Unser Körper passt in die natürliche Landschaft wie ein Puzzlestein in den anderen, weil er durch sie geformt und gestaltet wurde. Auch Liegestütze und Kraftübungen auf Felsen sind besonders effektiv, weil wir die leichten Unebenheiten des Felsens mit dem gesamten Körper ausgleichen und insgesamt mehr Körperspannung halten müssen. Dazu brauchen wir zwar einen ebenen Untergrund, dieser wird jedoch in der Natur nie so platt wie eine Trainingsmatte sein. Kraftübungen an Felsen und Baumstämmen bauen sogar die feinen Muskelgruppen in unseren Handflächen auf, weil wir mehr »Griff« brauchen und unsere Finger in das ganzkörperliche Sporterlebnis integrieren müssen. Öffnen wir erst unsere Augen dafür, so finden wir im Wald und auf Wiesen überall natürlich gewachsene »Fitnessgeräte«, die unserem Körperbau sehr entgegenkommen. So eignen sich Baumstämme und Totholz auch zum Balancieren sowie für Sprünge, mit denen wir nicht nur die Kraft in unseren Beinen sondern auch unsere Geschicklichkeit und Wendigkeit trainieren. So wie Tina Vindum können wir schließlich den Wald als einen einzigen großen Slalom- und Hindernisparcours betrachten.
Die Mitgliedschaft in der Natur resultiert aus unserer Evolution und nicht aus teuren Mitgliedsbeiträgen.
Vergessen wir nicht, dass der Homo sapiens mehr als hunderttausend Generationen lang als Jäger und Sammler lebte und seit etwa zehntausend Jahren als Ackerbauer. Unser Organismus ist von Natur aus darauf ausgerichtet, jeden Tag körperliche Höchstleistungen zu erbringen, um zu überleben. Typisch menschliche Betätigungen sind das Laufen und Klettern, das Tragen und Schleppen sowie das Stämmen von Objekten. Alle diese Urbewegungen lassen sich vorzüglich ins Biophilia-Training integrieren, weil wir beim Sport im Wald alles vorfinden, was wir dazu benötigen. Die Übungen in diesem Buch geben konkrete Anleitungen dazu. Das Biophilia-Training ist obendrein im Gegensatz zu Fitness-Studios völlig kostenlos. Die Mitgliedschaft in der Natur resultiert aus unserer Evolution und nicht aus teuren Mitgliedsbeiträgen. Unsere genetische Grundausstattung ist noch immer dieselbe wie in der Steinzeit.
Weil das tägliche Leben in den Industriegesellschaften aber ganz und gar nicht mehr der Natur des Homo sapiens entspricht – und übrigens auch nicht die Laufbänder und Geräte beim Indoor-Sport – werden viele Menschen krank. Wir bewegen uns zu wenig, kommen zu selten an die frische Luft und verbringen kaum mehr Zeit in unserem natürlichen, zu uns passenden Lebensraum. Selbst das Treppensteigen wird uns mehr und mehr abgenommen, weil überall Aufzüge und Rolltreppen errichtet werden. Hinzu kommen die zahlreichen Umweltgifte und schädlichen Einflüsse aus Industrie und Straßenverkehr.
Im Laufe dieses Buches werden wir sehen, dass wir im modernen Alltagsleben auch von wichtigen Natursubstanzen getrennt sind, die wir eigentlich bräuchten, um gesund zu bleiben. Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Bluthochdruck, Krebs, Verdauungsbeschwerden, Übergewicht, die koronare Herzkrankheit sowie Depressionen nehmen in einem nie dagewesenen Maß zu. All die negativen Einflüsse, die uns im industriell geprägten Alltag krank machen, können wir durch Sport in der Natur ausgleichen. Das Biophilia-Training basiert auf grundlegenden und völlig einleuchtenden Erkenntnissen der menschlichen Evolution. Sport in der Natur ist Sport »zuhause«. Diese Zusammenhänge wollen wir uns im Detail ansehen.
Biophilia für Harte
Wie die Natur uns anspornt
Es existieren zahlreiche Studien von Sport- und Gesundheitswissenschaftlern auf der ganzen Erde, die eindeutig belegen, dass die Natur uns Menschen in hohem Maße zum Sport motiviert.
Die Soziologin Anne Ellaway an der University of Glasgow stellte in mehreren Studien die sportlichen Aktivitäten von Menschen aus Wohngegenden mit Natur- und Grünflächen dem Sportverhalten von Bewohnern aus Gegenden ohne Grün gegenüber. Ihr Ergebnis: Statistisch betrachtet führen Naturflächen dazu, dass die Menschen in solchen Regionen mehr als dreimal so viel Sport betreiben als in »grauen« Wohngegenden. Das heißt, der Anblick von Bäumen und anderen Pflanzen weckt in uns den Antrieb für körperliche Bewegung.8 Dieser Studie liegen Gesundheitsdaten aus ganz Europa zugrunde. Ellaway konnte in ihren Analysen auch zeigen, dass in grünen Gegenden vierzig Prozent weniger Menschen übergewichtig sind.
Die Bewohner in der Nähe von Parks betreiben im Durchschnitt doppelt so viel Sport wie Stadtbewohner, die keine Parks in der Nähe haben.
Ross Brownson ist Professor für Gesundheitswissenschaften an der School of Medicine der Washington University in St. Louis. Er untersuchte den Einfluss von städtischen Parks auf das Sportleben der Amerikaner. Die Bewohner in der Nähe solcher Parks betreiben demnach im Durchschnitt immerhin doppelt so viel Sport wie Stadtbewohner aus anderen Vierteln, die keinen Park in ihrer Nähe haben.9 Diese Studienergebnisse beziehen sich nicht nur auf Sport im Grünen, sondern generell auf die Häufigkeit des Trainings. Der Blick auf Naturflächen spornt also auch zum Besuch des Fitness-Studios an, aber nachvollziehbarer Weise vor allem zum Biophilia-Training unter freiem Himmel.
Dass der Anblick von Bäumen eine immense Wirkung auf unsere Psyche und unseren Organismus hat, wissen wir aus mehreren Studien. Zu medialer Bekanntheit schaffte es Roger Ulrich, ein Professor für Gesundheitswissenschaften, der an mehreren skandinavischen und US-amerikanischen Universitäten forscht. Schon Anfang der Achtzigerjahre veröffentlichte er in dem weltbekannten Wissenschaftsjournal Science seine Experimente an Kliniken. Über viele Jahre hinweg konnte er nachweisen, dass der Blick auf einen Baum durch das Krankenhausfenster die Selbstheilungskräfte des Menschen fördert. Die Patienten mit Baumsicht konnten nach Gallenblasenoperationen von den Ärzten früher nach Hause geschickt werden als Patienten, die nur auf eine Hauswand sehen konnten. Der Baum förderte durch seine Anwesenheit die Wundheilung und führte sogar dazu, dass die Patienten deutlich weniger Schmerzmedikamente schlucken mussten sowie unter weniger postoperativen Komplikationen litten.
Der Anblick der Natur vor unseren Fenstern wirkt über die Psyche auf uns ein und weil Körper und Geist eine Einheit sind, hat dies auch positive Folgen für unser Immunsystem und die Selbstheilungskräfte. Schon kurze Blicke aus dem Fenster fördern unsere körperliche und geistige Regeneration sowie unsere Motivation und Kreativität bei der Arbeit. Das haben unter anderem die Professoren für Umweltpsychologie Rachel und Stephen Kaplan an der University of Michigan mehrfach bewiesen.10 Rodney Matsuoka, ein Doktorand der beiden, stellte außerdem an mehr als hundert Schulen Untersuchungen zur Wirkung von Grün an. Er kam zu dem Ergebnis, dass Schulen mit Fensterblick auf Naturflächen bei herkömmlichen Leistungstests viel bessere Ergebnisse erzielen und sogar eine geringere Quote an Schulabbrechern aufweisen als Schulen ohne Grün vor den Fenstern. Von den begrünten Schulen gingen außerdem mehr zukünftige Akademiker ab.11
Offenbar vermittelt der Blick auf die Natur während der Schulzeit mehr Freude am Lernen und am Schulbesuch. Der Grünblick aus dem Fenster spornt uns also nicht nur zum Sport an, sondern stärkt generell unsere Motivation bei der Arbeit, in der Schule und in der Freizeit. Das Potenzial der Natur, uns zur körperlichen Bewegung zwischen Pflanzen zu verführen, liegt dabei ganz besonders auf der Hand.
Der Anblick der Natur wirkt über die Psyche auf uns ein und weil Körper und Geist eine Einheit sind, hat dies positive Folgen für unser Immunsystem.
Beim Biophilia-Training tritt noch ein wichtiger Mechanismus hinzu, der auf Grünflächen