Mochte nun ein Nietzsche den Göttern sein Ohr leihen – er ist damit ihren Suggestionen erlegen; den Einflüsterungen durchaus keiner ewigen Götzen, weil es solche nicht gibt, sondern der eigenen Idole, der Idole der Macht, der Selbstübersteigerung, der Vermessenheit, um nicht zu sagen: der Anmaßung. Hier liegt der Ansatz theologischer Kritik: Ihr Offenbarwerden geht dem »Offenbarwerden der Söhne Gottes« voraus (vgl. Röm 8,19; Kol 3,4; 1 Joh 3,2). Keinem zeitgenössischen Theologen ist es gelungen wie dem Maler Paul Klee, ihr Offenbarwerden vor Augen zu führen – nicht nur in Gestalt einschlägiger Motive wie des Aquarells »Götzen-Park« aus dem Jahre 1939. Ihn zu erkunden, die Götzen zu entlarven, erscheint aktueller denn je, um zu erkennen, wie der Messias selbst »alles historische Geschehen« vollendet.
Berlin, am Gedenktag »Unserer Lieben Frau auf dem Karmel« (16. Juli 2013)
Glaube und Kerygma
Es gehört zu den folgenreichsten Missverständnissen der Gegenwartstheologie, die christliche Glaubensüberlieferung historisch begründen zu wollen. Denn alles Historische ist bestimmt durch zeitgeschichtliche Grenzen. Und so zeitbedingt wie unsere Auffassung der neutestamentlichen Überlieferung, erscheint dann auch das Kerygma, der Gehalt der apostolischen Verkündigung selbst. Eingeschränkt auf deren Vollzug, also auf den jeweiligen zeitgeschichtlichen Zusammenhang der Verkündigung, muss das Kerygma »stets neu wieder gefunden werden«. So das Fazit Rudolf Bultmanns, der in einem Brief an Martin Heidegger vom 11. Dezember 1932 erklärt: »Als das zentrale Problem der Neutestamentlichen Theologie stellt sich immer deutlicher dies heraus: zu sagen, was eigentlich das christliche Kerygma sei. Es liegt ja nie einfach als gegebenes vor, sondern ist stets formuliert aus einem bestimmten glaubenden Verständnis heraus, – und zudem enthält das Neue Testament ja fast durchweg nicht direktes Kerygma, sondern vielmehr solche Aussagen (wie z. B. die paulinische Rechtfertigungslehre), in denen das glaubende Verständnis des christlichen Seins entfaltet wird, das seinerseits auf dem Kerygma beruht und auf es zurückweist. Welches das Kerygma sei, ist, da es nur im Vollzuge des Verkündigens wirkliches Kerygma ist, nie abschließend zu sagen, sondern muß stets wieder neu gefunden werden« (Rudolf Bultman – Martin Heidegger: Briefwechsel 1925–1975, Frankfurt am Main/Tübingen 2009, 186).
Bultmann irrt, insofern das Kerygma im Neuen Testament sehr wohl »als gegebenes« vorliegt, insofern der Glaube nicht darauf gründet, was wir jeweils glauben, oder wie es Bultmann formuliert, worauf »das glaubende Verständnis des christlichen Seins« beruht; vielmehr führt die »Beweiskette« bei Paulus in eine andere Richtung: »Der Glaube gründet in der Botschaft, die Botschaft im Worte Christi« (Röm 10,17). Oder wörtlich: »Also der Glaube (kommt) aus (der) Botschaft, aber die Botschaft durch (das) Wort Christi.« Hier liegt das Fundament des Glaubens. Denn keineswegs hat es sich der Apostel Paulus selbst ausgedacht, auch handelt es sich dabei nicht nur um seine persönliche Interpretation, wenn er zu Beginn von Kapitel 15 des ersten Briefes an die Korinther seinen Lesern ins Gedächtnis ruft: »Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut [griech.: logos] festhaltet, den ich euch verkündet habe; oder habt ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen?« (1 Kor 15,1–2).
Die Frage könnte ebenso an die heutigen Leser gerichtet sein, insofern es Paulus nicht darum geht, was sie wohl glauben oder aber was man sich so jeweils unter dem Kerygma vorstellt. Kategorisch stellt er vielmehr klar, worauf seine Verkündigung bzw. der von ihm überlieferte Glaube beruht: »Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich [!] empfangen habe:
Christus ist für unsere Sünden gestorben,
gemäß der Schrift,
und ist begraben worden.
Er ist am dritten Tag auferweckt worden,
gemäß der Schrift,
und erschien dem Kephas, dann den Zwölf.
Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln. Als letzten von allen erschien er auch mir, der ›Missgeburt‹. Denn ich bin der Geringste unter den Aposteln; ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe. Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben. Mehr als sie alle habe ich mich abgemüht – nicht ich, sondern die Gnade Gottes zusammen mit mir. Ob nun ich verkünde oder die anderen: das ist unsere Botschaft, und das ist der Glaube, den ihr angenommen habt« (1 Kor 15,3–11).
Bezeichnend, dass sich Paulus – obschon es ihm nicht gerade an Selbstbewusstsein gebricht, in Anbetracht der apostolischen Arbeit sich an vorderster Stelle zu sehen (vgl. etwa die sog. »Narrenrede« 2 Kor 11,16–12,13) –, was den Empfang der Glaubensüberlieferung angeht, den untersten Rang zuerkennt. Anders als der neuzeitliche Mensch, der dazu tendiert, seine eigene Erfahrung, sein Erleben oder seine Selbstevidenz, letzthin sein eigenes Ego herauszustellen, um der Überlieferung seinen Stempel aufzudrücken, weiß sich Paulus als Verkünder des Evangeliums als ein Empfangender, und zwar als der Letzte unter den Glaubenszeugen. Dabei spielt die Zeitgenossenschaft, die für einen Historiker zur Beurteilung eines Geschehens unabdingbar ist, keine Rolle. Vielmehr reiht er, der Christus zu dessen Lebzeiten auf Erden nicht begegnet ist, sich als Letzten unter die Auferstehungszeugen ein. Denn: Christusglaube ist Auferstehungsglaube oder aber ist kein Glaube, was wir auch immer ansonsten darunter verstehen mögen. Entscheidend ist der Vorrang des Petrus, dann der »Zwölf«, der mehr als fünfhundert Brüder, gleichsam der Urgemeinde; schließlich wird noch vorab Jakobus samt »allen Aposteln« erwähnt, gemeint ist der Kreis der Männer, denen die Verkündigung des Glaubens obliegt. In nichts anderem aber liegt nach 1 Kor 15,11 das Kerygma beschlossen [im griechischen Urtext heißt es: οὕτως κηρύσσομεν = so verkündigen wir, und weiter: und so seid ihr gläubig geworden].
Nirgendwo ist bei Paulus davon die Rede, dass das Kerygma »nur im Vollzuge des Verkündigens wirkliches Kerygma ist«, als wäre es Ausfluss einer ekstatischen Rede oder einer kunstvollen Rhetorik, vergleichbar einem hermetischen Gedicht, dessen Sinn sich seinem Interpreten ein fürs andere Mal aufs Neue erschließt. Davon kann bei Paulus nicht im Entferntesten die Rede sein, der gerade im Kapitel zuvor (vgl. 1 Kor 14) seine Vorbehalte gegenüber der Zungenrede anmeldet. Nicht nur hier verweist er darauf hin, was er selbst empfangen habe. Vielmehr ziemlich zu Beginn seines Briefes stellt er klar, worauf seine Verkündigung beruht: »Meine Botschaft und Verkündigung [griech.: kerygma] war nicht Überredung durch gewandte und kluge Worte, sondern war mit dem Erweis von Geist und Kraft verbunden, damit sich euer Glaube nicht auf Menschenweisheit stützte, sondern auf die Kraft Gottes« (1 Kor 2,4 f.). Nicht um Esprit, um eine geistvolle Rede im menschlichen Sinne, ist es Paulus zu tun als vielmehr um eine Rede »von Geist und Kraft«, von Pneuma und Dynamis, also getragen vom Geiste Gottes. Geht es doch, wie Paulus zuvor ausführt, um nicht weniger als um die Verkündigung des Mysteriums Gottes (vgl. 1 Kor 2,1): »Denn ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten« (1 Kor 2,2). In Ihm liegt das Kerygma des Apostels beschlossen, das sehr wohl auf Weisheit beruht, wie er anschließend bekräftigt: »Und doch verkündigen wir Weisheit unter den Vollkommenen, aber nicht Weisheit dieser Welt oder der Machthaber dieser Welt, die einst entmachtet werden. Vielmehr verkünden wir das Geheimnis [griech.: mysterion] der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung. Keiner der Machthaber dieser Welt hat sie erkannt; denn hätten sie die Weisheit Gottes erkannt, dann hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt« (1 Kor 2,6–8).
Man muss sich mal in aller Deutlichkeit die Folgerung des Apostels Paulus vor Augen führen: die Unvereinbarkeit