Validieren und anerkennen (E-Book). Martin Schmid. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Schmid
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783035512403
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man den anerkennungstheoretischen Diskurs unter dem Aspekt einer erwachsenenpädagogischen Handlungspraxis, so ist der Dialektik von Bildung und Herrschaft (Heydorn 1970) angemessen zu begegnen. Mit ihrer gesellschaftlichen Selektions- und Allokationsfunktion stellen Anerkennungs- und Validierungsverfahren einen formalisierten Anforderungskatalog zur Reproduktion sozialer Ungleichheit dar, wie sie sich mit Blick auf die lebensbegleitende Reflexionsfunktion der Erwachsenenbildung auch als «Möglichkeitsraum für Bildungs- und Berufswege, für Übergänge, Einstiege, Wiedereinstiege, Quereinstiege, Aufstiege» (Schäffter/Schicke 2016, S. 29) erweisen könnten.

      Dabei stellt sich die theoretisch wie praktisch anspruchsvolle Frage, wie Anerkennung und Validierung als erwachsenenpädagogische Handlungspraxen so gestaltet werden können, dass «Fähigkeiten von Menschen» als politisch relevanter Sachverhalt neu verhandelt werden können. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil sich pädagogische Handlungsfelder aus einer anerkennungstheoretischen Perspektive unter dem Gesichtspunkt einer je dominanten «Anerkennungsordnung» respektive ihrer Funktion als «Anerkennungsarena» analysieren lassen. Eine «Anerkennungsordnung» bezieht sich nach Nothdurft auf das je spezifische System von Standards, Kriterien und Gesichtspunkten, aus dem heraus Anerkennung für spezifische Leistungen gezollt oder eben versagt wird (vgl. Nothdurft 2007, S. 118). In der Anerkennungsordnung ist geregelt, «wer (Autorität) für was (performative Leistung) in welcher Weise (Anerkennungsmodi) Anerkennung gewinnt bzw. gewährt» (ebd.). Die «Anerkennungsarena» bezeichnet dabei «die spezifischen sozialen Gelegenheiten, in denen kultur-, milieu- oder gruppenspezifisch Anerkennung erstrebt bzw. gezollt wird» (ebd.). Derartige Konzeptionen sind anschlussfähig, um Anerkennungsverfahren unter dem Aspekt von Autorität, Macht und Einfluss zu untersuchen.

      Zusammengefasst, gibt es unterschiedliche Aspekte, an denen die erwachsenenpädagogische Relevanz des anerkennungstheoretischen Diskurses mit Blick auf eine erwachsenenbildungsrelevante Gestaltung von Validierungs- und Anerkennungsverfahren deutlich wird. Neben den allseits proklamierten zentralen Dimensionen der Validierung, wie der Sichtbarmachung und Anerkennung von informell erworbenen Kompetenzen, der damit erhofften Durchlässigkeit im Bildungssystem, der effizienten Nutzung verborgener Potenziale auf dem Arbeitsmarkt und dem angestrebten «Mehr» an Partizipation und Chancengleichheit gibt es eine Kehrseite der Medaille, die im schlechtesten Fall zu direkten «Nebenwirkungen» führen kann. Neben dem Problem der «Kolonialisierung von Lebenswelten», die durch die Nutzbarmachung des gesamten Menschen für die Produktionssphäre droht (Welton 1995), besteht die Gefahr, dass durch eben jene Sichtbarmachung unter den gegebenen Anerkennungsordnungen und -arenen wiederum Selektionsmechanismen wirksam werden und neue soziale Benachteiligungen entstehen.

      Bezogen auf die Anerkennungsproblematik, bleibt die bisherige Diskussion um Anerkennung und Validierung also durchaus ambivalent, besonders dort, wo dem Individuum die weitgehende Verantwortung für erforderliche Lernprozesse zugewiesen wird, deren Anerkennung durch eine übergeordnete Instanz in grosszügigem und tolerantem Gestus gewährt werden soll. Wird Anerkennung demgegenüber begrifflich als relationales Bedingungsgefüge zwischen Struktur, Andersheit und Subjektkonstitution gefasst, können die Bedingungen und Verhältnisse, unter denen Validierung und Anerkennung stattfinden, reflexiv werden. Damit wäre ein Grundstein für die (Re-)Konzeption bildungsförderlicher Anerkennungsordnungen gelegt.

      Es ist ein Verdienst der Arbeit von Martin Schmid, die Diskussion auf Basis einer fundierten Auslegeordnung zu eröffnen. Dabei liegt mit diesem Band nicht nur erstmals im deutschsprachigen Raum eine substanzielle Klärung verwendeter Begriffe und Unterscheidungen vor, sondern darüber hinaus eine Systematisierung vorhandener Validierungs- und Anerkennungsverfahren sowie ihre theoretische Fundierung und praktische Ausgestaltung. Die komparative Anlage der Untersuchungen bezieht dabei länderspezifische Besonderheiten ein und setzt die entwickelten Verfahren zu den jeweils vorhandenen Strukturen der nationalen Bildungssysteme in Beziehung. Auf diese Weise ist eine Archäologie der Ordnung von Verfahren entstanden, die zum Referenzwerk für die weiteren Bemühungen um Anerkennung und Validierung in der Erwachsenenbildung werden wird.

      Arpagaus, Jürg (2016): Qualifikationspotentiale ausschöpfen – Berufsabschluss für Erwachsene. http://blog.phlu.ch/weiterbildung/2016/06/20/qualifikationspotentiale-ausschoepfen-berufsabschluss-fuer-erwachsene/ (27.3.2018).

      Balzer, Nicole (2007): Spuren der Anerkennung. Studien zu einer sozial- und erziehungswissenschaftlichen Kategorie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

      Bourdieu, Pierre (1993): Der Rassismus der Intelligenz. In: ders.: Soziologische Fragen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 252–255.

      Dewey, John (1938): Experience and education. New York: MacMillan.

      Faulstich, Peter (2005): Lernen Erwachsener in kritisch-pragmatischer Perspektive. In: Zeitschrift für Pädagogik, 51(4), S. 528–542.

      Fraser, Nancy (2003): Soziale Gerechtigkeit im Zeitalter der Identitätspolitik. Umverteilung, Anerkennung und Beteiligung. In: Fraser, Nancy; Honneth, Axel (Hrsg.): Umverteilung oder Anerkennung. Eine politisch-philosophische Kontroverse. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 15–42.

      Gould, Stephen Jay (1988): Der falsch vermessene Mensch. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

      Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1975): Phänomenologie des Geistes. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

      Heydorn, Heinz-Joachim (1970): Über den Widerspruch von Bildung und Herrschaft. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt.

      Nothdurft, Werner (2007): Anerkennung. In: Straub, Jürgen; Weidemann, Arne; Weidemann, Doris (Hrsg.): Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz. Stuttgart: Metzler, S. 110–122.

      Prokopp, Monika (2010): Was bringt Kompetenzanerkennung – und wem? Ein Standpunkt. In: MAGAZIN erwachsenenbildung.at, (9). http://www.erwachsenenbildung.at/magazin/10-9/meb10-9.pdf (27.3.2018).

      Reichenbach, Roland (2007): Soft skills: destruktive Potentiale des Kompetenzdenkens. In: Pongratz, Ludwig A.; Reichenbach, Roland; Wimmer, Michael (Hrsg.): Bildung – Wissen – Kompetenz. Bielefeld: Janus Presse, S. 64–81.

      Schäffter, Ortfried; Schicke, Hildegard (2016): Anerkennung als Grundlage der Validierung. Reflexionen im Anschluss an eine «Pädagogik der Anerkennung». In: DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, (4), S. 26–30.

      Sonnemann, Ulrich (1969): Negative Anthropologie. Vorstudien zur Sabotage des Schicksals. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

      Welton, Michael R. (1995): In Defense of the Lifeworld: A Habermasian Approach to Adult Learning. In: ders. (Hrsg.): In Defense of the Lifeworld. Critical Perspectives on Adult Learning. New York: State University of New York Press, S. 127–157.

      Zürcher, Reinhard (2007): Informelles Lernen und der Erwerb von Kompetenzen. Theoretische, didaktische und politische Aspekte. Materialien zur Erwachsenenbildung, (2). http://erwachsenenbildung.at/downloads/service/nr2_2007_informelles_lernen.pdf (27.3.2018).

      In den vergangenen Jahren hat ausserschulisches Lernen zunehmend an Bedeutung und Beachtung gewonnen. Hinter dieser Entwicklung steckt der Gedanke, dass die Teilnahme an schulischem Unterricht nicht die einzige Möglichkeit ist, Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen zu erwerben. Es kommen zwei zusätzliche Lernchancen hinzu. Die erste besteht darin, sich durch die Teilnahme an Weiterbildungen das für den Beruf oder für freizeitliche Aktivitäten erforderliche Wissen und Können anzueignen. Für solche non-formalen Lernanlässe wurde in der Vergangenheit das Angebot an unterschiedlichsten Weiterbildungsformaten für alle erdenklichen Zwecke und Vorlieben ausgebaut. Als zweites Lernfeld haben sich berufliche Erfahrungen, ehrenamtliche Tätigkeiten sowie Aktivitäten im privaten Bereich wie beispielsweise die Familienarbeit oder die Ausübung einer bestimmten Freizeitbeschäftigung