Die Eucharistie als Opfer der Kirche. Michael Hesse. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Hesse
Издательство: Bookwire
Серия: Bonner dogmatische Studien
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429062125
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das in sich zurückläuft, ein ewig sich drehendes Rad, gleichsam eine „Zeitschlange, die sich in den Schwanz beißt“. Eine weitere Zeitauffassung, die Casel dem Spätmittelalter entlehnt, ist eine sich stets fortsetzende Zeit, ohne Umkehr oder Rückkehr. Schließlich kennt Casel eine dritte Zeitauffassung, die er den Ausführungen von Friedrich Nietzsche entlehnt. Sie definiert er als eine Art ewiger Wiederkehr des Gleichen. Letztlich favorisiert Casel jedoch keine dieser Konzeptionen, sondern er zieht es vor, eine eigene Auffassung von Zeit zu entwickeln, die er auf dem christlichen Glauben gründet. Die Basis bildet das Kirchenjahr, in dem Casel sowohl das Kreisförmige bzw. Wiederkehrende, als auch das sich Entwickelnde vereint sieht. Beide Spielarten bestehen hier in- und miteinander. Es erfolgt gleichzeitig, die Vorbereitung auf die Ewigkeit, ewigkeitsträchtige Zeit durch das Christusmysterium, wodurch wiederum die Geschichte transzendiert wird und sich göttliche Gegenwart ereignet.275 Casels Geschichtsverständnis ist christozentrisch auf das Christusereignis als prägende Mitte ausgerichtet. Geschichte bekommt hier eine soteriologische Dimension verliehen. Diese kommt dem Menschen mysteriologisch nahe, weil das Christusmysterium unter den kultischen Zeichen anwesend ist. Dass bedeutet, dass das historische Christusereignis zusammen mit dem bleibenden Christusmysterium im Kult der Kirche die Mitte und das Ziel der Caselschen Geschichtsauffassung bildet. In Christus begründet und eröffnet sich die Heilsgeschichte. Mit dieser Geschichtsbegründung überschreitet Casel zugleich die Grenze zum Übergeschichtlichen, denn für ihn ist die eschatologische Wirklichkeit nicht nach der Zeit, sondern in der Zeit und Geschichte bereits verborgene Tatsache der Endgültigkeit von Geschichte, die durch die pneumatische Anwesenheit des Christus verbürgt wird. Es gibt also keine Heilsgeschichte ohne das Material von Weltgeschichte. Sehen wir zur Verdeutlichung dieser Caselschen Geschichtsauffassung auf das konkrete Verständnis der Auferstehung Christi. Die Auferstehung Jesu Christi sprengt als pure Heilsgeschichte den Rahmen von Zeit und Geschichte und wird zum Wendepunkt von Weltgeschichte. Das Erscheinen Christi ist das entscheidende Faktum in Zeit und Geschichte. Die Anwesenheit Christi ist für Casel das Ineinanderfallen von Geschichte und Eschatologie. Durch den Ursprung aller geschichtlichen Ereignisse im ewigen Heilsplan Gottes in Christus wird zugleich die Möglichkeit eröffnet, dass jede Zeit dem Eschaton gleich nahe bzw. fern ist.276 Auf dieser Grundlage wird verständlich, dass Casel zwei Formen von Feiern der Heilstat Jesu unterscheidet: Die historische und die metaphysisch-pneumatische Form. Erstere betrachtet die Heilsereignisse in ihrem geschichtlichen Ablauf von der menschlichen Perspektive her, die zweite Form fokussiert die Gesamtheit der Heilsgeschichte in einen Blickpunkt wie in einer Synopse. Diese Betrachtungsweise findet er im biblischen Bereich bei Paulus und Johannes. So baut er seine pneumatologische Grundlegung der zusammenfassenden Schau der Heilsgeschichte in der Mysterientheologie auch auf Paulus auf.277 Wie lässt sich nun Casels Theologieentwurf ansatzweise definieren. Versuchen wir dies im nächsten Schritt zu beantworten, um es uns für unser Thema klar zu machen, mit welcher Intention Casel seine Mysterientheologie entwickelt.

       5. Theologie als Mysterientheologie

      Mit dem Zentralbegriff „Mysterium“ meint Casel nicht das Geheimnisvolle oder Mystische, das mit dem Verstand nicht erfassbar ist. Er meint auch nicht die Dimension von naturhaften Riten, in dessen Verstehensweisen der Begriff Mysterium gerade heute in so vielerlei Hinsicht in den verschiedensten Weltanschauungen gebraucht wird.278 Wie Casel Mysterium verstanden wissen will, zeigt sich beispielsweise in seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Übersetzung des „mysterium fidei“ im eucharistischen Kanon mit „Geheimnis des Glaubens“, da ein Geheimnis keine Handlung ist, sondern das, was der Mensch nicht kennt. Mysterium will Casel jedoch als Handlung verstanden wissen, als Handlung Gottes, die unter der Gestalt eines Ritus Gegenwart ist und im Glauben erkannt wird. Was aber von den Gläubigen erkannt werden kann, kann kein Geheimnis sein. „Mysterium fidei“ steht bei Casel für die Verbindung von Glauben und Mysterium, d.h., bis zur Parusie des Herrn feiert die Kirche das Mysterium als kultisches Tun und erblickt darin im Glauben den gegenwärtigen Kyrios.279 Wenn man fragt, was demnach der Inhalt des Mysteriums ist, gibt Casel dazu die Definition, dass es die hinter dem Bild des Kultes stehende Wirklichkeit ist, die dem Mysterium den Inhalt verleiht.280 Mysterium ist folglich eine Abbildung der Wirklichkeit.281 Dieses abbilden soll nicht abstrakt verstanden werden, d.h., das Mysterium besitzt in seiner Grundkonzeption eine Realität. Göttliche Wirklichkeit bricht hier in die Welt ein und wird sinnlich erfahrbar. Diese sinnlich wahrnehmbare Gestalt ist für den Liturgiker Casel notwendig, weil die Gläubigen die göttliche Wahrheit noch nicht in reiner Geistigkeit schauen können, sondern innerweltlich eines Symbols, eines Zeichens bedürfen.282 Hier bringt Casel beispielsweise seine Kritik an der Destruktionstheorie (vgl. oben im Prolog) an. Er sieht nämlich gerade in der Trennung von Eucharistie und Mysterium letztlich deren Scheitern grundgelegt.283 Er will mit seinem Ansatz diese Trennung zu überwinden suchen.

      In welcher Art ist im Symbol des Ritus, wenn ihr Inhalt die Abbildung der göttlichen Wirklichkeit ist, nun das Heilswerk Christi gegenwärtig? Casel definiert, dass im Mysterium nicht das Heilswerk in der geschichtlichen Gestalt, sondern vielmehr in übergeschichtlicher, d.h. in dessen ewiger Bedeutung gegenwärtig wird. Damit ist es Gottes Werk am Menschen zur Gründung der Gottesherrschaft, d.h. die Menschen erhalten durch das Mysterium die Möglichkeit zum Eintritt in die übergeschichtliche Wirklichkeit, die durch den Tod und die Auferstehung Jesu erschlossen ist. Eine Einschränkung macht Casel allerdings wenn er sagt, dass das Mysterium noch nicht vollkommener Besitz des Menschen ist, sondern ihm bisher allein im Glauben gegeben ist. Darum definiert er den Terminus „mysterium fidei“ in der Weise, dass allein im Glauben die Wahrhaftigkeit des Mysteriums voll zu erfassen ist.284

      Aus dieser Definition von Mysterium ergibt sich für sein Liturgieverständnis, dass Liturgie nicht geschichtliche Erinnerung ist, sondern die Gegenwart des Mysteriums.285 Sie bezeichnet den Ort, an dem die Herrlichkeit Christi in der Verborgenheit des Mysteriums geschaut werden kann.286 Beginnen wir daher zunächst bei der grundlegenden Frage nach dem Liturgieverständnis Casels, als der Basis seiner Mysterientheologie.

       5.1 Mysterientheologie als liturgisch-praktische Theologie

      Zunächst müssen wir uns einige Gedanken zum Verständnis der Theologie als „praktische Theologie“ bei Casel machen. „Praktisch“ bedeutet für ihn zugleich liturgisch, den vollzogenen Kult betreffend. Wegen seiner ablehnender Haltung zur Neuscholastik, die wir schon erwähnten, kommt es diesbezüglich zur Auseinandersetzung287 mit K. Prümm. Es geht dabei um das wahre Verständnis des biblisch-patristischen Begriffs „Mysterium“, eben den Zentralbegriff der Theologie Casels. Prümm will diesen als geheime Wahrheitslehre verstanden wissen, die den Intellektuellen vorbehalten ist und rational dargelegt und ausgelegt werden kann.288

      Im Grunde strebt Casel die Rückkehr zu einer sehr einfachen Denkform an, Schilson spricht sogar dabei von „primitivem Denken“. Die Wissenschaftskrise seiner Zeit lässt Casel eine Brücke zum Anfang des Christentums schlagen, um eine Erneuerung des theologischen Denkens mittels Ursprungsdidaktik anzustreben. Die im Ursprung vorherrschende einfache Geisteshaltung bekommt zusätzlich durch ihre Ursprungsnähe zum Offenbarungsereignis Normativität zugesprochen. Die Ursprungsnähe wird zugleich für das Kultverständnis in Anspruch genommen. Da in dieser Konzeption der ganze Mensch in das kultische Tun einbezogen wird, kann von einer symbolisch-praktisch-orientierten Denkform gesprochen werden.289 Schilson fasst treffend zusammen, wie Casel für seine symbolisch-kultisch orientierte Theologie ein wissenschaftliches Fundament legen will:

      „Hier findet er [Casel] im noch unverdorbenen Anfang der Menschheitsgeschichte, in dessen Nachhall im ursprünglichen religiösen Bewusstsein der Menschheit und schließlich in der Einheit stiftenden Funktion des Kreuzes Christi das einzig angemessene Wirklichkeitsbewusstsein – ein synthetisches Denken, hinter dem alles analytische Forschen der Wissenschaft weit zurückbleibt.“290

      Aufgrund des „primitiven“ Denkens, das Casel auf den Kult, als den Ort der Wahrheitserscheinung aller Dinge, bezieht, versteht er die