128 Auf Christus schauen, 136. Das betreffende Zitat aus Monods Werk, auf das Ratzinger sich hier bezieht, lautet: „Das Auftreten der vierfüßigen Wirbeltiere … geht darauf zurück, dass ein Urfisch sich ‚entschieden‘ hatte, das Land zu erforschen, auf dem er sich jedoch nur durch unbeholfene Sprünge fortbewegen konnte. Im Gefolge dieser Verhaltensänderung schuf er den Selektionsdruck, durch den sich dann die starken Glieder der Vierfüßler entwickeln sollten. Unter den Nachkommen dieses ‚kühnen Forschers‘, dieses Magellan der Evolution, können einige mit einer Geschwindigkeit von mehr als 70 Kilometern in der Stunde laufen“ (Monod, 157f).
129 Gottes Projekt, 70.
130 Gottes Projekt, 70.
131 Theologische Prinzipienlehre, 74.
132 Theologische Prinzipienlehre, 74.
133 Schöpfung und Evolution, 151.
134 Theologische Prinzipienlehre, 74.
135 Schöpfung und Evolution, 150.
136 Schöpfung und Evolution, 152.
137 Glaube – Wahrheit – Toleranz, 146.
138 Schöpfung und Evolution, 152.
139 Gottes Projekt, 36.
2. Moralische Vernunft
2.1 Naturrecht: Die moralische Vernunft in der Schöpfung
2.1.1. Kritik am Naturrechtsgedanken
Das Naturrecht hat nach Ratzinger seinen Ursprung im antiken Griechenland, in dem das durch den Götterglauben begründete Recht im Zuge der philosophischen Aufklärung seine religiöse Grundlage verlor. Sollte Recht nun nicht in bloßen positiven Setzungen bestehen, die schnell zu Unrecht werden könnten, musste ein Recht gefunden werden, „das aus der Natur, dem Sein des Menschen selbst folgt.“1 Ihre geschichtlich maßgebliche Form fand diese Suche nach einem solchen universalen Recht für Ratzinger bei Platon, der ausgehend von einigen allgemeinen Einsichten unter Rückgriff auf die deduktive Methode ein System überzeitlich geltender Wesenseinsichten entwarf.2
Wichtigkeit erlangte der Naturrechtsgedanke dann erneut zu Beginn der Neuzeit, und zwar zunächst im Zusammenhang mit der Entdeckung Amerikas, die aufgrund der Begegnung mit neuen Völkern die Frage aufwerfen musste, ob die fehlende Rechtsgemeinschaft mit diesen Völkern diese zu Rechtlosen machte oder ob es im Gegenteil ein Recht gibt, „das alle Rechtssysteme überschreitet, Menschen als Menschen in ihrem Zueinander bindet und weist“3. In dieser Situation entwickelte der spanische Theologe Francisco de Vitoria (um 1483–1546) die Idee eines ‚Rechts der Völker‘, welches der positiven staatlichen Rechtssetzung vorausgeht und so das rechte Miteinander der Völker ordnen kann.4 Ratzinger umschreibt diese Idee auch als den Gedanken „des Bereichs der ‚reinen Natur‘, die alle [Menschen; H. N.] umgreife und daher einen für alle gemeinsamen Rechtsrahmen ermögliche.“5 Dabei griff die christliche Theologie besonders auf die griechische Philosophie zurück, wobei nach Ansicht Ratzingers zu beachten ist, dass diese in einer konkreten geschichtlichen Situation und aufgrund von bestimmten geschichtlichen Anforderungen aufgenommen wurde und daher „der von ihr aufgeworfene Gedanke des natürlich Rechten in einer ganz bestimmten geschichtlichen Prägung zur Geltung kam.“6
Des Weiteren machten die Glaubensspaltungen des Christentums zu Beginn der Neuzeit ein vom Glauben unabhängiges Recht notwendig, um ein Zusammenleben von Menschen verschiedener Glaubensrichtungen zu ermöglichen.7 Mit dem Voranschreiten des Aufklärungsgedankens wurde die Ethik der positiven kirchlichen Glaubenssätze immer weiter von ethischen Aussagen, die auf natürlichen Einsichten aufbauten, zurückgedrängt. Dies führte laut Ratzinger dazu, dass „die lehrende Kirche wie auch die sie interpretierende Theologie, um den gegebenen Forderungen auch weiterhin Geltung zu verschaffen, immer stärker zu naturrechtlichen Kategorien Zuflucht nahmen bzw. immer größere Teile des vorliegenden Lehrgutes als auch naturrechtlich verbindlich darzustellen sich mühten.“8 Dabei wurde das deduktive Verfahren von der Theologie dermaßen überstrapaziert, dass die vermeintlich zwingenden logischen Denkschritte keineswegs für jeden einleuchtend waren und daher zur Verbürgung ihrer Vernünftigkeit nicht selten die Autorität der Kirche in Anspruch genommen wurde.9 Dies bedeutete jedoch, dass einerseits die Vernunft den Glauben, andererseits die Autorität des Glaubens die Vernunft stützen sollte. Diese unlogische Konzeption der Sicherung von Glaubenssätzen spiegelt für Ratzinger „die Problematik der Situation der Kirche in der Neuzeit, in der Zeit der Umstellung von einer rein kirchlichen auf eine weltanschaulich gemischte Gesellschaft.“10
Schon in seiner Dissertation Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche übt Ratzinger vorsichtige Kritik an dieser Funktionalisierung der Naturrechtslehre durch die Kirche. Er beschreibt darin das Verständnis des Naturrechts „als die Rechtsnormen des Schöpfers, die in den allgemeinen Wesenheiten der Dinge einbeschlossen jedem Menschengeiste erkennbar sind.“11 Aufgrund dieser universalen Erkennbarkeit durch den Menschen beansprucht das Naturrecht auch universale Geltung. Neben ihm steht dabei das göttliche Recht, das seinen Ursprung in dem dem Menschen durch Offenbarung zugänglich gewordenen Willen Gottes und daher nur für den Glaubenden Verbindlichkeit hat. Das kirchliche Bestreben, möglichst viele Normen im Naturrecht zu verorten, um ihren universellen Geltungsanspruch zu sichern, führt nach Ansicht Ratzingers nun unweigerlich zum Versuch, Offenbarungswahrheiten in Vernunftwahrheiten umzuwandeln, was seines Erachtens eine Abwertung von Offenbarungswahrheiten gegenüber Vernunftwahrheiten zur Folge hat.12
Verharrt das Naturrecht für ihn schon hier in einer „praktischen Ungreifbarkeit“13, so konkretisiert und verschärft sich diese Kritik in einem 1964 erschienenen Aufsatz über die christliche Soziallehre, in dem Ratzinger feststellt, „dass das ‚von Natur her Rechte‘, die wahre Humanität, wenn man so sagen will, für den Menschen, wie er tatsächlich existiert, niemals rein spekulativ, more geometrico, zu ermitteln ist.“14 Vielmehr bedarf der Mensch der ‚regulativen Idee‘ des Glaubens, die er dann in der konkreten geschichtlichen Situation anwenden kann. Christliche Soziallehre gründet so für Ratzinger „in der Hinordnung des Evangeliums auf die jeweiligen Sozialtatsachen. Soziallehre wird sie nur dadurch, dass sie von den Tatsachen her gedacht ist; christlich wird sie, indem sie den Maßstab des Evangeliums auf diese Tatsachen bezieht.“15 Naturrecht kann in dieser Konzeption aber nur noch in seiner jeweiligen historischen Gestalt begriffen werden. Es existiert „nicht nackt, sondern nur in den konkreten Realisierungen der wechselnden Zeiten. Es gibt, anders ausgedrückt, in den jeweiligen Ordnungssystemen ein sich durchhaltendes an sich Rechtes, das aber nicht im Sinn einer überzeitlichen Formel herausdestilliert werden kann, sondern nur in verschiedenen geschichtlichen Konkretisierungen lebt und je in den neuen Tatsachen neu gefunden werden muss.“16
Der große Fehler der christlichen Soziallehre liegt nach Meinung Ratzingers nun darin, dass sie die Geschichte zugunsten des Spekulativen vernachlässigt hat. „Sie hat sich diesem Faktum der Geschichtlichkeit weitgehend entzogen und in abstrakten Formeln eine überzeitliche Sozialdogmatik zu formulieren versucht, die es so nicht geben kann.“17 Ratzingers Auffassung von ‚Naturrecht‘ ist hier dagegen die eines sich in Geschichte konkretisierenden Rechts, das aus den Traditionen der Menschheit und aus der christlichen Glaubenstradition schöpft, ohne die es nicht denkbar wäre.18
Schon in seinem 1962 erschienenen Aufsatz Gratia praesupponit naturam hatte Ratzinger diese Geschichtsbezogenheit der menschlichen Natur in Anlehnung an Bonaventura und Paulus herausgestellt. Dabei stellt er im Hinblick auf die Frage der Beziehung von Natur und Gnade fest, dass Bonaventura zufolge die Natur des Menschen nicht rein biologisch an dessen Geist und freiem Willen vorbei bestimmt werden kann. Der menschliche Wille überschreitet nach Ansicht Bonaventuras „als eine eigene Zwischenordnung zwischen bloßer Natur und Gottes