Zur Entwicklung von Kreativität benötigen wir also mehr als rationale Problemlösungsstrategien, so auch das Credo all der genannten Ratgeberliteratur. Wer sich also nach alten und neuen Lebensweisheiten richtet, der schafft mehr an innerer Zufriedenheit, Sinnhaftigkeit, mehr an Leistungsfähigkeit und eben auch Kreativität. Letztgenannte, und damit schließt sich der Kreis, sollte aber nicht zur Optimierung der Arbeitsleistung und damit der Ich-AG eingesetzt werden, auch nicht zur Steigerung des eigenen Hedonismus. Sie sollte dazu führen, den Geist zu öffnen, das Herz zu weiten und die weltweiten Verletzungen des Menschlichen einzubeziehen. Unsere weltliche Sinnleere nimmt mit zunehmender Ausgrenzung der sozialen Wirklichkeit der Menschen weltweit zu.
Ein anderer Blick
Wer durch Buchhandlungen schlendert, der wird viel erfahren können. Die Menge an Informationen zu Börsennachrichten und anderen Themenkomplexen steht im eklatanten Missverhältnis zu Informationen über Lebensverhältnisse weltweit. Die (ehemalige) Bundesentwicklungs-ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat in einem Aufsatz dargelegt, dass man so etwas wie einen Aktienindex zum Stand des Menschlichen benötigen würde. Statt der Ziffern des DAX und Dow Jones könnte man den Blick auf die Zahlen zu Armut, Ernährung, Zugang zu Bildung, Schule etc. werfen. Es wären wieder Zahlen, aber sie würden den Blick auf andere Lebenswirklichkeiten lenken. (Und, so mag man an das Ende dieser Gedanken setzen, es würde allen gut tun.) Im Moment, oder zumindest in den letzten Monaten und Jahren, waren es wenige Titel in den Buchhandlungen, die sich damit beschäftigten. Aber zum Teil haben es einzelne Aspekte schon auf die Bestsellerlisten gebracht. Hoffentlich finden sich bald mehr in den Regalen, die davon Zeugnis ablegen, dass Menschen ihre Kreativität zu einem Ziel einsetzen, zur Humanisierung der Welt.
Thomas Antkowiak
„Daheim auf zwei Quadratmetern – Vom Leben im Käfig“
Eine Misereor-Ausstellung zum Menschenrecht auf Wohnen1
Was heißt es, auf etwa zwei Quadratmetern sein Leben fristen zu müssen – ohne jede Privatsphäre, vielleicht ohne Aussicht darauf, dass sich die Situation ändert. Ist es möglich, unter solchen Bedingungen zu leben, ohne Mut, Hoffnung und Selbstwertgefühl zu verlieren?
Misereor richtet mit der Ausstellung über die sogenannten „Käfigmenschen“ in Hongkong das Augenmerk auf die Wohnsituation von Armen in Städten. Das Hilfswerk macht auf die Menschenrechtsverletzungen aufmerksam, denen diese Menschen – oft ohne eigene Schuld – ausgesetzt sind – und zeigt auf, welche Möglichkeiten es für uns gibt, sich solidarisch zu zeigen und aktiv zu werden.
Misereor wurde 1958 von der Deutschen Bischofskonferenz als katholisches Werk für die Entwicklungszusammenarbeit gegründet. Der Gründungsauftrag, den der damalige Vorsitzende, der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings formulierte, war ein dreifacher:
– Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten zur Bekämpfung von Hunger und Krankheit in der Welt;
– die Menschen in Deutschland durch Bildungsarbeit und Kampagnen auf die Situation der Armen und die Ursachen von Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen und
– den Reichen und Mächtigen vom Evangelium her ins Gewissen zu reden.
Dieser Dreiklang leitet Misereor bis heute. Dabei liegt der Bezug zu den Menschenrechten auf der Hand. Der Einsatz für die Menschenrechte – und für die Änderung ungerechter Machtstrukturen – zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit des Hilfswerks, denn Menschenrechte und Entwicklung hängen wechselseitig voneinander ab.
In einer Stadt wie Nürnberg, die sich als „Stadt der Menschrechte“ einen Namen gemacht hat, braucht es eigentlich nicht besonders erwähnt zu werden, dass am 10. Dezember 1948 auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte feierlich verabschiedet wurde. Sie gilt bis heute für alle – auch für die erst später beigetretenen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen – inzwischen 192 an der Zahl.
Ziel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist es, eine Welt zu schaffen, in der alle Menschen „frei von Furcht und Not“ leben können: Frei von Furcht, das bedeutet:
– frei von Furcht vor politischer oder religiöser Verfolgung,
– frei von Furcht vor Folter,
– frei von Furcht vor Todesstrafe und
– frei von Furcht vor willkürlicher Inhaftierung, nur weil man seine Meinung geäußert hat.
Ohne Not zu leben, das heißt:
– genug zu essen zu haben,
– an sauberes Trinkwasser zu gelangen,
– Zugang zur nötigen medizinischen Versorgung zu haben,
– einen Arbeitsplatz zu haben, der es erlaubt, genügend für den Lebensunterhalt für sich und die Familie zu verdienen,
– ohne Not zu leben heißt, Zugang zu Bildung zu haben – für Erwachsene und vor allem die Kinder und einen angemessen Platz, um menschenwürdig zu wohnen.
Die letztgenannten Menschenrechte gehören zu den „wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen“ Menschenrechten. Lange wurden sie als nachrangig betrachtet, als Zukunftsvision, deren Verwirklichung die Staaten sich oft nicht leisten können – oder wollen!
Anders als etwa das Verbot der Folter oder das Gebot der Meinungs-, Vereinigungs- oder Religionsfreiheit, die zu den „bürgerlichen und politischen Rechten“ gehören, gelten die „wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen“ Menschenrechte vielen noch bis in unsere Tage als Menschenrechte zweiter Klasse. Doch sind sie dies keineswegs: Von Anfang an waren sie Bestandteil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Zur Bekämpfung der Armut spielen sie eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie die bürgerlichen und