In der Inszenierung der Corona-Krise zeigt sich auf der anderen Seite der Versuch, die Ideale der Alten gegen die neue Real-Politik vor dem Untergang zu schützen, und sei es schlichtweg dadurch, dass die Alten noch einige Jahre leben können. Die Ideale der Alten verweisen auf eine menschliche Grundkonstante, die durch Inszenierungen von Schuld, Schutzbedürftigkeit, Leugnen der Gefahr und auf der anderen Seite den „harten“ Maßnahmen ausgeblendet wird. Der Mensch lebt, weil er sich zwischen Natur und Kultur bewegt, in einem stetigen Krisenmodus. Er befindet sich in einem ständigen Widerspruch zwischen der Natur, die er auch ist, und dem Kulturwesen, das er geworden ist oder sein will. Ralf Konersmann nennt dies das „unbedingte Kulturprimat der Unruhe“28. Die Generationen nach dem Krieg haben an die Gestaltungsmöglichkeiten von Gesellschaft geglaubt, den Pol Kultur sehr stark betont und sich damit von dem Pol Natur weit entfernt. Sie haben daher oft nur wenig Gespür dafür, wie es „der Natur geht“. Dafür konnten sie Kultur in einer unermesslichen Vielfalt und einem fast grenzenlosen Angebot genießen. Der Widerspruch zur Natur war durch die maximale Verfügbarkeit von Kultur aufgelöst in die Inszenierungen von Natur durch die Kultur. Die Corona-Krise zwingt die Menschen dazu, die Natur wieder als Teil ihres Menschseins anzuerkennen, einmal weil durch die Beschränkungen das kulturelle Leben fast vollständig zurückgefahren wurde und weil zweitens SARS-CoV-2 ein Spieler aus dem Reich der Natur ist. Der Schutz des eigenen Lebens und das der anderen verlangt ein Wiederbesinnen auf Kulturtechniken wie Höflichkeit, Vornehmheit und Rücksicht. Das sind die Techniken, die im „Streit“ zwischen Natur und Kultur eingeübt werden müssen, um dem Ideal des Menschseins näherkommen zu können. Die Menschen gewöhnen sich in der Krise daran, dass auch die Inszenierungen andere sein werden und die Bilder der Alten langsam verblassen. „Die Bühne der gesellschaftlichen Debatte braucht neue Figuren und Geschichten, um eine neue Wirklichkeit zu beschreiben und Haltungen zu stärken, die dieser Wirklichkeit angemessen sind.“29 Philipp Blom benennt als eine solche Figur Greta Thunberg, die „zum Bild eines widerständigen Gewissens“30 geworden ist und die neue Erzählung einer kompromisslosen Forderung darstellt. Der Gedanke von Philipp Blom, dass die Klimakatastrophe die Kulisse für die nächsten Jahre bilden wird, müsste dahingehend korrigiert werden, dass es der Bezug zur Natur ist, der die Inszenierungen prägen wird. Durch die Ikone Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Bewegung ist auch die Verantwortung für den Planeten auf die Bühne der Weltpolitik gebracht worden. Verantwortung für den anderen als gegenseitige Rücksichtnahme wurde zu einem starken Narrativ, das bei der Inszenierung der Corona-Krise eine der Hauptrollen spielt. Vielleicht ist es ein wenig überzogen und die Deutung zu vorschnell, dass ohne das Narrativ Greta Thunberg die Corona-Krise nicht so gut hätte bewältigt werden können. In der Krise ist es notwendig, ohne vielleicht berechtigte Einwände für das Überleben einzutreten. Und genau an dieses Bild hatte sich die Weltbevölkerung bereits durch dieses Mädchen gewöhnt, das ganz unsentimental mit einer völlig einseitigen und kompromisslosen Forderung auf die Weltbühne getreten war. Dass sie während der Corona-Krise weitestgehend aus der medialen Aufmerksamkeit herausfiel, widerspricht dieser Annahme nicht. Das mahnende und ein schlechtes Gewissen machende Narrativ wäre kontraproduktiv zur Freiwilligkeit bei der Befolgung der Einschränkungen gewesen und auch in sich widersprüchlich, da die Kompromisslosigkeit das Kennzeichen dieser Bewegung ist. Um die Pandemie bewältigen zu können, kann wie beim Klima nur eine bedingungslose Konzentration auf ein Thema gefordert werden, und das ist in der Corona-Krise der Schutz vor Infektion und Erkrankung mit einem schweren Verlauf und möglicher Todesfolge.
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