Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte. Johannes Hofmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Hofmann
Издательство: Bookwire
Серия: Theologische Lehr- und Lernbücher
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429061180
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      Andererseits führen die Bischöfe bedeutender Ortskirchen Communio-Listen über die Hauptgemeinden, mit denen sie in Gemeinschaft stehen. So verfügen sie über ein Adressenverzeichnis, wenn Kommunionbriefe auszustellen sind, und können außerdem bei neu ankommenden Christen feststellen, ob sie aufgrund ihres Heimatbischofs der Kommunion und der Gastfreundschaft gewürdigt werden können. In Krisenzeiten und bei drohenden Spaltungen schickt man sich sehr ausführliche Listen zu. So schreibt z.B. Cyprian von Karthago († 258) an seinen Amtskollegen Cornelius von Rom († 253):

      „Ich habe dir erst neulich das Namensverzeichnis der [… afrikanischen] Bischöfe übersandt, die rechtmäßig und untadelig in den katholischen Gemeinden den Brüdern vorstehen; […] um dich selbst und unsere Kollegen [in Italien] wissen zu lassen, wem ihr schreiben müsst und von wem ihr Briefe annehmen dürft“ (ep. 59,9).

      Der κοινωνία oder Communio, die in der Eucharistiegemeinschaft gipfelt, entspricht als Gegenstück die Exkommunikation. Jeder Bischof, der das Recht hat, Kommunionbriefe auszustellen, kann diese auch verweigern und so die Kirchengemeinschaft aufheben. Freilich geht man in der Regel vorsichtig mit dieser Möglichkeit um. Als z.B. Bischof Polykarp von Smyrna um die Mitte des 2. Jahrhunderts nach Rom reist, um mit dem dortigen Bischof Anicet über den Ostertermin zu verhandeln, können sich beide nicht einigen. Trotzdem verbleiben sie in Kommuniongemeinschaft, indem der römische Bischof dem kleinasiatischen Amtskollegen sogar den Vorsitz bei der Eucharistiefeier überlässt und beide in Frieden auseinander gehen. Weniger besonnen reagiert Bischof Viktor von Rom († um 198). Er will die Kleinasiaten exkommunizieren, weil sie seine Vorstellungen vom Ostertermin nicht teilen. Als Konsequenz sollen durchreisende kleinasiatische Christen in Rom von der Gastfreundschaft und vom Gottesdienst ausgeschlossen und der Briefverkehr mit Kleinasien eingestellt werden. Damit stößt er jedoch auf den Widerstand vieler Bischöfe, die ihn auffordern, „für Friede, Einigung und Liebe einzutreten“ (Eusebius von Cäsarea, h. e. 5,24).59

      Trotz dieses Fehlschlags enthüllt Viktors Exkommunikationsversuch bereits den römischen Anspruch auf Weisungsvorrang. Denn theoretisch sind im 2. Jahrhundert zwar alle Bischöfe gleichrangig, sodass alle die Vollmacht zur authentischen Interpretation des Glaubens und zur Feststellung häretischer Abweichungen besitzen. Trotzdem kristallisieren sich allmählich einzelne Bischofssitze heraus, die in Glaubensfragen als besonders wichtig und kompetent gelten. Dass Rom in diesem Prozess kirchlicher Vorortbildung als Gemeinde der Reichshauptstadt und der Apostel Petrus und Paulus eine besondere Rolle spielen wird, liegt auf der Hand.60

      Schließlich bestehen seit dem ausgehenden 2. Jahrhundert zwischen den Gemeinden vielfältige Verbindungen, die das Bewusstsein verstärken, einer überlokalen universalen Kirche anzugehören. Im Anfangsstadium dieses allmählichen Zusammenwachsens der Ortskirchen zur Catholica versuchen die Bischöfe zunächst, strittige Fragen auf informeller Ebene, etwa durch Besuche oder Briefwechsel, zu klären. Doch werden die anstehenden Fragen immer komplexer, sodass ein individueller Rekurs auf die apostolische Überlieferung nicht mehr ausreicht und ein einzelner Ortsbischof sie nicht mehr beantworten kann. So wird die Zeit reif für übergemeindliche bischöfliche Zusammenkünfte, für die so genannten Synoden oder Konzilien.

       3.3 Die Anfänge der Ermittlung vertikaler und horizontaler Einheit durch die Regionalsynoden des späten 2. und des 3. Jahrhunderts

      Seit dem Ende des 2. Jahrhunderts versammeln sich – zunächst im Osten – benachbarte Bischöfe oder Bischöfe einer bestimmten Region, meist aber die Bischöfe einer Provinz, zu Synoden. In der Regel orientiert man sich bei der Organisation derartiger kirchlicher Verbände an den Strukturen der staatlichen Ordnung. Der Teilnehmerkreis wird allerdings nicht starr festgelegt, sondern über- oder unterschreitet je nach Anlass die Grenzen einer staatlichen Provinz. Manchmal treffen sich auch die Bischöfe mehrerer Provinzen oder laden führende Bischöfe anderer Provinzen ein. Allmählich schließen sich die Ortskirchen aber zu immer größeren kirchlichen Verbänden zusammen: auf Provinzebene zu Provinzsynoden, auf Reichsebene zu ökumenischen Konzilien, später auf Patriarchatsebene zu Patriarchatsynoden und im Westen im Einflussbereich des römischen Papsttums zu mehr oder minder stark an Rom orientierten Synodalverbänden. So macht sich immer deutlicher bemerkbar, dass die Kirche die universale Gemeinschaft aller Gläubigen umfasst.

      Bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts besitzen alle Synoden „außerordentlichen“ Charakter, da die Bischöfe bis dahin nur aus gegebenem Anlass zusammenkommen. Ab der Jahrhundertmitte tagen in Kappadozien und im westlichen Nordafrika allerdings schon jährliche Provinzsynoden. So versammelt sich fortan z.B. die nordafrikanische Synode im Frühjahr in Karthago, kann aber aus wichtigen Gründen auch im Herbst ein zweites Mal zusammentreten. Bereits damals nehmen hier bis zu 87 Bischöfe daran teil.

      Der erste historisch sichere Fall, der in altkirchlicher Zeit zu Synoden führt, ist der Osterfeststreit, zu dessen Klärung Bischof Viktor von Rom um 195 erstmals in den bedeutendsten Regionen der damaligen christlichen Welt Regionalsynoden initiiert.61 Zu solchen Problemen komplexerer Art, die man synodal zu lösen versucht, gehört auch die um 255/56 im Ketzertaufstreit aufgeworfene Frage, ob man die Taufe von Angehörigen häretischer Gruppen, die zur Kirche konvertieren wollen, als gültig anerkennen könne.62 Hinzu kommt nach der Decischen Verfolgung um 250/51 der auf diversen Synoden erörterte Bußstreit, wobei unter synodalem Austausch geklärt wird, wie die unter Druck vom Glauben abgefallenen Christen (lapsi) und andere sündige Christen in der Kirche zu behandeln sind.63

      Manchmal sind auf diesen frühen Regionalsynoden auch Presbyter oder Diakone als Berater, Antragsteller und Beschwerdeführer anwesend. An den nordafrikanischen Konzilien nehmen sogar Laien als Zuhörer teil. Das entspricht dem Bewusstsein der Alten Kirche, gemäß dem das für alle Verbindliche auch in der kirchlichen Öffentlichkeit verhandelt werden muss, wenn auch nur die Bischöfe stimmberechtigt sind. Im 3. Jahrhundert sind solche Synoden schon in Italien, Nordafrika, Ägypten, Syrien-Palästina, Asia und Pontus nachweisbar.

      Die Beschlüsse dieser Regionalsynoden werden im Sinne der Communio anderen wichtigen Kirchen in einem Synodalschreiben mitgeteilt. In der Regel erwartet man dann, dass auch die angeschriebenen Kirchen mit einem Antwortbrief zustimmen, vor allem wenn es um verurteilte Häretiker geht, die auch andernorts Anhang haben, oder wenn Fragen synodal geklärt wurden, die man auch in anderen Kirchen diskutiert. In Glaubensfragen sind diese Regionalsynoden davon überzeugt, vorbehaltlos für die ganze Kirche entscheiden zu können. Sind sie sich doch sicher, auf dem Boden der apostolischen Überlieferung zu stehen und in der Kraft des Heiligen Geistes zu urteilen. Wenn sie an andere Kirchen schreiben, dann verbinden sie damit also nicht eine Bitte um „Bestätigung“. Vielmehr verfassen sie ihre Synodalschreiben in der Gewissheit, dass die übrigen Kirchen ihnen zustimmen müssen, dass aber durch deren Beitritt deutlicher hervortritt, dass auf den entsprechenden Synoden die ganze, d.h. die katholische Kirche entschieden hat.

      Ein gutes Beispiel für dieses Bewusstsein bietet die 268 abgehaltene Regionalsynode von Antiochien, die Paul von Samosata, den Bischof von Antiochien, als Häretiker verurteilt, absetzt und an seiner Stelle einen neuen Bischof bestellt.64 Den Gläubigen wird daraufhin geboten, jegliche Gemeinschaft mit Paul zu meiden und ihn als einen Menschen zu betrachten, der „aus der katholischen Kirche“ ausgeschlossen ist. Die antiochenischen Synodalen messen ihrem Urteilsspruch also katholische, d.h. universalkirchliche Bedeutung bei. Zur Verdeutlichung ihrer Überzeugung senden sie aber Briefe an die Bischöfe von Rom und Alexandrien mit der Bitte, ihrem Urteil beizutreten.

      Hier treten also bereits Rom, Alexandrien und Antiochien als die drei wichtigsten „Schaltstellen“ der katholischen Communio in Erscheinung. Des Weiteren macht sich im Bewusstsein der Regionalsynode von Antiochien bemerkbar, dass die Synodalen ohne Vorbehalt für die ganze Kirche entscheiden. Wie sie durch ihren Synodalbrief zum Ausdruck bringen, halten sie es aber