Jedes Reden von Gott hat in dieser Zeit verspielt, das sich nur noch an jene richtet, die noch etwas mit dem Wort „Gott“ anfangen können oder wollen. Theologie, die ernst genommen werden will, braucht das Gespräch mit jenen Zeitgenossen, die dieses Wort aus ihrem Vokabular gestrichen haben. Sie muss die Ursachen und Gründe erfragen, dass es zum „Gottesverdruss“, zur Aversion oder Gleichgültigkeit gegenüber diesem Menschheitswort gekommen ist. Die Theologie muss solidarisch sein mit den Nachdenklichen – sowohl unter den „Frommen“ als auch unter den „Ungläubigen“ – und auf beiden Seiten um wechselseitiges Verständnis werben. Nur so ebnet sie dem Verständnis ihrer Sache einen Weg.
Den Anfang des Verstehens bildet gleichwohl das Nicht-Verstehen. Erst das Klarwerden über das, was unklar ist, ebnet den Weg zu Einsichten.8 Dazu gehört auch die Prüfung, ob das, was jeweils selbstverständlich erscheint, auch wirklich der kritischen Nachfrage standhält. Erkenntnis beginnt mit dem Problematisieren des scheinbar Selbstverständlichen. Darum kommt es der Theologie zu, dass sie gegenüber dem Umgang mit dem Wort „Gott“ zunächst Bedenken anmeldet. Anders kann sie ihrer Zeit und ihrer Sache nicht gerecht werden. Sie hat mit der Frage zu beginnen, ob das, was in dieser Zeit „Gott“ genannt wird oder mit diesem Wort bestritten wird, in Wahrheit verdient, so genannt und bestritten zu werden. Sie hat den Schwierigkeiten nachzugehen, welche das Reden von Gott in der Moderne in die Krise gebracht haben, und sie muss die großen Enteignungen des Christentums im Blick behalten. Diese betreffen den Nachweis der Entbehrlichkeit Gottes für die Erklärung der Welt und ihres Entstehens, den Nachweis der Verzichtbarkeit Gottes für die Begründung einer menschendienlichen Moral und den Nachweis für den fehlenden Bedarf des Wortes „Gott“ in unserer Sprache. Eine der Wahrheitsfrage verpflichtete Wissenschaft kann nicht anders, als mit Infragestellungen und nicht mit Wahrheitsbehauptungen zu beginnen.
1.1. Enteignungen:
Vom Verbrauch des Wortes „Gott“
Was dem Glauben selbstverständlich ist, erscheint vielen säkularen Zeitgenossen heute als unverständlich. Von der Wirklichkeit Gottes auszugehen und darüber wahre Aussagen machen zu wollen, erachten sie als ein Ding der Unmöglichkeit. Mehr noch: Sie halten bereits die Wirklichkeit Gottes für etwas Unmögliches. Dennoch darüber zu reden gilt ihnen als eine nicht zu rechtfertigende Zumutung. Folglich erweist sich ihnen auch der Glaube an Gott als ein „Ding der Unmöglichkeit“, da der Bezug auf etwas Unmögliches selbst wiederum unmöglich ist und allenfalls als Illusion oder Projektion zu betrachten ist. Wenn der Glaube aber heute tatsächlich einen Wahrheitsanspruch erhebt, muss er das, wovon er redet, von etwas Unmöglichem unterscheiden können.
Dagegen war in früheren Zeiten die Bedeutung des Wortes „Gott“ anscheinend klar und eindeutig. Die Rede von Gott bezeichnete nicht nur etwas, das zu denken möglich war. Sie meinte auch etwas, das zu denken notwendig war: Gott ist im Rahmen einer Welterklärungstheorie das „erste Unbewegte, aber alles Bewegende“, der letzte und weltjenseitige Grund alles Seienden und als solcher auch der Garant einer Ordnung der Werte und Normen. Gott ist die notwendige Bedingung für alles Bedingte, die unabdingbare Ermöglichung alles Möglichen und Wirklichen, der Bürge für die Gültigkeit von Recht und Gesetz. In Gestalt der „Gottesbeweise“ versuchte die Theologie, durch rationale Argumentation das dem Glauben Selbstverständliche (d. h. die Existenz Gottes) in eine dem Denken zumutbare Erkenntnis zu überführen. Zumindest sollte jede/r Denkende der vom Glauben für selbstverständlich gehaltenen Rede von der Existenz Gottes am Ende mit so viel Verständnis begegnen können, dass sie als „nicht-unvernünftig“ qualifizierbar erscheint. Dabei wurde von unstrittigen Erfahrungen (z. B. von der Kontingenz der Welt) ausgegangen, die in eine Argumentation eingingen, deren Akzeptanz unabhängig von jedem Glauben ein Gebot der Vernunft darstellt und am Ende dazu führen sollte, dass zwischen Denkenden und Glaubenden ein rationales Einverständnis hinsichtlich der widerspruchsfreien Vertretbarkeit des Gottesgedankens entsteht.9 Eine solche Argumentation hatte zwar nie eine „konstitutive“, aber oft eine „propädeutische“, meist eine „explikative“ und zuweilen auch eine „verifikative“ Funktion.10 Es ging nicht darum, die Überzeugung von Gottes Existenz diskursiv zu erzeugen, sondern die Berechtigung und Verantwortbarkeit dieser (prädiskursiven) Überzeugung zu demonstrieren. Die „verifikative“ Funktion der Gottesbeweise darf hierbei ebenso wenig überschätzt werden wie die Falsifikation dieser Funktion: Denn sollte ein Gottesbeweis misslingen, ist damit zwar die Verifikation einer religiösen Überzeugung fehlgeschlagen, nicht aber diese Überzeugung selbst schon falsifiziert. Auf den Fehlschlag eines Gottesbeweises reagieren die Nachdenklichen unter den Glaubenden darum auch nicht mit der Aufgabe ihres Glaubens. Vielmehr bemühen sie sich um neue und bessere Argumente zur Rechtfertigung ihrer Überzeugung.
Im Übrigen ist das existenziell (und religiös) Gewisse nicht deckungsgleich mit dem rational Zwingenden. Der Gottesglaube zählt zu jenen existenziellen Gewissheiten, auf die Menschen „nichts kommen lassen“. Die Wege, auf denen man zu solchen Gewissheiten kommt, sind nicht allein die Wege stringenter rationaler Argumentation. Das Leben kennt noch andere Lehrmeister als die Vernunft! Wozu man auf Wegen gekommen ist, die nicht die Wege der Vernunft sind, dazu muss man dennoch auf vernünftige Weise stehen können. Überzeugungen, die im Widerspruch zu den Prinzipien kritischer Rationalität stehen, können auf Dauer niemanden überzeugen, bringen sich um ihre Geltungsfähigkeit und diejenigen, die sie nicht aufgeben, letztlich um ihren Verstand.11 Darum gilt der Grundsatz „nihil credendum nisi prius intellectum“ (P. ABAELARD): Nichts kann als Gegenstand des Glaubens ausgegeben werden, das nicht zuvor auf seine Verstehbarkeit und Vertretbarkeit hin geprüft wurde. Gottesbeweise sind Ausdruck einer solchen „fides quaerens intellectum“, d. h. intellektueller Bemühungen um die (rationale) Rechtfertigung einer von der Vernunft nicht hervorzubringenden Überzeugung (dass Gott existiert), die gleichwohl vernunftgeleiteter Wirklichkeitserfahrung und -deutung entspricht.12
In der Moderne sind jedoch die Voraussetzungen für solche Füllungen des Wortes „Gott“ weitgehend kollabiert. Jede für unbezweifelbar gehaltene Prämisse menschlichen Denkens, Wollens und Tuns, die etwa in den kosmologischen, physikotheologischen und ontologischen Gottesbeweis einging, lässt sich seit I. KANTS „Kritik der reinen Vernunft“ mit guten Gründen in Frage stellen.13 Seitdem steht die Auffassung, das Bemühen der theoretischen Vernunft um eine widerspruchsfreie Beschreibung der Welt und ihres Herkommens könne ohne religiös-metaphysische Zusatzannahmen nicht erfolgreich sein, auf sehr schwachem Fundament. Es ist signifikant, dass Kants Alternativentwurf, die Gottesfrage vor der Instanz der praktischen Vernunft zu verhandeln,14 mit einer Verschiebung des Beweisziels einhergeht. Die Konklusion dieser Argumentation lautet nicht: „Also existiert Gott bzw. das, was alle ‚Gott‘ nennen.“ Sein „postulatorischer“ bzw. ethico-theologischer Gottesbeweis führt vielmehr zu der Schlussfolgerung: „Also sollte man als Vernunftsubjekt so denken und handeln, als ob es Gott gebe!“ Gott ist nicht länger Gegenstand eines Wissens, einer objektiven Erkenntnis, sondern einer Sinnoption bzw. einer Hoffnung, die philosophisch verantwortbar ist, weil sie die praktische Vernunft um ihrer eigenen Rationalität und Moralität willen unterstellen muss: Die moralischen Forderungen der praktischen Vernunft sind für den Menschen nur dann rational zumutbar, wenn die Erfüllung dieser Forderungen zu einem Ergebnis führen wird, dem er mit Vernunftgründen zustimmen kann. Der hierfür notwendige Nexus zwischen moralischer Gesinnung, moralischer Tat und rational akzeptablen Handlungsfolgen ist aber nur dann gegeben, wenn die naturgesetzlich bestimmte Wirklichkeit mit der vom Sittengesetz bestimmten Welt letztlich zusammenstimmt bzw. mit ihr vermittelbar ist. Auf diese Vermittlung muss die praktische Vernunft notwendig setzen, wenn sie die Forderungen des Sittengesetzes für rational zumutbar halten will. Das Postulat der Existenz Gottes formuliert jene unerlässliche Bedingung, um die praktische Vernunft vor einem Widerspruch zu bewahren, in dem sie sich selbst aufheben würde.15
Die einzelnen Argumentationsschritte stellen sich wie folgt dar: (1)