Logos Gottes und Logos des Menschen. Heiko Nüllmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heiko Nüllmann
Издательство: Bookwire
Серия: Bonner dogmatische Studien
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429060589
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zugleich aber finden wir die Unmöglichkeit, dieses Denken des Seins mit dem Menschen in Beziehung zu bringen.“71

      Die Frage lautet also, wie man den ‚Gott der Philosophen‘ und den ‚Gott des Glaubens‘ miteinander identifizieren kann. Es wird sich im Laufe dieser Arbeit herausstellen, dass Ratzinger diese Synthese gerade im Christentum verwirklicht sieht.72 Einstweilen ist festzustellen, dass die Naturwissenschaft nach Ansicht Ratzingers mittels ihrer Methode nicht weiter als bis zum ‚Gott der Philosophen‘ vordringen kann, da sie „die Natur in rein mathematischer Gesinnung befragt und folglich auch nur die mathematische Seite der Natur zu Gesicht bekommen kann.“73 Sie kann den Logos Gottes in der Wirklichkeit vorfinden und braucht ihn als ‚platonische Voraussetzung‘ ihrer Methode. Dabei muss sie sich aber, wie oben erwähnt, philosophischen Spekulationen über seine Beschaffenheit enthalten, da solche ihren methodischen Rahmen überschreiten würden.

      Naturwissenschaftliche Vernunft greift in ihrer Methode also auf die vernünftige Struktur der Wirklichkeit zurück und kann den Primat der Vernunft als wissenschaftliche Grenzhypothese gelten lassen, aber keine weiteren Aussagen über ihn machen, geschweige denn in dieser von ihr vorgefundenen kosmischen Vernunft, dem ‚Gott der Philosophen‘, ein personales Gegenüber begreifen. „Zwar gäbe es kein Messen ohne den geistigen Zusammenhang des Seins, also ohne den geistigen Grund, der den Messenden und das Gemessene verbindet. Aber eben deshalb wird dieser Grund selbst nicht gemessen, sondern geht allem Messen voraus.“74 Der Gott der Philosophen bleibt für die Naturwissenschaften ein notwendiges Axiom, das nicht mehr selbst von ihnen messend erfasst werden kann, sondern als ihre innere Voraussetzung angenommen werden muss.75

       1.4.3. Von der Vernunft der Schöpfung zur Vernunft des Schöpfers

      Trotzdem kann man nach Ratzinger sagen, dass sich in der mathematischen Strukturiertheit, im von der naturwissenschaftlichen Vernunft aufgespürten Primat des Logos, Schöpfungsglaube und naturwissenschaftliche Vernunft des Menschen berühren. Denn Schöpfungsglaube bedeutet für Ratzinger „nichts anderes als die Überzeugung, dass der objektive Geist, den wir in allen Dingen vorfinden, ja, als den wir die Dinge in zunehmendem Maß verstehen lernen, Abdruck und Ausdruck ist von subjektivem Geist und dass die gedankliche Struktur, die das Sein hat und die wir nachdenken können, Ausdruck eines schöpferischen Vordenkens ist, durch das sie sind.“76 Im Schöpfungsglauben wird Ratzinger zufolge also hinter der objektiven gedanklichen Struktur des Seins ein denkendes Subjekt als Schöpfer angenommen. Schöpfungsglaube und naturwissenschaftliche Vernunft treffen sich im gemeinsamen Punkt des Primats des Logos, der göttlichen Vernunft: „Die wissenschaftliche Durchdringung der Welt, die einerseits deren NichtGöttlichkeit, andererseits deren logische, geistig zu erhellende Struktur voraussetzt, entspricht zutiefst jenem Weltverständnis, das die Welt als geschaffen (und so selbst nicht-göttlich) und als herkommend aus dem Logos – Gottes geisterfülltem Wort – versteht, von dem her sie selbst logoshaft, geistig strukturiert ist.“77

      Ratzinger geht nun noch einen Schritt weiter, wenn er den Schöpfungsglauben als einzig mögliche Erklärung der gedanklichen Strukturiertheit der Wirklichkeit behauptet. Er sieht es als evident an, dass „angesichts alles Wissens um die Mathematik des Weltalls mehr als je zuvor … die geistig geprägte Welt auf den Schöpfer-Geist verweist, ohne den der in ihr objektivierte Geist unerklärbar bleibt.“78 Der objektive Geist, der sich in der mathematischen Struktur des Kosmos ausdrückt, fordert nach Ansicht Ratzingers also notwendig die Annahme eines diese Struktur begründenden subjektiven Schöpfer-Geistes, die Annahme einer schöpferischen Vernunft.79

      Diesen Überschritt von der objektiven Ordnung zum subjektiven Schöpfer-Geist erläutert Ratzinger an anderer Stelle noch einmal, indem er mit Bezug auf Albert Einstein von dem Phänomen ausgeht, „dass unser Denken, unsere im reinen Bewusstsein ausgedachten mathematischen Welten auf die Wirklichkeit passen, dass unser Bewusstsein so strukturiert ist wie die Wirklichkeit und umgekehrt“80, wobei diese Kongruenz von Bewusstsein und Wirklichkeit seiner Ansicht nach Naturwissenschaft erst möglich macht. Daraus zieht Ratzinger den Schluss, dass im subjektiven Bewusstsein des Menschen das gleiche Prinzip hervortritt, welches objektiv die Welt bewegt: „Die Welt hat die Art des Bewusstseins an sich. Das Subjektive ist der objektiven Wirklichkeit nicht etwas Fremdes, sondern sie ist selbst wie ein Subjekt.“81

      Aus der Deckungsgleichheit der menschlichen Vernunft mit den objektiven Phänomenen der Wirklichkeit wird also auf eine das Objektive durchdringende subjektive Vernunft geschlossen, eine schöpferische Vernunft. So kann Ratzinger sagen, „durch die Vernunft der Schöpfung blicke uns Gott selber an.“82 Zwar können die Naturwissenschaften aufgrund ihrer begrenzten Methode Gott nicht zum Vorschein bringen, doch Ratzinger ist davon überzeugt, dass gerade „durch die Grenze ihrer Aussagemöglichkeiten, die hervortritt, und durch den inneren Verweis, der in ihnen ist, sie uns in Wirklichkeit, wie mir scheint, einen neuen, unerhörten Schöpfungsbericht geliefert haben, mit großen, neuen Bildern, die uns das Angesicht des Schöpfers, den handelnden Gott erkennen und uns von Neuem wissen lassen: Am Urbeginn und Grund allen Seins steht der Schöpfergeist.“83

      Neben der Beobachtung einer geistigen Struktur der Wirklichkeit gibt es noch andere naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die nach Ratzinger auf den Schöpfungsgedanken verweisen. Als Erstes ist die Einsicht in die Zeitlichkeit des Kosmos zu nennen, die Ratzinger im Entropiesatz, in der Erkenntnis von der Verwandelbarkeit von Stoff in Energie sowie in der Relativitätstheorie vollzogen sieht. War die Naturwissenschaft noch im 19. Jh. von einem ewigen Kreislauf des Kosmos überzeugt, in dem die Naturgesetze ewig walten, so brachten diese neuen physikalischen Einsichten Ratzinger zufolge wieder ein Bewusstsein für einen Anfang und ein Ende der Wirklichkeit sowie einen Weg in den Blick, der vom Anfang zum Ende führt.84 Auf diese Weise wird seines Erachtens im „Wissen um die grundsätzliche Zeithaftigkeit des kosmischen Seins doch wieder sichtbar, was die Bibel hier Anfang nennt.“85

      Mehr am Rande nimmt Ratzinger außerdem noch Bezug auf die Hypothese der anthropischen Bestimmtheit des Alls. Nach dieser hätte „nur ein Winziges an anderer Bestimmung des Anfangs … zur Folge gehabt, dass der Mensch nicht sein konnte.“86 Das Entstehen von Leben ist also nur unter bestimmten physikalischen Anfangsbedingungen möglich, deren Zusammentreffen eigentlich sehr unwahrscheinlich ist. Dass es trotzdem einen solchen Zusammenfall von notwendigen Voraussetzungen für die Entwicklung des Menschen gab, zeigt nach Ansicht Ratzingers eine gewisse „Art von Determination“87 der Wirklichkeit, die den Schöpfungsgedanken nahelegt.

       1.4.4. Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie

      Der Verweischarakter naturwissenschaftlicher Erkenntnisse über die objektiv-geistige Struktur der Wirklichkeit hinaus auf ihren subjektiv-geistigen Urheber muss von Ratzinger natürlich gegenüber naturwissenschaftlichen Theorien wie der Evolutionstheorie verteidigt werden, die an der gedanklichen Struktur der Wirklichkeit Zweifel haben und in ihr statt einer ‚vorgedachten‘ Struktur nur Zufall und Notwendigkeit am Werke sehen. Unter diesen Bedingungen kann natürlich auch kein Verweischarakter auf einen Schöpfer hin in den Blick kommen.

      Bei der Kritik Ratzingers an der Evolutionstheorie müssen zwei Ebenen unterschieden werden. Zum einen kritisiert er gewissermaßen ‚von außen‘ die Gefahr einer Absolutsetzung der Theorie, die dann als „Universaltheorie alles Wirklichen“ auftritt, „über die hinaus weitere Fragen nach Ursprung und Wesen der Dinge nicht mehr zulässig und auch nicht mehr nötig sind“88. Zum anderen kritisiert er die Evolutionstheorie von ihrer inneren Logik her, welche er ohne die Annahme einer anderen Denkebene als nicht stimmig ansieht. Diese immanente Kritik dient ihm dann zur Begründung der externen Kritik an der Reichweite der Theorie.89 In diesem Abschnitt wird die Ebene der inneren Kritik analysiert, bei der Ratzinger versucht, Lücken und Aporien einer von theoriefremden Voraussetzungen losgelösten (absoluten) Evolutionstheorie aufzuzeigen.

      Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass sich in Ratzingers Aufsatz Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie aus dem Jahr 1968, der sich explizit mit der Beziehung beider beschäftigt, keine