Freiheit als Hingabe an Gott. Maciej Malyga. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Maciej Malyga
Издательство: Bookwire
Серия: Bonner dogmatische Studien
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429060961
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wichtige Rolle spielte dabei Delps Überzeugung,

      die gleichzeitige Bindung in die Ordnung von Staat und Kirche [sei] für den Christen eine naturhafte Notwendigkeit.57

      Es musste einige Zeit vergehen, damit Delp darüber Klarheit erlangen konnte, dass die Stellung gegenüber dem Nationalsozialismus eine Entweder-oder-Wahl war. Im April 1941 beschlagnahmte die Gestapo das Redaktionsgebäude von Stimmen der Zeit,58 zwei Monate später wurde Delps Antrag auf Aufnahme in die Reichschrifttumskammer abgelehnt. Das bedeutete das Aus für seine Tätigkeit als Schriftsteller im Dritten Reich. Der Jesuit war aber noch in der Lage, seinen Text Der Mensch und die Geschichte, in dem es keinen Raum mehr für irgendein „Meistern“ der nationalsozialistischen Wirklichkeit gibt, 1943 in Colmar zu veröffentlichen.59 Andere Texte, etwa Das Rätsel der Geschichte, Die Welt als Lebensraum des Menschen und Der Mensch vor sich selbst, wurden erst nach dem Krieg aus seinem Nachlass veröffentlicht.60

      Nach dem Verlust der legalen Publikationsmöglichkeiten lenkte Delp seine ganze Energie auf das gesprochene Wort, das für den totalitären Staat nicht so angreifbar war wie das geschriebene. Im Predigen und Vortragen fand er einen Tätigkeitsraum, in dem er sich relativ frei aussprechen konnte.61 Auffällig ist die philosophische Intensität seiner Reden, die einen parallelen Inhalt zu Büchern aufweisen, die er damals las, schrieb und noch schreiben wollte.62 Als Prediger hatte Delp schon einige Erfahrungen gesammelt. Während des Theologiestudiums hatte er 1935 in der Zeitschrift Chrysologus eine Reihe von Predigten für die „Katholische Aktion des Mannes“ publiziert, in welchen er sich mit dem modernen Weltverständnis auseinandersetzte.63 Ein Jahr später veröffentlichte er die schon erwähnte Auseinandersetzung mit der Ideologie der Deutschen Glaubensbewegung.

      Im Frühjahr 1941 begann Delp eine Tätigkeit in der überdiözesanen Hauptarbeitsstelle für „Männerarbeit und Männerseelsorge“ in Fulda, die ihm Gelegenheit zu zahlreichen Vorträgen gab.64 Seit Juni 1941 übte er die Funktion des Kirchenrektors in St. Georgen in München-Bogenhausen aus. Seine Beurteilung der gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit wurde immer eindeutiger – er sprach über die Zerstörung des abendländischen Menschen,65 über die Nacht, in die das ganze Volk und mit ihm der ganze Kontinent ging66 sowie über eine allgemeine Grausamkeit des Lebens67. Die Verantwortung für jene Heimsuchung lastete Delp nicht Gott an; vielmehr wurde ihm immer klarer, dass

      die Grausamkeit, die heute die Erde schlägt, zunächst in [den menschlichen] Herzen zu Hause war und von da her den ganzen Kosmos ergriff68.

      Seine philosophischen Überzeugungen ließen ihn nicht in der reinen Immanenz der Welt untergehen: Er fragte über den Mensch und das Materielle hinaus und suchte nach dem Transzendenten. Aus seiner theologischen Perspektive heraus gab es keinen Platz für einen anderen Herrn als den Gott der Offenbarung. Als das schlechthinnige Symbol des nationalsozialistischen Deutschlands konnten für Delp die marschierenden Kolonnen der Menschen gelten, die auf ihre Freiheit zugunsten des Kollektivs verzichteten. Dem Befehl „Im Gleichschritt, marsch!“ wird sich Delp aber nie unterordnen.

      Ein herausragendes Kapitel in Delps Leben stellt die 1942 begonnene Beteiligung im Kreisauer Kreis dar.69 Diese Widerstandsgruppe wurde von Helmuth James von Moltke (1907-1945) und Peter Graf Yorck von Wartenburg (1904-1944) gegründet. Die auf Moltkes niederschlesischem Gut Kreisau stattfindenden Tagungen bearbeiteten ein Programm zur „Neuordnung Deutschlands“, das nach dem Fall Hitlers verwirklicht werden sollte. Als Wertbasis für die Erneuerung der Gesellschaft war das Christentum bestimmt worden. In der Mitte des Kreisauer Kreises entstand das Bedürfnis nach Freiheit, nach der „Brechung des totalitären Zugriffs auf die freie Gewissensentscheidung“.70

      Obwohl die eigentliche Wirkung der Gruppe im Widerstand gegen Hitler ganz gering war, wie Moltke selbst zugab,71 erwies sich der Geist, dem das Denken der Mitglieder des Kreisauer Kreises entspringt, als für das Dritte Reich durchaus gefährlich. Darüber schrieb Moltke während des Prozesses vor dem Volksgericht, was zugleich auf die Person Delps und seine Rolle im Kreisauer Kreis ein Licht wirft:

      Durch diese Personalzusammenstellung ist dokumentiert, daß nicht Pläne, nicht Vorbereitungen, sondern der Geist als solcher verfolgt werden soll.72

      Die Ebene des Geistes war denn auch das Schlachtfeld, auf das Delp sich bewusst begab – die Erziehung des freien Geistes, so Moltke, als Antwort auf

      den Geist der Enge und Gewalt gegen den Geist der Überheblichkeit, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten … der in den Deutschen steckt, und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat73.

      In der Widerstandsbewegung war Delp für die soziale Frage mit zuständig. Von drei Gesprächen in Kreisau nahm er an dem zweiten (im Oktober 1942) und dritten (im Juni 1943) teil. Seine Bedeutung für die Gruppe bezeugte Moltke selbst im schon zitierten, letzten Brief an seine Frau Freya: „Wir haben nur gedacht, und zwar eigentlich nur Delp, Gerstenmaier & ich, die anderen galten als Mitläufer.“74 Delps Grundhaltung im Kreisauer Kreis bestand in einem entschiedenen „Nein“ zum Nationalsozialismus, das er nach einem langen Weg der Absetzung nun endlich aussprach. Es war sein „Ja“ für die Option der Freiheit in all ihren Dimensionen, nicht nur in einer spirituellen, sondern auch in politischer Hinsicht. Doch war es umso schwerer auszusprechen, da es ein Widerstand ohne – wenn nicht sogar gegen – das Volk war.75 Damals stand Delp aber noch nicht am Ende seines Wegs zur Freiheit; paradoxerweise wird dieses Ende erst in der persönlichen Erfahrung der Gefangenschaft von ihm erreicht.

      Nach dem erfolglosen Attentat Stauffenbergs auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde auch Delp am 28. Juli durch die Gestapo verhaftet, da sein Name in den Notizen des durch den Staatsstreich kompromittierten Grafen Yorck entdeckt wurde.76 Im August 1944 wurde Delp nach Berlin gebracht, dort zuerst im Gestapo-Gefängnis Berlin-Moabit inhaftiert und anschließend im September in die Haftanstalt Berlin-Tegel eingesperrt. Dem Angebot, aus dem Jesuitenorden auszutreten und dadurch freizukommen, erteilte Delp eine Absage; am 8. Dezember legte er in der Zelle das Ordensgelübde ab.77 Nach einem zweitägigen „Prozess“ vor dem Volksgerichtshof wurde er am 11. Januar 1945 wegen „Hoch- und Landesverrates“ zum Tod verurteilt. Am 2. Februar 1945 wurde er im Gefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet.78

      Hinter diesen wenigen Daten stehen intensive Erfahrungen eines sich des eigenen nahenden Endes immer bewusster werdenden Menschen. Die Phasen der Ruhe und der Angst, der Sicherheit und des Zweifels, durch die Delp ging, fanden ein Echo in seinen Gefängnisschriften. Die Texte enthalten zwar keine radikalen Neuheiten – Delp selbst betonte, er bleibe bei den alten Thesen79 –, sie stellen aber das ganze bisherige Denkwerk Delps in den Horizont eines Freiheitsdenkens. Die Grundbegriffe seines Denkens, wie etwa Gottesunfähigkeit, Blick auf das Ganze, Rückkehr zur Mitte, Bewegung „über sich selbst hinaus“ und Hingabe, wurden von dem gefangenen Jesuiten auf das Freiheitsereignis hin bezogen. Der existenzielle Kontext jener Reflexion ist evident, Delp schrieb über sich selbst, zu sich selbst und nicht nur für Andere.80 Sichtbar ist eine Verschiebung des Schwerpunktes seines Freiheitsverständnisses: weg von einem akademisch verfassten und eng an die philosophische Reflexion geknüpften Begriff von Freiheit, hin zu einem beinahe mystischen Freiheitsdenken. Sein an außergewöhnliche Bedingungen geknüpftes Freiheitsverständnis hält Delp zugleich für unbedingt realistisch und für die Alltäglichkeit geeignet. Die ganze den Menschen ergreifende, oft als Fessel erlebte Wirklichkeit könne zu einem Raum der Freiheit werden – in diesem Sinn versteht Delp die Wirklichkeit als ein „Sakrament der Freiheit“.81

      Die Gefangenschaft erlebte Delp