Allerdings haben sich in Theologie und Philosophie seit geraumer Zeit beträchtliche Veränderungen vollzogen, die erhebliche Neuformatierungen dieser drei Beweisgänge nötig machen. Diese Veränderungen betreffen sowohl die eingesetzten Beweismittel als auch die damit angestrebten Beweisziele und die jeweils anvisierten Gegenparteien. Die Krise metaphysischen Denkens hat die Beweiskraft von Gottesaufweisen erschüttert. Das Aufkommen historisch-kritischer Forschung relativierte die Tauglichkeit von Weissagungen, Wundern oder Stiftungsakten des historischen Jesus für die Legitimation des Christentums und der Sonderstellung der katholischen Kirche. Außerdem hat es tief greifende Umwälzungen im Kontext von Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur gegeben, welche die Antreffbarkeit und die Optionen der Kontrahenten der Fundamentaltheologie veränderten.
Die jeweiligen Beweisgänge haben ihren Widerpart nicht mehr bloß außerhalb der katholischen Kirche zu orten: Fundamentalistische und positivistische Glaubensauslegungen innerhalb des Christentums tangieren die Vertretbarkeit des Glaubens nicht weniger als von außen kommende naturalistische Entmythologisierungen eines Gottesverhältnisses. Und nicht zuletzt stellt die Pluralität der Religionen und Heilswege in einer globalisierten Kultur das Christentum im Ganzen – und nicht bloß einzelne Konfessionen – vor die Frage, inwiefern es als eine partikulare Größe eine universale Bedeutung oder eine Unüberbietbarkeit beanspruchen kann. Gibt es – wenn überhaupt – Gott und Göttliches, Offenbarung und Glaube, Heil und Erlösung nur im Plural?
Vor diesem Hintergrund ist in der Theologie und für die Theologie hinsichtlich ihres Gegenstandes, ihrer Beweisziele und -mittel kaum noch etwas unstrittig und unumstritten. „Christlicher Glaube ist vielfach angeklagt: der Unbegründetheit seiner Versprechungen, der Unvernünftigkeit seiner Voraussetzungen und Deutungen, der Unmenschlichkeit seines Lebensentwurfes und seiner Forderungen. Diese Anklagen zwingen zu einer Rechenschaft, die sich ihnen ehrlich stellt und doch zu zeigen versucht, dass man ihnen im Entscheidenden und Letzten nicht Recht geben muß.“4 Allerdings kann die Entschlossenheit, den Anklagepunkten letztlich nicht Recht geben zu wollen, zu neuen, problemverschärfenden Fehlleistungen führen: Im Stile des „ja, aber“ gibt man bestimmte Unzulänglichkeiten zu, erklärt sie aber für unwesentlich, d. h. das Wesen des Christentums sei davon nicht betroffen und schon gar nicht würden christliche Ideale dadurch korrumpiert.
Eine solche Reaktion weicht eher vor der Radikalität der Bestreitung eines rational verantwortbaren religiösen Daseinsverhältnisses und seiner christlichen Stilisierung aus, als dass sie sich ihr stellt. Die neuzeitliche Religionskritik zielt aber nicht allein auf bestimmte negative Auswüchse, sondern auf Religion im Ganzen und hat dabei vor allem ihre Grundlagen im Blick. Sie sieht menschliche Religiosität prinzipiell als Ausdruck einer pathologischen Lebenseinstellung. Den Verweis auf offenbarungsbasierte Einsichten versteht sie nicht als Hinweis auf das vernunftgemäße Andere der Vernunft, sondern als Ausrede, um das Vernunftwidrige und Unvernünftige religiöser Überzeugungen zu verschleiern. In jede Offenbarungsreligion ist für sie ein exklusivistischer Fundamentalismus eingraviert, in dessen Zentrum ein Monomythos steht, der die Berechtigung anderer Heilswege ausschließt. Er befördert darum auch ein Bewusstsein, das konstitutionell unfähig ist, die unabweisbare Vielfalt, Heterogenität und Alterität menschlicher Lebens- und Denkformen überhaupt erkennen und ihr sozio-kulturell entsprechen zu können.5 Das Christentum steht damit nicht allein. Offenbarungsreligionen generell und Monotheismen im Besonderen gelten unterschiedslos als Exponenten eines intoleranten Einheitsdenkens, das heute nur auf dem Weg eines gewaltsamen und totalitären Antipluralismus wieder Fuß fassen kann.6
Angesichts dieses Generalverdachtes kann die Fundamentaltheologie nicht mehr auf die bewährten Abwehrmuster und Verteidigungsstrategien setzen. Mit den Mitteln der Apologetik ist hier wenig auszurichten. Hier verheddert man sich leicht in einem Gestrüpp aus Freund/Feind-Logik, Rechthaberei und Besserwisserei, sophistischen Tricks und frömmelnder Schlaumeierei. Ebensowenig kann die Berufung auf übernatürliche Gewissheiten oder unfehlbare Lehrentscheidungen hier etwas ausrichten. Stil und Methode der Fundamentaltheologie müssen so formatiert werden, dass diese Ausflüchte erst gar nicht aufkommen.
Dabei ist die Theologie nicht schlecht beraten, wenn sie aus den skizzierten Nöten neue Tugenden macht und ihren Auftrag neu begreift als Einführung in eine neue Streitkultur. Die Theologie hat sich dabei zu bewähren als Kunst der Bestreitung. Bestreiten heißt: Selbstverständlichkeiten in Frage stellen, einen Konsens aufkündigen, Revision beantragen, eine Sache neu aufrollen. Eine solche Kunst ist durchaus an der Zeit, wenngleich sie aus einer anderen Zeit stammen mag. In der Antike gehörte sie zur philosophisch-rhetorischen Grundausbildung. Als Eristik stand die Lehre vom Streitgespräch und die Kunst der Widerlegung in einer juristischen Auseinandersetzung oder philosophischen Diskussion auf dem Programm. Im Dienst der Debattierkunst stand auch die Polemik, welche die Streit- und Angriffslust im Rahmen politischer oder akademischer Auseinandersetzungen förderte und forderte. Wie man ein Streitgespräch erfolgreich führt, im Frage/Antwort-Schema Wissen erwirbt und bewährt, Widersprüche beim Kontrahenten aufzudecken und Widersprüchliches in der eigenen Position zu meiden lernt, war Gegenstand der Dialektik. In der christlichen Theologie haben diese Fertigkeiten zwar auch im Projekt einer Apologetik des Glaubens eine Rolle gespielt.7 Aber ihre aggressive Tönung und ihre negative Schlagseite zur Rechthaberei haben auch die Grenzen ihrer Verträglichkeit mit Anliegen und Auftrag der Theologie aufgezeigt. Der Polemiker sucht nicht den Konsens mit seinem Gegenüber, sondern dessen Blamage oder Niederlage; der Dialektiker entwickelt die Neigung, berechtigten anderen Auffassungen nur so lange und nur insoweit Recht zu geben, wie dies ihm am Ende hilft, allein Recht zu behalten. Wahrheitsfindung aber braucht mehr und anderes als eine Strategie oder Taktik, wie man einen Opponenten sprachlos macht.8 In dieser Weise eine Debatte zu führen oder enden zu lassen dient der Sache des Christentums nicht. Größeren Raum verdienen daher in der Fundamentaltheologie verständigungsorientierte, kommunikative Formate des friedlichen Wettbewerbs um gute Argumente für die eigene Position: Hermeneutik und Dialogik.9
2. Im Dissens:
Streiten verbindet!
Für die Marginalisierung der Streitkunst im Katalog theologischer Schlüsselqualifikationen gibt es gute Gründe. Vielfach gilt der Streit als Ort der Zwietracht und als Indiz einer Untugend. Wo gestritten wird, geht es zwar sehr lebendig zu. Aber meist wird das Streiten nicht für erstrebens- oder lobenswert gehalten. Der Streit ist oft eine Waffe in der Auseinandersetzung mit Menschen, die man nicht „ausstehen“ kann. Im Streit wird das Missverstehen bewusst aufrechterhalten und gepflegt. Im Streit geht die Saat der Zwietracht auf.
Der Streit ist aber auch ein Medium des Ringens mit jemandem, der Dinge sagt oder tut, die man so nicht „stehen lassen“ kann. Streit ist Zeichen für Leidenschaft und Engagement. Wer streitet, geht in Opposition zu Indifferenz und Apathie.10 Außerdem gilt: Streiten kann auch verbinden – indem man mit vereinten Kräften einen gemeinsamen Gegner bekämpft oder indem man sich (mit ihm) zusammenrauft. Man sucht die Auseinandersetzung mit einem anderen Menschen, um ihn besser zu verstehen oder selbst besser verstanden zu werden. Wer mit einem anderen streitet, dem ist dieser andere nicht gleichgültig. Der/die Andere ist es wert, dass man mit ihm oder ihr Tacheles redet. Streiten verbindet Menschen, weil ihnen etwas gemeinsam ist – nämlich die Sache, um die gerungen wird. Zwar sieht es oft so aus, als würde der Streit offenbaren, dass die Differenzen zwischen Menschen größer sind als ihre Gemeinsamkeiten. Es