Dass damit seine Beziehungen zu Gießen nicht erloschen waren, zeigte sich bald. Immer wieder wirkte er als Mittelsmann der Regierung, wenn es um die Besetzung freier Professuren ging. Nach der Zwangspensionierung des Kirchenhistorikers Kaspar Riffel (1807–1856) geriet die Fakultät in schwere See. Da Riffel sich in seiner Reformationsgeschichte negativ über Martin Luther geäußert hatte, entstand der Eindruck, seine Entlassung stünde damit in Zusammenhang. Die Bistumsgeistlichkeit verschiedener Dekanate wandte sich entschieden gegen die Maßnahme. Während das Dekanat Mainz-Stadt nicht mit Angriffen auf die großherzogliche Regierung sparte, enthielt sich die von Lüft mit unterzeichnete und wohl auch verfasste Eingabe des Dekanats Darmstadt jeden Angriffes auf die Regierung – für den in der Hauptstadt wirkenden Klerus wenig überraschend. Anstelle der Pensionierung stand die Kritik an der Agitation gegen Riffels Buch im Mittelpunkt. Allerdings zog Lüft ähnliche Konsequenzen wie die Mainzer, auch seines Erachtens hatte die Priesterbildung im Zentrum des Bistums stattzufinden. Mit dem bischöflichen Aufsichtsrecht über das Theologiestudium ließ sich am Regierungssitz schlecht argumentieren, stattdessen verwies die Darmstädter Geistlichkeit auf die weite Entfernung Gießens von den Provinzen Rheinhessen und Starkenburg, aus denen fast alle Theologen stammten, und auf das fehlende katholische Umland.12 Begegnet uns Lüft hier als Verfasser einer Eingabe an den Bischöflichen Stuhl zu Mainz, so schien es bald, er selbst werde die Mainzer Kathedra besteigen.
Graue Eminenz statt Exzellenz: Johann Baptist Lüft als Kandidat für den Mainzer Bischofsstuhl
Am 30. Dezember 1848 starb der Mainzer Bischof Peter Leopold Kaiser. Bald nach seinem Tod wurden in der Öffentlichkeit mögliche Kandidaten für die Nachfolge gehandelt: der Berliner Stiftspropst Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811–1877), der Mainzer Domkapitular Adam Franz Lennig (1803–1866) und eben Johann Baptist Lüft. Während Ketteler als Landesfremder zunächst in den Hintergrund trat, betrachtete der Münchner Internuntius Carlo Sacconi (1808–1889) Lennig und Lüft als due eccellenti ecclesiastici13. Ein Artikel in der „Darmstädter Zeitung“ favorisierte Lüft, der mit ausgezeichneter wissenschaftlicher Bildung und bewährter Geschäftskenntnis einen höchst ehrenwerten Charakter verbindet14. Auch im „Frankfurter Journal“ war zunächst nur von Lüft die Rede. Kaiser werde als Nachfolger vermutlich einen hochgeachteten katholischen Pfarrer in Darmstadt, einen geborenen Rheinhessen erhalten, der durch umfassende Bildung, wahre Frömmigkeit und liebenswürdigen und humanen Charakter gleich ausgezeichnet sein soll15. Ähnlich ließ sich die „Frankfurter Oberpostamtszeitung“ vernehmen. Lüft werde an dem Wesen und an den Satzungen des reinen Katholizismus festhalten, doch ebenso keine konfessionellen Friedensstörungen veranlassen. Dafür bürge sein streng kluges Verhalten in seiner gegenwärtigen Stellung16.
Lüft sollte nach dem Willen der Regierung auch als Stellvertreter des Bischofs in der Ersten Kammer wirken. Doch Lüft verweigerte sich. Die Regierung berief den Gießener Dogmatiker Leopold Schmid (1808–1869), der damit automatisch als Bischofskandidat ins Gespräch kam. Auf der Kandidatenliste, die das Mainzer Kapitel am 20. Januar 1849 aufstellte, standen die Namen der Domkapitulare selbst sowie Lüft und Schmid.
Der Mainzer Kreis sprach sich entschieden für Lennig aus. Fähig, würdig und berufen, Bischof zu werden, meinte Johann Baptist Heinrich (1816–1891), sei nur Lennig – Lüft sei allzusehr verdarmstädtert. Immerhin, bei einem Bischof Lüft konnte Lennig auf Einfluss hoffen17.
Die Darmstädter Regierung legte sich große Zurückhaltung auf und verzichtete auf die Benennung eines Wunschkandidaten, wie noch bei der Bischofswahl im Jahre 1833 geschehen. Umso größer war die Überraschung, als aus der Wahl am 22. Februar 1849 Leopold Schmid als Mainzer Bischof hervorging. Im Mainzer Kreis herrschte helles Entsetzen; doch begann man schon bald mit Maßnahmen, um die Bestätigung der Wahl zu verhindern.
Als Pfarrer der Residenzstadt Darmstadt, als Bischofskandidat und als Freund des Mainzer Kreises spielte Johann Baptist Lüft dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dass er selbst keinerlei Interesse an der Mitra hatte, verschwieg er nicht. Sein Kandidat war Adam Franz Lennig. Am 28. Januar 1849 teilte er diesem brisante Neuigkeiten aus Darmstadt mit. Lüft hatte gehört, die Regierung werde versuchen, die Wahl zu beeinflussen. Bereits zwei Tage später konnte er Entwarnung geben; er hatte in Erfahrung gebracht, dass das Ministerium sich überhaupt nicht in die Wahl einzumischen gedenke. Er informierte Lennig, dass er das Ansinnen der Regierung, ihn als Vertreter des Bischofs in der Ersten Kammer der Landstände zu gewinnen, abgelehnt habe, weil damit das Odium des künftigen Bischofs verbunden war.18 Wer kam außer Lennig als ernsthafter Kandidat in Frage? Schmid hatte in den Augen Lüfts keine Chance, der Klerus sei die Einschmuckelung und Herrschaft von Fremden endlich müde; der in der Schweiz geborene Schmid entspreche auch nicht den Anforderungen der Landesherrlichen Verordnung vom 30. Januar 1830, die forderte, der Bischof müsse ein Deutscher von Geburt sein19. Über den Ausgang der Wahl war Lüft indigniert. Pfui der Schande!, schrieb er Lennig, bei so vielen Fähigen in gremio habe das Kapitel einen Fremden und dazu noch diesen versteckten Schwaben gewählt. Bei allem Ärger über die Wahl Schmids, Lüft konnte nach wie vor versichern, dass die Regierung keine Schuld traf. Der landesherrliche Wahlkommissar hatte die Instruktion, auch gar keinen Einfluß zu üben. Lüft kannte ihn als Ehrenmann, der die Aufgabe unter anderen Voraussetzungen ohnehin nicht übernommen hätte20. Lüft riet Lennig, die Argumentation gegen Schmid auf vier Punkte aufzubauen: 1. Schmids Unfähigkeit, den Zwiespalt im Klerus zu überwinden, 2. das Eintreten der „Fortschrittspartei“ für Schmid, 3. der Wunsch nach einem Bischof, der aus der Diözese stammt, 4. die Ablehnung anderer Kandidaten (sc. Lennig) wegen ihrer katholischen Gesinnung.21
Im Herbst 1849 übermittelte er neue Informationen zur Haltung der Regierung und bezeichnete die Hofpartei für weniger gefährlich als die Wahlherren. Im Kapitel sah er diejenigen, die voll Leidenschaft und Verbitterung für Schmid agierten. Im Falle einer Ablehnung Schmids durch den Papst rechnete man in Darmstadt damit, das Kapitel werde Staudenmaier zum Bischof wählen. Doch der kann in den Augen Lüfts noch weniger als Schmid bestätigt werden22. Die Schreiben Lüfts machen deutlich, dass Lennig über die wahre Haltung der Regierung informiert war; seine Klagen über eine Beeinflussung der Wahl fußten somit allein auf grundsätzlichen Bedenken und waren von der Sache her unbegründet. Jedenfalls gelang es dem Mainzer Kreis die Verwerfung der Wahl Schmids durch den Papst zu erreichen. Das Kapitel verzichtete auf eine erneute Wahl, legte dem Papst eine Dreierliste mit den Namen des Breslauer Domherrn Heinrich Förster (1799–1881), des Rottenburger Domkapitulars Anton Oehler (1810–1879) und Wilhelm Emmanuel von Kettelers vor, der dann 1850 ernannt wurde. Schon im folgenden Jahr eröffnete er die Theologische Lehranstalt am Mainzer Seminar und sorgte so für den Untergang der Gießener Katholisch-Theologischen Fakultät. Wir wissen nicht, wie Lüft sich dazu stellte. Dass Lüfts theologisches Denken den Gießener Jahren viel zu verdanken hatte, ist nicht zu bestreiten. Der Austausch mit Lüft war aber auch für Staudenmaier und Kuhn, die zu bedeutendsten Theologen der Zeit zählten, ausgesprochen fruchtbar. Werfen wir daher einen Blick auf Lüfts theologisches Oeuvre.
Theologe von Ruf: Johann Baptist Lüft als Liturgiker
Wie Staudenmaier gehörte auch Lüft zu den Mitarbeitern der „Kirchenzeitung für das katholische Deutschland“. Hier veröffentlichte er 1832 einen Aufsatz zur Homiletik.23 In einer grundlegenden Analyse des Predigtwesens seiner Zeit konstatierte Lüft drei Bedürfnisse der Kanzelberedsamkeit:
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