Vermutlich nur wenig später verfasste Augustinus eine etwas ausführlichere Regel, in welcher er konkrete, im Zusammenleben entstandene Situationen und Schwierigkeiten berücksichtigt, die entsprechend detailliert behandelt werden.
Entsprechend dem Beispiel des heiligen Augustinus entschlossen sich später viele Kleriker zu einem gemeinschaftlichen Leben ohne Privatbesitz. Die so entstandenen religiösen Verbände wurden auf zwei 1059 und 1063 in Rom stattfindenden Synoden ermahnt, eine einheitliche Regel einzuführen. Die meisten von ihnen entschieden sich für die Regel des heiligen Augustinus, die 1215 offiziell durch das Laterankonzil bestätigt wurde.
Der Übergang von der Spätantike zum Mittelalter ist fließend. Daher wäre es müßig, den Beginn der neuen Epoche an einem bestimmten Ereignis festzumachen – beispielsweise an der Absetzung des Romulus Augustulus, des letzten weströmischen Kaisers, durch Odoaker, einen Offizier germanischer Herkunft, der im Jahr 476 den Königstitel für Italien beanspruchte. Unbestritten ist, dass der mit dem allmählichen Verfall des Westreiches sich anbahnende Paradigmenwechsel in die Zeit vom 5. zum 6. Jahrhundert fällt. Dies wiederum bedeutet, dass eine Persönlichkeit wie Benedikt von Nursia der Antike zwar noch verhaftet, aber nicht mehr an sie gebunden ist. Und dass diese Persönlichkeit nicht nur die Klöster, sondern auch die Kirche in der Zeit von 550–1500 (also während des ganzen ›Mittelalters ‹) stark geprägt hat.
Die Benedikt zugeschriebene, bis heute gültige Ordensregel dürfte etwa um 540 entstanden sein. Wann Benedikt das Zeitliche segnete, steht nicht genau fest. Manche optieren für das Jahr 547, andere wiederum halten die Zeit um 560 für wahrscheinlich. Sicher ist, dass er die Zerstörung der Klosteranlage durch die Langobarden im Jahr 577 nicht mehr erlebte.
Seit 589 lebte auch in Rom auf dem Monte Celio eine von dem späteren Papst Gregor dem Großen gegründete Mönchsgemeinschaft nach der Regel des heiligen Benedikt. Ein Jahr später wurde Gregor zum Papst gewählt; es war dies das erste Mal, dass ein Mönch den Stuhl Petri bestieg.
Benedikt selber wurde von den Geschichtsforschenden mit mehreren hohen Titeln geehrt. 1964 hat Papst Paul VI. ihn zum Patron Europas ernannt. Manche sahen in ihm den »letzten Römer«, bezeichneten ihn als »Vater des Abendlandes« oder als »Vater Europas«. Man kann sich darüber streiten, ob diese Ehrenbezeichnungen historisch gesehen berechtigt sind. Einig aber sind sich so ziemlich alle, dass Benedikt als »Vater des abendländischen Mönchtums« zu gelten hat. Und dies vor allem dank seiner Klosterregel, welche weltweit noch heute beobachtet wird.
Mit dieser Regel hat Benedikt nichts grundlegend Neues geschaffen. Vielmehr hat er aus früheren Quellen geschöpft und diese für die Gemeinschaft von Montecassino adaptiert. Dabei beruft er sich ausdrücklich auf fremde und eigene Erfahrungen.
Ziel allen klösterlichen Tuns ist nach Benedikt die Verherrlichung Gottes (ut in omnibus glorificetur Deus). Hauptaufgabe ist die Pflege der Liturgie, verbunden mit Gebet und Meditation. Nicht minder gewichtet wird die körperliche Arbeit. Aus diesen Forderungen wurde später der benediktinische Wahlspruch »ora et labora – bete und arbeite« abgeleitet, der sich in der Regel selber nicht findet. Die klösterliche Gemeinschaft betrachtet Benedikt als Familie. Das Gemeinschaftsideal kommt dadurch zum Ausdruck, dass den Klosterleuten jeglicher Besitz untersagt ist. Untereinander sind sie wie Brüder oder Schwestern – sie leben ehelos. Die Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen. Soziale Unterschiede sind zu ignorieren. Damit ist der Unterschied zwischen Sklaven und Freien, aber auch zwischen ›zivilisierten‹ Römern und ›barbarischen‹ Germanen aufgehoben. An der Spitze dieser ›Familie‹ steht der Abt bzw. die Äbtissin, denen eine fast absolute Macht zugestanden wird. Gleichzeitig fällt auf, dass an keine Adresse mehr Warnungen ergehen als an die des Abtes bzw. der Äbtissin. Benedikt rechnet also sehr realistisch damit, dass die Oberen vieles falsch machen können. Allerdings ist damit das strukturelle Problem nicht gelöst – was geschieht, wenn der Abt oder die Äbtissin diese Mahnungen nicht ernst nehmen? In jedem Fall schulden die Mönche und Nonnen den Oberen uneingeschränkten Gehorsam. Wichtig ist die stabilitasloci, die Ortsgebundenheit. Diese Forderung schließt die Bereitschaft ein, für immer in dem Kloster zu bleiben, in welches man eingetreten ist. Damit soll dem in der Regel gleich zu Beginn beklagten Umherschweifen der Mönche Einhalt geboten werden. Bedenken äußert Benedikt gegenüber einer übertriebenen Askese, die leicht zum Stolz und zur Verachtung anderer verleitet. Für ihn ist jedes Kloster ein Haus der Hoffnung, an dem die Mönche und Nonnen lebenslang weiterbauen.
Wenn hier entsprechend der inzwischen üblichen Terminologie gelegentlich vom Benediktinerorden die Rede ist, trifft dieser Begriff nur bedingt zu. Eigentlich müssten wir vom Benediktinertum sprechen. Denn genauso wenig wie Augustinus dachte Benedikt daran, einen Orden zu gründen. Seine Regel hat er lediglich für ›seine‹ Mönche im Kloster Montecassino konzipiert. Schon bald jedoch orientierten sich immer mehr Mönchs- und Monialengemeinschaften an der Benediktsregel – dies vor allem im fränkischen Merowingerreich, in England und in Gallien, wo sie in Verbindung mit anderen Mönchsregeln rezipiert wurde. Auf diese Weise entstanden zahlreiche sogenannte Mischregeln. Als dann im Fränkischen Reich im 8. Jahrhundert immer mehr Mönchs- und Nonnenklöster gegründet wurden, drangen vor allem die karolingischen Herrscher auf eine Vereinheitlichung des klösterlichen Lebens – und auf dessen Reform. Im Lauf der Jahre und Jahrzehnte nämlich war die Fackel der Begeisterung für die klösterliche Lebensweise gelegentlich zu einem Armenseelenlicht verkommen. Laxheit breitete sich aus und statt auf geistliche Zucht waren manche Mönche und Nonnen eher auf weltliche Lüste bedacht. Immer wieder lesen wir in zeitgenössischen Klosterchroniken, dass auch Klosterleute gegen homo- und heterosexuelle Beziehungen nicht immun waren; dass Nonnen Kinder zur Welt brachten, deren Väter längst nicht in jedem Fall ein Mönchsdasein fristeten, oder dass die Gaumenfreuden oft höher gewichtet wurden als die geltenden Fastenregeln.
Beim Bekämpfen solcher Missstände wurden die weltlichen Herrscher tatkräftig unterstützt von dem Abt Benedikt von Aniane (in Südfrankreich; um 750–821), der seine Jugend am Hof Karls des Großen verbracht hatte. Sein Reformprogramm war knapp und klar: Una regula – una consuetudo (eine Regel – ein Brauchtum). Dieses Postulat vermochte er mithilfe Kaiser Ludwigs des Frommen, des Sohnes und Nachfolgers Karls des Großen durchzusetzen, so dass vorerst nur noch eine einzige Klosterregel, nämlich jene des heiligen Benedikt von Nursia Geltung hatte. Diese allerdings wurde entsprechend den inzwischen veränderten Zeitläuften an die neuen Verhältnisse adaptiert und unter dem Titel Capitulare monasticum (Monastisches Kapitelbuch) ediert – was mit sich brachte, dass nicht Benedikt von Nursia, sondern mit größerem Recht Benedikt von Aniane als eigentlicher Begründer des Benediktinertums gelten kann. Dies umso mehr, als das benediktinische Mönchstum mit dieser Reform gleichzeitig drei Entscheidungen von höchster Tragweite traf, von denen in der ursprünglichen Benediktregel kaum Spuren zu finden sind, die aber bis heute nachwirken.
Die erste betrifft die Schaffung von Großklöstern, welche nunmehr als ideal galten. Die zweite Grundentscheidung bestand darin, dass diese Niederlassungen gleichzeitig Kulturklöster sein sollten. Das setzt natürlich materielle und