Die digitalen Medien, das Internet und Social Media haben dazu geführt, dass Nachrichten als einfache Informationen kaum noch Aufmerksamkeit finden. Der Vordenker des Internets Jaron Lanier18 forderte die Menschen auf, ihre Social-Media-Accounts zu löschen, weil durch die sozialen Medien die Demokratie zerstört würde. Es ist durch die digitalen Medien leichter, Fake News, Deepfakes und auch Verschwörungstheorien zu verbreiten. Die öffentlich-rechtlichen Medien sowie die großen Tagesund Wochenzeitungen stehen nicht mehr für eine seriöse Informationsverbreitung, allenfalls für das Bemühen, noch einigermaßen objektiv und ehrlich zu berichten. Aufmerksamkeit ist zu einer der wichtigsten Ressourcen in der Welt des 21. Jahrhunderts geworden, und daher müssen Inhalte publikumswirksam sowie unterhaltsam auf Kosten von Objektivität und Sachlichkeit gestaltet werden. Vor allem für Politiker gilt die Vorsichtsregel, keinen pointierten Satz zu formulieren, der im Mainstream auf massive Kritik stoßen könnte. Äußerungen müssen so „harmlos“ getroffen werden, dass die Gefahr, missverstanden zu werden, so gut wie ausgeschlossen ist. Damit verliert der gesellschaftliche Diskurs an Biss. Die Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit und unter Politikern scheint kein Ringen um Positionen mehr zu sein, sondern um die beste Medienwirkung. Die Niederschwelligkeit im Internet, seine Kritik zu äußern und einen Shitstorm zu initiieren oder zu verstärken, hält manche, die im öffentlichen Leben stehen, von klaren oder unliebsamen Äußerungen ab. Und das nicht nur aus Angst, weil sie Opfer einer solchen Erregungswelle im Netz sein könnten, sondern manchmal auch, weil der Diskurs hierdurch banaler wird und eben nicht zu einer konstruktiven Meinungsbildung führt. „Der ‚Shitstorm‘ wird damit zur affirmativsten Form der Kritik, die sich selbst genügt und keine Unterscheidungen braucht.“19 Innerhalb der Gesellschaft verlagert sich die fehlende Polarisierung in extreme Gruppierungen, weil sie sich nicht vertreten oder gehört fühlen. Es entsteht eine Erregung, die um Skandale, Benachteiligung von Opfergruppen und Krisen kreist. Tritt eine tatsächliche und reale Krise ein, wird sie lediglich als außergewöhnliche Steigerung der gewohnten Erregungsgeschichten wahrgenommen. Die Konsumenten der Skandal- und Opfergeschichten haben das Gespür für die Form einer Krisenbeschreibung verlernt oder gar nicht erlernt. Es werden erst in der Krise Krisennarrative geschaffen und entwickelt, sodass es anfangs zu gewaltigen Irritationen, Übersprungshandlungen und Absurditäten kommt. Die Möglichkeit, dass die aktuelle Krise auch das Ende bestimmter Entwicklungen einleiten kann, wird nicht in Betracht gezogen. So ist zum Beispiel das Wachstumsnarrativ über Jahrzehnte wie zu einem Naturgesetz geworden und wurde daher gar nicht mehr als Narrativ gedeutet. Auch haben die Erregungsgesellschaft und die totale Medialisierung der Öffentlichkeit die Wahrheitsfrage verdeckt. Es entstand eine Kultur des Bullshits. Nach Harry G. Frankfurt geht es beim Bullshit nicht mehr um Wahrheit oder Richtigkeit, sondern nur noch um eine Aussage, die Wirkung hat. „Gerade in dieser fehlenden Verbindung zur Wahrheit – in dieser Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, wie die Dinge wirklich sind – liegt meines Erachtens das Wesen des Bullshits.“20
Freiheit, egal wie wir sie verstehen, muss immer einen Wahrheitsbezug haben, da sie ansonsten nicht als Wert eingefordert werden kann. In einer Krise wird der Wert der Freiheit durch seine negative Bestimmung ins Bewusstsein zurückgeholt, indem Freiheiten beschränkt und Disziplinarmaßnahmen verordnet werden. Michel Foucault hat in „Überwachen und Strafen“ zwei Grundmodelle gegenüberstellt. „Einmal ist es der Traum von einer reinen Gemeinschaft, das andere Mal der Traum von einer disziplinierten Gesellschaft.“21 Bei der Lepra versuchten die Gesellschaften die Erkrankten auszuschließen oder sie zu verbannen. Die Pest hingegen versuchte man zu bannen, indem der Einzelne total überwacht und diszipliniert wurde. Michel Foucault nahm an, dass sich diese beiden Modelle im 19. Jahrhundert miteinander verbunden haben. „Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts arbeitet die Disziplinargewalt daran, die ‚Aussätzigen‘ wie ‚Pestkranke‘ zu behandeln, die sublimen Unterteilungen der Disziplin auf den amorphen Raum der Einsperrung zu projizieren, diesen Raum mit den Methoden der analytischen Machtverteilung zu durchsetzen, die Ausgeschlossenen zu individualisieren, aber auch mit Hilfe der Individualisierungsprozeduren die Auszuschließenden zu identifizieren.“22 Die Inszenierung der Corona-Krise scheint eine Weiterentwicklung dieser Dynamik zu sein. Die Politik ist bemüht, die Zahl der Infizierten zu stoppen, und muss daher durch Tests die Infizierten erfassen und sowohl die Infizierten und diejenigen, die Kontakt mit Erkrankten oder Infizierten hatten, in Quarantäne schicken. Die, die ausgeschlossen werden sollen, müssen identifiziert werden. Gleichzeitig werden diejenigen, die sich nicht an die Ausgangsregeln halten oder gegen das Kontaktverbot verstoßen, geächtet und mit massiven Geld- und Haftstrafen zum Einhalten der Regeln gezwungen. In diktatorischen Staaten wird die Einhaltung rigoros durchgesetzt, die demokratischen Regierungen setzen hingegen auf Freiwilligkeit und lenken diese Freiwilligkeit durch eine gezielte Information oder das Nudging.
Die Medizin ist zu einem der Hauptdarsteller in dieser Inszenierung geworden. Allerdings sind es vor allem die Disziplinen der Medizin, die mit mathematischen oder statistischen Modellen operieren und scheinbar eindeutige Aussagen machen können, während für die Humanwissenschaften ansonsten festzustellen ist, „daß der unüberwindliche Eindruck von Verschwommenheit, Ungenauigkeit, Präzisionsmangel, den alle Humanwissenschaften hinterlassen, nur die Oberflächenwirkung dessen ist, was sie in ihrer Positivität zu definieren gestattet“23. Virologen und Epidemiologen bestimmten die Vorgehensweise der Politik. Diese Inszenierung, also die Geschichte von den Zahlen, wurde brüchig, als das Problem der wissenschaftlichen Methode offensichtlich wurde. Die Aussage über eine wissenschaftliche Erkenntnis ist immer nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage, die abhängig von vorhandenen Daten, durchgeführten Experimenten und Untersuchungen ist. Selbst das Verwerfen der gestellten Frage und in manchen Fällen sogar die Erkenntnis, dass psychodynamische Prozesse zu falschen Ergebnissen geführt haben, gehören zum Selbstverständnis der Wissenschaften. Weil die Politik den „harten“ Medizinrichtungen folgte, wurden auch „kalte“ Maßnahmen ergriffen, was der Logik einer technologieorientierten Gesellschaft entspricht. Eine „sprechende Medizin“ oder die Berücksichtigung sozialmedizinischer, pflegerischer, psychischer oder psychosomatischer Aspekte hätten das Narrativ von den Erfolgen der Medizin aufgrund einer prosperierenden Ökonomie und fortschrittlichen Technik aus einer anderen Perspektive sehen lassen. Andererseits bedürfen die Menschen im Falle der Krankheit oder der Gefahr einer Gewissheit und eines Zuspruchs. Sie wollen Hoffnung schöpfen können aus dem, was der Arzt ihnen sagt. Wolfgang Schmidbauer spricht hier vom warmen und vom kalten Denken: „Im kalten Denken wird Wissen zur Wahrheit erhoben, denn es ist grundsätzlich besser als Nichtwissen. Im warmen Denken dagegen ist Raum für beides. Das erlebende Ich muss seinen Weg finden zwischen falschem Sein und unerträglichem Wissen.“24 Die Fokussierung auf Virologen und Epidemiologen war am Anfang der Krise durchaus sinnvoll, um ein Realitätsprinzip den Vermutungen, wilden Meinungen und Leugnern entgegenzusetzen sowie eine klare Perspektive, nämlich das Impfen, zu geben. Dieses kalte Denken stellt sich allerdings selbst unter einen ungeheuren Druck, weil die Erwartungen idealisiert werden und bei einem Scheitern das Leben vieler Menschen auf dem Spiel steht. Dass es keinen Wandel in der gewohnten Medizininszenierung gab, zeigte sich darin, wie Pflegekräfte beklatscht wurden. Obwohl sich Pflege schon seit einigen Jahrzehnten in einem Krisenmodus befindet, der Pflegenotstand jedem bekannt sein dürfte, wird den Pflegekräften „nur“ für ihren besonderen Einsatz gedankt. Inwieweit Pflege zu einer notwendigen Weiterentwicklung des Gesundheitssystems beitragen könnte, wurde gar nicht in Erwägung gezogen.
Fakten, wie Wissenschaftler gewohnt sind, sie darzustellen und davon zu reden, haben keine Wirklichkeit. Es ist ähnlich wie bei einer Chefarztvisite, wo der Mediziner