Das funktioniert jetzt nicht mehr. Der Papst setzt auf Prozesse und sagte – damals zumindest – er wäre sehr enttäuscht gewesen, wenn in der Synodenaula nicht so heftig gestritten und gerungen worden wäre. Dass solcher Art angestoßene Prozesse nicht am letzten Synodentag erledigt sind, sondern „vor Ort“ weitergehen, wo wiederum miteinander gerungen wird – das dürfen wir in so mancher Diözese erleben.
Prozesse haben es in sich, sie ermöglichen Diskurs: Positionen werden bezogen, Fragen gestellt, es wird argumentiert und gestritten. Und nicht zu vergessen: auch Kofferabsteller in welche Richtung auch immer sind Teilnehmer des Diskurses, selbst wenn sie nicht als Diskursteilnehmer betrachtet werden wollen, sondern sich als alleinige Hüter der Wahrheit verstehen. Auch das durften wir nach der Familiensynode erleben.
„Auditrix“, Hörerin sein, – das klingt ganz entspannt, ist es aber nicht. Mir ist – mitten in der Weltkirche – sehr deutlich geworden, dass ich mit ganz speziellen Ohren höre. Den Ohren einer Frau aus einer offenen Gesellschaft mit einer freiheitlichen Rechtsordnung, mit den Ohren aus dem Land der Reformation, einem Land mit einer hochprofessionellen Caritas und Diakonie, mit sozialen Absicherungssystemen, aber auch aus dem Land mit einem Kirchensteuersystem, in dem hauptamtliche Laienmitarbeiterinnen und -arbeiter ihren Dienst tun. Einem sehr reichen Land.
Zwischen Menschen aus allen Kontinenten mit ihrer je eigenen Sprache sitzend, dachte ich, beim Stundengebet in der Synodenaula – mit Textheft! – da treffen wir uns auf alle Fälle. Umso überraschter war ich, dass nicht 250 Kehlen aus vollem Hals mitsangen, sondern eher herumgenuschelt wurde. Und wohl nicht, weil nicht alle gerne sängen, sondern weil das vermeintlich zusammenführende Latein doch möglicherweise Schwierigkeiten bereitete.
Die weltkirchliche Komplexität ist längst angekommen – das Neue: sie wird kommuniziert. Nicht mehr hinter vorgehaltenen Bischofshänden gewispert, sondern direkt aus der Aula gepostet, geteilt und rasant im Netz verbreitet. Damals ist in der Aula einer der Synodenväter aus der südlichen Halbkugel aufgestanden und hat seine Mitbrüder aufgefordert, zuallererst das Evangelium zum Thema Reichtum, Armut und Gerechtigkeit zu befragen – vor allen hehren Vorstellungen, wie Familie zu sein hat.
Diese Herausforderung des Evangeliums steht. Immer noch. Versehen mit mehreren Ausrufezeichen. Die Zielgruppe der Jugendsynode ist in manchen Ländern wohl gerade nicht online – sie ist auf der Flucht vor kriegerischen Auseinandersetzungen, Gewalt und Korruption. Im Gepäck die Hoffnung auf ein besseres Leben.
Wer weiß, vielleicht wird das eine Synode, deren Subtext „globale Verantwortung“ lautet, eine politische Synode und zugleich eine zutiefst spirituelle und hoffnungsvolle, weil sie die O-Töne der Jungen nicht überhört, die ihre Hoffnung singen, slamen oder tanzen, die überall tatkräftig das Evangelium verkünden, und wirklich nur notfalls mit Worten4.
Lokale Herausforderungen brauchen lokale Antworten – wenn also hier in unserem Land jetzt schon im Vorfeld der Synode in Verbänden und Diözesen Prickelndes und Unordentliches, Ausrufezeichen und Fragezeichen, Brandgefährliches und überaus Zärtliches – so ist das Evangelium nun mal – miteinander geteilt werden, dann sind die Jungen schon mittendrin – in der Synode.
1 Papst Franziskus, Predigt anlässlich seines 25. Bischofsjubiläums: 27. Juni 2017 RV.
2 Vgl. DBK (Hrsg.), „Gemeinsam Kirche sein“, Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral, 01. August 2015, Bonn 2015.
3 Tagle, Luis Antonio, Wir sollen Wunden heilen, in: DIE ZEIT, Ressort: Glauben und Zweifeln, Gastbeitrag der Ausgabe Nr. 44/2015, 60.
4 Zitat, das dem Hl. Franz von Assisi zugeschrieben wird.
Jugend(liche) in der Kirche:
Bestandsaufnahmen
„Die Jugendlichen in der Welt von heute“
Marco Kühnlein
„Die Jugendlichen in der Welt von heute“1: So lautet in deutscher Übersetzung die Überschrift des ersten Hauptabschnitts des Vorbereitungsdokuments zur Synode „Die Jugendlichen, der Glaube, die Berufungsentscheidung“. Bereits in dieser Überschrift kristallisieren sich die drei Schlagworte des Themen- und Fragenhorizontes heraus, die den Rahmen der Erstellung einer Bestandsaufnahme in diesem Studienband vorgeben: Jugendliche, Welt, Heute.
Das Vorbereitungsdokument merkt eher beiläufig an, „[…] dass die Jugend nicht in erster Linie eine bestimmte Kategorie von Menschen identifiziert, sondern vielmehr eine Phase des Lebens ist, welche durch jede Generation in einer einzigartigen und unwiederholbaren Weise geprägt wird.“2 Mit dieser Aussage ist aber ein wesentlicher Punkt markiert: Die Verhältnisbestimmung „der Jugend“ zum Glauben ist unmöglich, weil es „die Jugend nicht mehr gibt“3. Ein adäquater Sprachgebrauch ist es daher, von „den Jugendlichen“ zu sprechen, um der real existierenden Komplexität und Diversität dieser Altersgruppe gerecht zu werden.
Gewiss wurde „die Jugend“ im 20. Jahrhundert als eine feste Größe nicht nur innerhalb des Milieukatholizismus betrachtet. Doch dies hat sich durch allerlei Verschiebungen, zusammengefasst unter dem Stichwort „Globalisierung“, geändert. Jugendliche erleben sich nicht mehr als passive Empfänger, sondern als aktive Gestalter ihres eigenen Umfeldes. Sie werden unmittelbarer als früher zu „Subjekten des Wandels und fähig, neue Möglichkeiten zu schaffen“4. Diese individuelle Gestaltungsfreiheit Jugendlicher erstreckt sich zweifelsohne auch auf den Bereich des Religiösen und erfordert angemessene Beachtung.
Daraus darf man schließen: Es gibt eine Welt, aber in ihr viele einzelne und sich immer neu justierende Lebenswelten. Durch das veränderte, digitale Kommunikationsgeschehen sowie durch erhöhte Mobilität sind diese Lebenswelten enger miteinander vernetzt, kommen in Berührung und prallen gelegentlich auch aufeinander, wie sich am Beispiel von Flucht und Migration ablesen lässt. Die Folge ist eine Pluralisierung des öffentlichen Lebens bei gleichzeitiger Individualisierung der eigenen Lebenswelt. Das schafft insbesondere bei Jugendlichen ein Bewusstsein dafür, als Individuum Teil einer Masse zu sein, und befördert damit eine dynamische Dialektik von Individualisierung und Homogenisierung, die sich auf das Verhältnis zwischen Lebenswelt und Welt auswirkt.
Um darauf flexibel reagieren zu können, sind die Bezugspunkte der heutigen Lebenswelten nicht Strukturen eines geschlossenen Systems, das Masse und Individuum in ein festes Verhältnis setzt, sondern glaubwürdige Personen. Dies manifestiert sich nicht zuletzt in einer großen Skepsis Jugendlicher gegenüber der Institution Kirche bei gleichzeitiger Aufgeschlossenheit gegenüber religiösen Fragen. Insofern legt sich nahe, die zwei Fragenbereiche nach der Religiosität oder dem Glauben Jugendlicher einerseits und ihrer (Nicht-)Beziehung zur Kirche andererseits zu trennen, um differenzierte Antworten zu finden.
Das Heute ist treffend charakterisiert mit dem Phänomen der Beschleunigung. Der Abstand zu den Lebenswelten von Menschen anderer Generationen wächst schneller, was sich nicht zuletzt in der Gleichgültigkeit gegenüber überkommener (religiöser) Sprache zeigt. Dabei stehen der Wille und die Freiheit zur aktiven Zukunftsgestaltung Jugendlicher nicht selten in Spannung oder gar im Widerspruch zu einer Zukunftsangst. Sie bewirkt eine „Situation der Verletzlichkeit und Unsicherheit“5 sowie eine Orientierungslosigkeit und Vereinsamung.
Durch den von Unsicherheit geprägten, sich ungewiss verändernden Horizont der eigenen Lebenswelt im Jetzt wird folglich das Durchringen zu letztgültigen Entscheidungen, die auf die Zukunft hin festlegen, erschwert. Daher gehen Jugendliche bei der „Ausbildung einer Identität immer mehr einen ‚reflexiven Weg‘“6, der je neu veränderbare Optionen als bindende Festlegungen bereithält.7
Diese im Vorbereitungsdokument aufgeführten Themen werden in den nachfolgenden Beiträgen auf je eigene Weise aufgegriffen: Aus historischer Perspektive stellt Florian Bock Veränderungen und Umbrüche beim Verhältnis „der Jugend“ zum deutschen Katholizismus des 20. Jahrhunderts bis