Der Schoppenfetzer und die Weindorftoten. Günter Huth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Huth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783429063986
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      „Ich weiß nicht“, gab der Banker zu bedenken. „Ganz so leicht, wie du das darstellst, ist sie nicht zu handhaben. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, kann sie ziemlich starrsinnig sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat.“

      „Wirklich, lass das meine Sorge sein. Ich werde das schon managen. Sieh du nur zu, dass der Preis stimmt.“

      „Vorstand und Aufsichtsrat meiner Bank sind sich darin einig, dass der Bauplatz dort für uns einfach optimal wäre. Von einer solchen Lage kann man nur träumen. Da greifen die Herrschaften dann auch mal gerne etwas tiefer in die Tasche. Meinst du, die Bürger nehmen es so einfach hin, dass wir ihnen in dieser zentralen Lage einen solchen Bau hinstellen wollen?“ Der andere lachte. „Die Bürger! Die Bürger! Die sind mir ziemlich egal. Die meckern heute und freuen sich morgen über die gleiche Sache. Man kann doch bei der Städtebaupolitik kein Wunschkonzert veranstalten. Lass den Bau erst mal stehen, dann gewöhnen sie sich schon dran. Vergiss du nur nicht, dass wir auch in der anderen Sache Partner sind. Es muss alles absolut diskret ablaufen. Wenn bekannt wird, was der eigentliche Grund für die ganze Baumaßnahme ist, kommen wir in Teufels Küche. Das ist dir ja wohl klar?“

      „Ich hänge da mindestens ebenso mit drin wie du. Mach dir keine Sorgen, für Diskretion ist gesorgt und dafür, dass du deinen Anteil abbekommst, auch. Wichtig ist, dass die Männer, die du für gewisse spezielle Arbeiten organisierst, absolut zuverlässig sind.“

      Sein Gesprächspartner nickte. „Kein Sorge. Es sind nur drei und die bekommen eine ordentliche Summe Geld. Außerdem werden sie nur so viel erfahren, dass sie die erforderlichen Arbeiten diskret erledigen können. Worum es in Wahrheit geht, brauchen sie nicht zu wissen.“

      Der Banker war zufrieden und erhob sich. „Lass uns zurückreiten. Ich habe heute noch einen Termin und möchte nicht zu spät kommen.“

      Sie holten ihre Pferde und saßen auf. Wenig später galoppierten beide in vollem Tempo in Richtung Stadt.

      Erich Rottmann stolperte über ein am Boden liegendes Kabel und wäre dabei fast gestürzt. Öchsle, sein vierbeiniger Begleiter, der ihn wie immer ohne Leine begleitete, rettete sich mit einem schnellen Sprung zur Seite. Unter einen stürzenden Erich Rottmann zu geraten, der das stolze Kampfgewicht eines gestandenen Mainfranken hatte, wäre mit dem Überrollen durch eine Dampfwalze zu vergleichen gewesen.

      Rottmann seinerseits konnte sich gerade noch an der neben ihm gehenden Elvira Stark festhalten, wobei er ungewollt, aber ausgesprochen weich mit dem Gesicht zwischen ihren Brüsten landete.

      Der pensionierte Kriminalkommissar und ehemalige Leiter der Würzburger Mordkommission hatte Elvira zufällig in der Domstraße vor dem Grafeneckart, dem Rathaus der Stadt, getroffen. Sie war aus einem Bäckerladen gekommen, in dem sie sich gerade eine Tasse Kaffee und ein Hörnchen gegönnt hatte. Da Erich Rottmann gerade auf dem Weg zur Traditionsweinstube Maulaffenbäck war, in dem der Stammtisch Die Schoppenfetzer beim Frühschoppen tagte, und Elvira sich, wie sie sagte, in einigen Schuhgeschäften umsehen wollte, hatten sie ein Stück Wegs über den Marktplatz gemeinsam.

      Elvira erklärte Erich lang und breit, dass sie absolut keine Schuhe mehr zum Anziehen hatte und daher dringend Abhilfe schaffen musste.

      Rottmann hatte nur genickt, ging aber auf dieses heikle Thema nicht näher ein. Nach seinen Erfahrungen war das Verhältnis der weiblichen Bewohner dieses Planeten zu ihren Schuhen für Männer genauso wenig zu verstehen wie das Mysterium des Inhalts einer Frauenhandtasche. Beides verminte Gebiete! Höchst konfliktträchtig!

      „Entschuldige bitte“, brummelte er verlegen und sorgte, nachdem er sich wieder aufgerappelt hatte, hastig dafür, dass wieder ausreichend sittsamer Abstand zwischen ihm und seiner Jugendfreundin entstand. „Die lassen aber auch alles hier herumliegen.“ Er zupfte seine Lodenjoppe zurecht und überzeugte sich mit einem Handgriff in seine Jackentasche davon, dass seine Pfeife und die dazugehörenden Utensilien nicht herausgefallen waren.

      „Um Gottes willen, Erich, du musst dich doch nicht entschuldigen!“ Elvira schenkte ihrem Begleiter ein strahlendes Lächeln. Von ihr aus hätte dieser Moment der Nähe durchaus noch etwas länger dauern können.

      Erich Rottmann verdankte diesen heiklen Augenblick den zahlreichen Arbeitertrupps, die schon seit Tagen dabei waren, auf dem Unteren und Oberen Markt die Holzlauben des Würzburger Weindorfs aufzubauen. In wenigen Tagen würde das Weinfest beginnen. Überall lag deshalb Baumaterial herum, war ein Gehämmere, Geschraube und Gebohre. Die Touristen, die vor dem historischen Falkenhaus versuchten, den Worten einer Fremdenführerin zu lauschen, hatten Mühe, deren Ausführungen zu folgen.

      „Freust du dich nicht, dass es jetzt endlich losgeht?“, wollte Elvira wissen und zeigte mit einer Geste über den Platz. „Das Wetter scheint auch zu passen. Das wird dieses Jahr sicher toll!“ Sie sah ihren Begleiter mit einem schnellen Seitenblick an. „Ich hoffe natürlich schon, dass wir beide auch mal ein paar Schoppen zusammen trinken.“

      Rottmann hüstelte. In der Zwischenzeit hatten sie die Schönbornstraße erreicht. Bis zu Rottmanns Abbiegepunkt ,Maulhardgasse‘ war es nicht mehr weit. Er wurde unruhig, denn Elvira machte noch keinerlei Anstalten, sich zu verabschieden. Wollte sie gar mit in den Maulaffenbäck gehen? Rottmann blickte hoffnungsvoll zur Schaufensterauslage eines Schuhgeschäfts auf der anderen Straßenseite. Aber Elvira dachte offenbar gar nicht mehr an ihren Schuhmangel.

      „Wird schon irgendwie klappen“, gab Rottmann zurück. „Wir müssen halt mal sehen, wie wir es terminlich einrichten können …“

      „Prima“, sagte sie lächelnd, „dann rufe ich dich an und wir können etwas ausmachen. Ich würde auch für uns reservieren. Ich weiß doch, dass du ein vielbeschäftigter Mensch bist.“ Wieder lächelte sie.

      Sie spielte mit ihrer Bemerkung auf die ungewöhnliche Tatsache an, dass Rottmann seit seiner Pensionierung ständig in irgendwelche Kriminalfälle verstrickt wurde. Selbstverständlich konnte nur er diese Fälle lösen. Dummerweise standen sie immer wieder ihren „persönlichen Momenten“, die Elvira mühsam eingefädelt hatte, im Wege.

      Dazu muss man wissen, dass sich Elvira Stark und Erich Rottmann schon als junge Menschen kannten … und liebten. Erich aus Gramschatz und Elvira aus Rimpar hatten sich in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit heftig ineinander verliebt und auf ihren Fahrrädern die Umgebung ihrer Heimatdörfer erkundet … und nicht nur diese. Doch irgendwann hatten sie sich aus den Augen verloren. Rottmann war zur Polizei gegangen und hatte dort Karriere gemacht. Elvira ließ ihre Vergangenheit gerne etwas im Dunkeln.

      Vor wenigen Jahren hatten sich die beiden dann durch einen Zufall wiedergetroffen, als einer dieser Kriminalfälle den pensionierten Kriminalbeamten Rottmann in den Grafeneckart, das Rathaus der Stadt, führte. Dort hatte Elvira eine Vertrauensstellung als Reinemachefrau auf der Chefetage.

      Seitdem sorgte die stramme Fränkin dafür, dass ihr die ehemalige Jugendliebe nicht mehr abhandenkam. Sie hegte die Hoffnung, den mittlerweile notorischen Junggesellen Erich Rottmann erneut erobern zu können. Vergangenes Jahr war sie sogar in die Rosengasse, in seine unmittelbare Nähe, gezogen. Ein Geniestreich, der Erich Rottmann seitdem immer wieder veranlasste, ängstlich nachzusehen, ob auch noch alle Zinnen seiner Junggesellenburg intakt waren.

      Elvira merkte natürlich, dass ihr Begleiter leicht unruhig wurde. Sie wusste, dass die Herren vom Stammtisch Die Schoppenfetzer, alles pensionierte Kriminologen und Juristen, weibliche Begleitung ihrer Mitglieder beim Schoppen eher zurückhaltend betrachteten. Sie beschloss, Rottmann endlich aus seiner Zwangslage zu befreien, und verabschiedete sich: „Also, Erich, ich will jetzt mal weiter. Ich rufe dich auf jeden Fall an, gell. Wünsche dir einen schönen Stammtisch!“ Sie beugte sich zu Öchsle herab und streichelte ihm über den Kopf, dann winkte sie und eilte davon.

      Erich Rottmann atmete tief durch. Irgendwie hatte er immer das Gefühl, dass ihn diese Frau an der Nase herumführte. Er schüttelte den Kopf und schob den Gedanken beiseite. Der Eingang zur Metzgerei neben dem Maulaffenbäck kam in Sicht- und Geruchsweite.