das Reformprojekt «verkauf 2022+» unter der Leitung von «Bildung Detailhandel Schweiz» (BDS) beschäftigt sich genau mit dieser Thematik.
2.3.2 UNIVERSITÄTSTEAM
Das Team einer mittelgroßen Universität, bestehend aus zwei älteren Professoren, einer jüngeren Professorin und zwei Lehrstuhlassistenten, wollte seine Ideen nicht nur wissenschaftlich verarbeiten, sondern auch kommerziell vermarkten. Alle waren begeistert in das Projekt eingestiegen, trotzdem wollte es mit dem Start nicht so recht funktionieren. Aus diesem Grund entschlossen sie sich, die Leistungsfähigkeit ihres Teams mithilfe der Culture Map zu analysieren. Der Kulturcheck des Teams ergab, dass die Farben Gelb, Aqua und Grün in großem Maße überwogen. Der gelbe Elan der Wissenschaftler war die Grundlage ihres Vorhabens. Innerhalb von mehreren Monaten hatten sie eine große Menge an Daten gesammelt und in einer Datenbank zusammengestellt, was für potenzielle Kundinnen und Kunden wichtig sein könnte. Ihr gelber Wissensdurst schöpfte sich aus der aquafarbenen Mission: Das Team war überzeugt, dass von seinem Projekt nicht nur andere Unternehmen profitieren würden, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen den Universitäten und damit unzählige Studierende. Das grüne Hexagon ergab sich aus den vielen und breit geführten Diskussionen in wochenendlangen Workshops. Bei hervorragender Stimmung wurden die Themen aus allen erdenklichen Perspektiven betrachtet.
Das Kulturmuster führte dem Team vor Augen, dass es ihnen an einem orangen und roten Standbein mangelte, um am Markt erfolgreich Fuß fassen zu können. Ihre theoretisch fundierten Konzepte konnten ohne orangen Pragmatismus und rote Entschlossenheit praktisch nicht umgesetzt werden, denn dazu hätten sie ihre Aktivitäten priorisieren und langwierige Diskussionen unterbrechen müssen. Das wenig vorhandene Blau und Violett war verantwortlich dafür, dass die Teilprojekte statt realisiert immer wieder aufs Neue hinterfragt wurden.
Das Team änderte folglich seine Arbeitsweise: Anstatt im ganzen Team an allen Aufgaben zu arbeiten, wurden diese aufgeteilt und ein Teammitglied übernahm die Verantwortung für ein gewisses Aufgabenpaket. Die Workshops am Wochenende fanden nur noch zweimal im Jahr statt und wurden durch Abstimmungskonferenzen ersetzt, an denen verbindliche Ziele festgelegt wurden. Das Zeitmanagement wurde bewusst knapp bemessen, damit die Gefahr ausufernder Diskussionen gebannt werden konnte.
Dem Universitätsteam wurde bewusst, dass die neue Arbeitsweise nicht mehr so gemütlich war wie die alte, denn die Entscheidungen des Teams genügten nicht mehr immer den gewohnt hohen wissenschaftlichen Ansprüchen. Im Gegenzug etablierte sich damit letztlich eine Teamkultur, die dem Projekt zu einer erfolgreichen Umsetzung verhalf (vgl. ebd., S. 178–180).
2.3.3 KULTURWANDEL IN DER BERUFSBILDUNG
Wie die Verantwortlichen der beiden geschilderten Organisationen erkannte auch der Leiter der Abteilung Sekundarstufe II/Berufsbildung der Pädagogischen Hochschule Zürich,