Geist & Leben 3/2016. Christoph Benke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Benke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429062750
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Juan de Polanco im Auftrag an Antonio Brandão, BU 350.

      5 S. dazu Juan de Polanco im Auftrag an Urbano Fernandes, BU 344.

      6 Gonçalves de Camara, Memoriale. Erinnerungen an unseren Vater Ignatius. Frankfurt a.M. 1988, Nr. 196 und 256.

      7 So u.a. an Francisco de Borja, Herzog von Gandia, BU 107.

      8 Der Schriftsteller E. Benyoëtz bringt es auf den Punkt: „Gottes Schrift ist schwer zu deuten, seine Unterschrift um so leichter zu fälschen“, in: Ders., Der Mensch besteht von Fall zu Fall. Aphorismen. Stuttgart 2009, 146.

      9 S. dazu H. Rahner, Ignatius von Loyola und das geschichtliche Werden seiner Frömmigkeit. Graz u.a. 1947, 57.

      10 S. dazu M. Rondet, Dieu a-t-ilsur chacun une volonté particulière?, in: Christus, 153 (1992), 179–186; M. Höffner, Berufung im Spannungsfeld von Freiheit und Notwendigkeit. Würzburg 2009.

      11 S. dazu I. Iglesias, La contemplaciónpara alcanzar amor en la dinámica des los EE, in: Manresa 59 (1987), 373–387; J. A. García, „De los Ejercicios a la vida ordinaria: La contemplación para alcanzar amor”, in: Manresa 79 (2007), 153–166; weiters D. Desouches, Au-delá du Christ. La contemplation pour obtenir l’amour, in: Christus 124 (1991), 211–224; M. Buckley, Contemplación para alcanzar amor, in: Diccionario de Espiritualidad Ignaciana. Bilbao 2007, 452–456.

      12 Diese Dynamik wird theologisch durch die Lehre von der Trinität ausgedrückt. Dem Pilgerbericht und dem Geistlichen Tagebuch ist zu entnehmen, dass die Dreifaltigkeit Gottes für Ignatius eine überragende Rolle gespielt hat.

      13 Welche Bedeutung die Dankbarkeit für Ignatius hat, geht u.a. aus einem Brief an S. Rodriguez hervor: „In seiner göttlichen Güte erwäge ich – vorbehaltlich eines besseren Urteils –, dass unter allen vorstellbaren Übeln und Sünden die Undankbarkeit eines der vor unserem Schöpfer und Herrn und vor den Geschöpfen, die seiner göttlichen und ewigen Ehre fähig sind, am meisten zu verabscheuenden Dinge ist, weil sie Nichtanerkennung der empfangenen Güter, Gnaden und Gaben ist, Ursache, Ursprung und Beginn aller Sünden und aller Übel; und umgekehrt, wie sehr die Anerkennung und Dankbarkeit für die empfangenen Güter und Gaben sowohl im Himmel wie auf der Erde geliebt und geschätzt wird.“ (BU 68)

      14 Eine kontemplative Lebensweise ist damit nicht ausgeschlossen, soferne sie in der Kontemplation auch die Welt im Blick hat.

      15 S. J. Melloni, The Exercises of St. Ignatius Loyola in The Western Tradition. Gracewing 2000, 48–54; S. Robert, Union with God in the Ignatian election, in: The Way Supplement 2002/3, 100–112.

       Bernd Hillebrand | Tübingen

      geb. 1970, Dr. theol., Hochschulpfarrer, Coach und Supervisor

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       Scheue Frömmigkeit

      Da lädt der gläubige Muslim Navid Kermani in einer Feierstunde, bei der Überreichung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels im letzten Herbst, die anwesenden Gäste zum Gebet ein. Und alle Anwesenden folgen dieser Einladung und erheben sich – zu stiller Meditation, zum Gebet und – wem dies nicht nahe liegt – eben zu einem säkularen Wünschen, dem Wünschen des Guten, für die bedrohten und verfolgten und verschleppten und ermordeten Christen in Syrien. An einem anderen, ebenfalls „weltlichen“ Schauplatz überrascht eine italienische Ordensfrau, Schwester Cristina Scuccia aus dem Orden der Ursulinen. 2014 gewinnt sie die italienische Gesangscastingshow The Voice of Italy und lädt am Ende alle Besucher ein, mit ihr ein Vater Unser zu beten. Nun mag der italienische Kontext noch eine relative Volksfrömmigkeit nahelegen, dennoch bleiben der Ort und der Zeitpunkt besonders exponiert.

      Nach Kermanis Gebetseinladung wurde die Frage vielfach diskutiert: Wie öffentlich darf Religion sein? Gehört Beten nicht in den Privat- und Intimbereich? Und wie verhält sich die Forderung von Religionsfreiheit zur Forderung nach religionsfreiem Raum? Gerade durch die Zunahme von Muslimen in Deutschland, die häufig ihren Glauben aktiv und ausdrucksstark leben, stellen sich Christen die Frage, in welchem Modus sie ihren Glauben leben und über ihren Glauben Zeugnis geben. Bräuchte es also mehr Mut, über seinen Glauben zu sprechen, vom eigenen Glauben Zeugnis zu geben oder Glaubenssymbole, wie Kreuze oder einen Kollar, offen zu tragen?

      Auf diese Fragen reagieren diverse Szenen christlicher Frömmigkeit v.a. auf zweierlei Weise. Die einen greifen offensive Ausdrucksformen aus dem freikirchlich-evangelikalen Spektrum auf und tragen bewusst christliche Bekenntnisse und Gebetsformen öffentlich nach außen. Sie füllen große Hallen bei Lobpreiskonzerten, vermitteln klare und einfache Glaubensformeln, bestärken sie durch persönliche Glaubenszeugnisse und erreichen ihr Publikum primär emotional. Die anderen sind zurückhaltender, wollen der Suche nach einem persönlichen Stil von Frömmigkeit Raum geben, betonen die Stille, öffnen feste Glaubensformeln und versuchen, dem tiefen Vertrauen aus dem Glauben durch diskrete Art und Weise Ausdruck zu geben. Es ist eine „scheue“ Form, die einlädt, zu kommen, aber auch wieder zu gehen. Und in dieser Begegnung kann es zu einer religiösen Erfahrung kommen, die tiefer nach dem Glauben fragt. Dieser zweite Ansatz ist diskreter als der erste und vertraut auf die Selbstgewissheit und die verschwiegene, geheimnisvolle Botschaft in jedem Menschen.

      Dennoch bleibt eine gewisse Spannung zwischen den beiden Ansätzen des Sich-Zeigens und des Sich-Verbergens, von „Religion öffentlich“ und von „Religion privat“, von Bekenntnis und geheimem Gefühl. Genau aus dieser Polarität heraus entwickelt sich Scham. In beidem spielt das Gefühl eine zentrale Rolle. Und ich meine, dass hinter all den oben gestellten Fragen das oft verdeckte Verhältnis von Religion und Scham liegt.1 So soll in diesem Artikel zuerst das Phänomen Scham in einer zeitgeschichtlichen Perspektive zu Wort kommen. Daran wird sich die Frage nach einem „verschämten Christentum“ anschließen, das von einem „bekennenden Christentum“ angefragt wird und umgekehrt. Daraus entwickelt sich die Forderung nach einem sensiblen Umgang mit Scham im Kontext religiöser Praxis, also die Forderung nach einer „scheuen Frömmigkeit“, die in einem dialektischen Verhältnis von objektiv und subjektiv, von Sich-Zeigen und Sich-Verbergen, von außen und innen steht. Das Beispiel scheuer Frömmigkeit in der Gemeinschaft von Taizé soll die Überlegungen abschließen.

       Scham – zeitgeschichtlich

      Über das Phänomen Scham wurde in den letzten Jahren fast inflationär geschrieben. Allerdings wurde sie meist mit dem Begriff der Peinlichkeit umschrieben. Über ihre mannigfaltigen Gesichter schreibt Martin Hecht in Psychologie heute: „Es gibt jene (Scham), die wir empfinden, wenn andere in unsere Intimsphäre eindringen oder wir versehentlich in ihre. Oder jene, die wir empfinden, wenn wir beim Lügen erwischt wurden oder anderen Unrecht getan haben. Und es gibt jene soziale Scham, die man heute meint, wenn man von peinlichen Situationen spricht. Sie steigt in uns auf, wenn uns bewusst wird, dass wir uns in einer bestimmten Situation nicht angemesssen verhalten haben, gleichgültig ob tatsächlich oder nur vermeintlich.“2 Scham bewegt sich am Limit zur Intimität und bei Überschreitung dieser Grenze wird es als unangenehm, als peinlich erlebt – und dies in doppeltem Sinne. Zum einen entsteht Angst, aufgrund des Fehlverhaltens ausgeschlossen zu werden und zum anderen macht sich ein Schuldgefühl breit, den anderen verletzt zu haben. Scham scheint sich aus zwei Urgefühlen zu nähren: „Schuld und Angst. Schuld regt sich, denn in jedem Peinlichkeitserlebenis rührt sich eine Stimme, die sagt: Das hätte dir nicht passieren dürfen! Angst kommt auf, deshalb die Achtung der anderen zu verlieren.“3 Man könnte also von einem moralischen und einem sozialen Gefühl sprechen, das die Scham auslöst. Beide Gefühle finden sich auch in der religiösen Praxis, wenn die Schamgrenze überschritten wird.

      Scham ist ein Phänomen, das wieder stärker ins Bewusstsein rückt. Kristian Fechtner beschreibt es als „Gefühlssignatur der spätmodernen Kultur“4. Nach einer kulturkritischen Analyse der letzten Jahre