Lebensweg – Exerzitienzeit
Im vorliegenden Beitrag soll auf vielfältige Weise von Exerzitien als Lebens-Hilfe gesprochen werden und auch umgekehrt vom Leben als ständigem Exerzitienprozess. Leben aus einer geistvollen Inspiration und Exerzitien als Lebensförderung im besonderen Rahmen bzw. Setting von »geistlichen Übungen« (exercitia spiritualia).
Die Hinweise dazu liegen auf vielerlei Ebenen. Sie bieten Anknüpfungen an das Exerzitienbuch und Lebensereignisse von Ignatius, Erfahrungen und Geschehnisse auf dem Lebens- und Glaubensweg, persönliche Zeugnisse, spirituelle Texte, Anleitungen zu biblischen Betrachtungen und Lebensbesinnungen, Alltägliches und Gipfelerlebnisse. Es ist eine Mischung, wie auch das Leben eine reiche Mischung ist. Die einzelnen Kapitel orientieren sich in etwa am Ablauf des Exerzitienbuches: Zuerst folgen Ausführungen zu den umfangreichen Vorbemerkungen, dann das Prinzip und Fundament als Leitlinie und Grundausrichtung für den ganzen Weg. Die sog. erste Exerzitienwoche lenkt den Blick auf die lebensfeindlichen und grausamen Finsternisse unserer Weltzeit und auf Erlösung, Befreiung, Auflichtung und Versöhnung. Die sog. zweite und dritte und vierte Woche sind ein geistlicher Weg mit Jesus, in dem »die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters, erschien« (Titus 3,4).
Die innerliche Wahrnehmung des Lebens, Sterbens und der Auferstehung Jesu will und kann sich prägend auf das eigene Leben auswirken. Der Wanderprophet Gottes verwandelt im Mitgehen unseren eigenen »Lebenswandel« und erschließt nach dem Zeugnis vieler »Anhänger des Weges Jesu« (Apg 1–2) einen »neuen und lebendigen Weg« (Hebr 10,19), zusammengefasst in der Selbstbezeichnung: »Ich bin Weg, Wahrheit und Leben« (Joh 14,6).
Fürs Nachschauen
BU | = | Briefe und Unterweisungen (hg. von P. Knauer) |
EB | = | Nummer aus dem Exezitienbuch (übersetzt von P. Knauer) |
GT | = | Gründungstexte der Gesellschaft Jesu (hg. von P. Knauer) |
Zitate aus BU und GT werden jeweils mit Seitenzahlen angegeben.
Ignatius schreibt einmal an seinen ehemaligen Beichtvater in Paris, die Exerzitien seien »das Allerbeste, was ich in diesem Leben denken, verspüren und verstehen kann, sowohl dafür, dass sich der Mensch selber nützen kann, wie dafür, Frucht zu bringen und vielen anderen helfen und nützen zu können« (EB 655).
Möge sich diese Aussage beim Lesen und Eingehen auf die Anregungen ein wenig erfahrbar machen.
Willi Lambert SJ
I. Ignatianische Vorbemerkungen
Das Exerzitienbuch – ein spiritueller Bestseller
Wie ein Buch betitelt ist und beginnt, ist oft schon kennzeichnend für den Autor, für den Inhalt und Stil. Der Titel des spirituellen Bestsellers von Ignatius lautet einfach »Geistliche Übungen« (exercitia spiritualia) und die erste Überschrift des Exerzitienbuches ist gleich ein ganzer Satz: »Anmerkungen, um einige Einsicht in die folgenden Geistlichen Übungen zu erlangen und damit sowohl der, der sie geben, wie der, der sie empfangen soll, Hilfe erlangen (EB 1). In diesem Sinn soll zu Beginn geklärt werden, was »geistlich« meint, was die Rolle des »Übens« und was Ziel und Methode von Exerzitien sind. Dies soll dann weiter entfaltet werden im Blick auf einige der 20 Vorbemerkungen, mit denen das Exerzitienbuch beginnt. Sie erweisen Ignatius als einen Menschen, dem es um Sinnziel und Weghilfe geht. Das Exerzitienbuch habe – so eine fromme Bemerkung – mehr Menschen auf dem Weg zur Heiligkeit geholfen, als es Buchstaben zähle. Ziel und Weg benennt Ignatius in der ersten Vorbemerkung des Exerzitienbuches: Geistliche Übungen, um im Blick auf Gottes Liebeswillen in wachsender Freiheit ein Leben im Lieben zu gestalten (vgl. EB 1). Dabei ist besonders wichtig zu sagen: »Nicht das viele Wissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Innerlich-die-Dinge-Verspüren und Schmecken« (EB 2).
Besinnung auf das Leben
Ein altes Werbeplakat für Zigaretten zeigt junge Menschen, Strand, Sonne, Meer mit der Aufschrift »That’s life« – »Das ist Leben!« Darunter steht: »Der Gesundheitsminister warnt: Rauchen kann tödlich sein!« Diese Doppelbotschaft legt die Frage nahe: Was ist Leben wirklich und was ist lebensgefährlich? Dies sind wohl Fragen jedes Menschen, dem es ums Leben und ums ganze Leben geht. Es lohnt sich, im Buch des eigenen Lebens zu blättern und sich zu fragen:
– Was kommt mir spontan zur Frage, was Leben für mich bedeutet? Welche Menschen, Worte, Fotos mit Unterschriften, helle und dunkle Stunden lassen mich dies sehen?
– Was wären Kapitelüberschriften für meine Autobiographie?
– Ein Gang auf einem Friedhof kann fragen lassen: Welchen Grabspruch, welche Todesanzeige würde ich wählen und wie sähe mein geistliches Testament aus?
– Was gehört zu Gipfelerlebnissen, was zu den Abgründen meines Lebens?
– Wann war dies und jenes zum ersten oder zum letzten Mal?
– Was waren Anfänge und wann gab’s ein Aufhören?
– Welche inneren Regungen und Haltungen wie etwa Freude, Angst, Ohnmacht, Wut, Hass, Liebe, Freisein kenne ich?
– Wofür möchte ich leben und wofür sterben?
– Was bedeutet für mich »Leben in Fülle«? (Joh 10,10; vgl. 17,3). Für Jesus war es die Liebe und er fragt: Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?« (Mt 16,25f.).
Begeistert leben: Früchte des Geistes
Die Formulierung »Geistliche Übungen« legt zunächst die Frage nahe, was mit »geistlich« und »Geist« gemeint sein soll. Der Sprachgebrauch gibt Auskünfte: Teamgeist, Klassengeist, Geisterbahn, Begeisterung, Heiliger Geist, böser Ungeist, geistvoll und geistesgestört. Früher nannte man Priester nicht selten »Geistliche« und es wird um »geistliche Berufe« gebetet.
Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter gelegentlich mit einem etwas leisen, andachtsvollen Ton in der Stimme sagte: »Die Tante Maria hält sehr viel vom Heiligen Geist.« Es muss mehr gewesen sein als der Rat, man solle bei einer Prüfung zum Heiligen Geist beten. Was hat es mit dem Heiligen Geist auf sich? Gibt es ihn nur auf der Geisterbahn oder mitten in unserem Leben? Die vielleicht einfachste Annäherung an seine Wirklichkeit ist der Verweis auf die bildhafte Sprache der ersten Christen von den »Früchten des Geistes«. Von Früchten lebt man. Eine Reihe davon zählt Paulus auf: »Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung« (Gal 5,22). Sind diese geistlichen Haltungen nicht lebensspendend und nah am alltäglichen Leben? Ob Menschen einander liebevoll oder missachtend begegnen, macht einen Unterschied und ebenso, ob jemand Mitempfinden hat oder alles an ihm wie an einer Plastikhaut abläuft. So ließe es sich vielfach weiterformulieren. Innere Haltungen äußern sich im konkreten Leben als freundlicher Gruß, als Krankenbesuch, als angemessene Rücksichtnahme auf Nähe und Abstand nicht nur in der Zeit der Pandemie, als Hausaufgabenhilfe, Verlässlichkeit und Treue, verständnisvolles Zuhören, finanzielle Unterstützung und all die vielfältigen Weisen des Begegnens.
Die Wirklichkeit des Geistes zeigt sich auch durch die Nennung der Früchte des Ungeistes, in der Bibel oft mit dem Wort vom verderblichen und verwesenden »Fleisch«