In der Gegenwart sind insofern die Themen des „alten“ Feminismus präsent als die „Frauenfrage“, die seit den 1960er Jahren die mit dem 2. Vatikanischen Konzil verbundenen Aufbrüche begleitet hat, zur Ausgestaltung feministischer Theologie und theologischer Frauenforschung geführt und auch kirchlicher Pastoral neue Aufgabenfelder erschlossen hat. Es wurden und werden Debatten um eine geschlechtergerechte Sprache in der Liturgie geführt. Traditionen geistlicher Theologie, in denen männliche Gottesbilder aufgebrochen werden, wurden entdeckt und öffneten der Gottesrede weitere Horizonte. Diese Anliegen haben Christinnen und Christen aller Konfessionen neu miteinander verbunden. Dieser „alte“ Feminismus ist heute präsent, aber er zeigt sich auf eine neue Weise. Der „neue“ Feminismus ist vor allem daran festzumachen, dass ein Prozess der „Enttabuisierung“ der Auseinandersetzung mit Macht, Fragen von Sexualität und Beziehungskultur und Frauen in kirchlichen Diensten und Ämtern eingesetzt hat und dass die Anliegen des Feminismus nicht mehr allein von der kirchlichen Frauenbewegung getragen werden, sondern vom reformorientierten Episkopat und vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken mitverantwortet werden. Die vier Foren, die für die inhaltliche Ausgestaltung des Synodalen Wegs der nächsten Jahre in der deutschen Ortskirche von Relevanz sind, greifen zentrale Themen der kirchlichen Frauenbewegung der letzten Jahrzehnte auf und werden – so die Hoffnung im Blick auf die Entwicklung der Foren – zu dieser genannten Enttabuisierung beitragen. Dies ist der notwendigen – hoffentlich auch nicht wieder abbrechenden – Auseinandersetzung mit den gravierenden Problemen sexuellen und geistlichen Missbrauchs in der katholischen Kirche geschuldet, einer der vielleicht größten Krisen, in denen sich die katholische Kirche seit den Zeiten der Reformation befindet.
Wenn sich kirchlicher Feminismus wieder neu meldet und Frauen sich auf den unterschiedlichsten Ebenen von Kirche – in Verbänden und Bewegungen ehren- und hauptamtlich tätig, in Pfarreien und Vereinen engagiert, Theologinnen und Ordensfrauen – heute auch international vernetzen, wie es das Anliegen der Organisation Voices of Faith ist, so ist dies ein hoffnungsvolles Zeichen. Darin kommen Kräfte zum Ausdruck, die getragen sind von einer tiefen geistlichen Überzeugung, die wiederum gestärkt wird von den die Geschichte der Kirche seit Jahrhunderten begleitenden Erfahrungen, Gebeten, theologischen und mystischen Werken der Frauen. Dies alles gründet in der Überzeugung, dass im Leben von Frauen und in ihren vielfältigen Geschichten Gottes Geist in der Geschichte gewirkt hat und auch heute weiterwirkt. In diesem Sinn ist die aktuelle Entwicklung im kirchlichen Feminismus Frucht der feministischen Bewegung und der Grundlagen des theologischen Feminismus und der Frauenforschung, die „Pionierinnen“ wie Elisabeth Gössmann, Elisabeth Moltmann-Wendel, Catharina Halkes, Elisabeth Schüssler-Fiorenza oder Anne Jensen gelegt haben. Die theologische Reflexion, die den Synodalen Weg und andere Reformbewegungen begleitet, muss auch heute von befreiungstheologischen und kritisch-feministischen Impulsen geprägt sein und muss sich mit interdisziplinären gender-theoretischen Analysekriterien auseinandersetzen. Sie kann gerade darum nicht eine „Theologie der Frau“ sein, von der Papst Franziskus in seinen – sicher wertschätzenden – Anmerkungen zu Frauen und Kirche immer wieder spricht, sondern eine frauenbefreiende Theologie, die nicht an das Geschlecht gebunden ist, vielmehr die Geschlechterbeziehung problematisiert.2
Neu ist heute die öffentliche Wahrnehmung. Es rückt etwas in das Zentrum kirchlicher Debatten, was viele Jahre nur am Rande wahrgenommen worden ist, was als „Feminismus“ abgetan und an den Rand gedrückt worden ist und was auch nicht in der theologischen Ausbildung, im „main-stream“ pastoraler Arbeit oder im Religionsunterricht präsent gewesen ist. Feministisch-theologische Literatur der „alten“ Generation ist in den letzten Jahren kaum rezipiert worden, Feminismus war „out“ für die jüngere Generation, er war nicht „attraktiv“, weil er an den Rand gestellt und nicht ernst genommen worden ist. Der gegenwärtige Moment der Krise hat dies zu ändern begonnen. Von „Feminismus“ zu sprechen bzw. sich als „Feministin“ zu bezeichnen, wird heute für jüngere Frauen wieder attraktiv. Dieser Feminismus der jungen Generation ist plural, nicht einlinig, nicht „dogmatisch“. Die jungen Frauen gehören einer selbstbewussten Generation an, die wahrgenommen werden will, die es versteht, mit den sozialen Medien und neuen Formen der Öffentlichkeit umzugehen. Sie positionieren das Thema der Priesterweihe für Frauen auf eine „frische“ Art und Weise, wie es die Schweizer Theologin Jacqueline Straub (Endlich Priesterin sein. Keine Frage der Macht, sondern des Herzens, 2017) oder die deutsche Journalistin Christiane Florin (Der Weiberaufstand. Warum Frauen in der katholischen Kirche mehr Macht brauchen, 2017) tun. Der „neue“ Feminismus verbindet sich mit der ökologischen Bewegung. Er setzt sich in gleicher Weise für Ehe und Familie wie für die Gleichberechtigung homosexueller Lebensformen ein. Er vernetzt sich international, verstärkt die Menschenrechts- und Gerechtigkeitsperspektive im Feminismus und weist auf die weltweite Gefährdung durch das Wachsen des politischen und religiösen Fundamentalismus hin. Die Gender-Perspektive, die den „alten“ Feminismus seit den 1990er Jahren zu verändern begonnen hat, ist hier präsent und verbindet sich – Soziologinnen sprechen von „Intersektionalität“ – mit anderen sozialen, ökonomischen und kulturellen Kategorien, die auf den Ausschluss von Menschen aufgrund von Klasse, ethnischer Zugehörigkeit, geschlechtlicher Ausrichtung hinweisen. Die Soziologin Myra Marx Ferree weist in ihrer Studie zur Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland auf die bleibende politische Relevanz des Feminismus hin, auch wenn im Vergleich zum „alten“ Feminismus pragmatischer mit den anstehenden Fragen umgegangen wird und viele neue Koalitionen eingegangen werden zur Unterstützung der feministischen Ziele. Eine „ausschließlich auf die Frauenbewegung ausgerichtete Strategie alter Schule“ sei „kontraproduktiv“.3 Diese Perspektive im Blick auf den säkularen Feminismus ist sicher auch zutreffend für den innerkirchlichen Feminismus. Der Synodale Weg in Deutschland wird zeigen, welche „Koalitionen“ mit gemischt-geschlechtlichen Bewegungen des Laienkatholizismus, mit Orden, mit Bischöfen und Kolleg*innen in der Wissenschaft möglich sein werden. Und gerade darum ist es heute wieder spannend, so Theresia Heimerl, als Frauen in der Kirche mitzuwirken. Wir sollten nicht „müde“ werden und weiter auf die in der Kraft des 2. Vatikanischen Konzils liegenden Erneuerungen vertrauen, wie eine ältere Verbandsfrau, die die konziliaren Aufbrüche mit vorangetragen hatte, derjüngeren Generation im Zuge der 50-Jahr-Feier des großen Reformkonzils zurief.
Im Vergleich zur Konzilszeit wird heute nicht mehr von der „Frauenfrage“ gesprochen, weil es um einen weitergehenden Strukturwandel in der katholischen Kirche geht. Der Gender-Begriff, eines der „Tabus“ in breiten kirchlichen Kreisen, hat dies offengelegt. Aber das bedeutet nicht, dass die „alte“ Frauenfrage nicht doch immer noch zu den großen „Zeichen der Zeit“ gehört. Die Frauenfrage hat mehr als andere „Zeichen der Zeit“ aufgedeckt, dass das „Innen“ der Kirche nicht mehr in einem Passungsverhältnis zum „Außen“ steht. Das trifft heute noch in gleicher Weise zu wie vor über 50 Jahren. Die Geschlechterrollen in der Gesellschaft haben sich in den letzten Jahrzehnten in radikaler Weise geändert und es ist zu einem „epochalen Umbruch“ im Blick auf die Frauenbiographien gekommen. Der Dekulturationsprozess, den das Christentum im Westen, den Kernländern des Christentums durchmacht, hat auch mit dieser Frauenfrage zu tun. Wenn Frauen beides sein wollen – Katholikin und engagierte