Mekas’ Unabhängigkeit zeigte sich dabei nicht nur in seiner filmischen Arbeit, sondern auch in der Verweigerung einer festgelegten Verortung von Profession und Identität. Diese Vielgestaltigkeit spiegeln auch die Beiträge des vorliegenden Bandes wider. Ganz im Sinne von Mekas’ Vorliebe für gesellige Zusammenkünfte, von denen auch zahlreiche Filmszenen Zeugnis ablegen, stimmt es uns froh, für unser Vorhaben Autor*innen aus den verschiedensten Disziplinen gewonnen zu haben, um so die einzelnen Facetten dieses vielgestaltigen Œuvres in den Blick nehmen zu können: Anne König als Verlegerin sieht in der editorischen Praxis von Mekas’ Buchprojekten filmische Verfahren am Werk; der Filmwissenschaftler Scott MacDonald untersucht in einer lehrreichen ›Anatomiestunde‹ den Film LOST LOST LOST; die Filmwissenschaftlerin Oksana Bulgakowa schenkt der Stimme von Mekas besonderes Gehör; Daniel Kothenschulte widmet sich als Filmkritiker dem Selbstverständnis von Mekas und erkennt, dass hinter der Unangepasstheit des Filmers ein System steckte; der Kunsthistoriker Philipp Scheid begegnet Mekas einmal nicht im Kino, sondern im Ausstellungskontext; und schließlich ergründet die Bild- und Filmwissenschaftlerin Eva Kuhn, die über Mekas’ Werk promovierte, die Kunst der Glimpses vor dem Hintergrund von Glanz-Sehen und Flicker-Effekt.
Viele dieser Autor*innen haben Mekas in der Lehre oder als Gast im Universitätskontext kennengelernt, ihm bei Veranstaltungen und Retrospektiven als Interviewpartner gegenübergesessen, einige haben eng mit ihm zusammengearbeitet und die Erfahrung dieser Kollaboration hier mitgeteilt. Wohl alle hatten mindestens einmal schriftlich Kontakt zu ihm – denn Mekas zeigte sich gegenüber Anfragen stets sehr aufgeschlossen. Als wir Herausgeber*innen ihn einmal fragten, auf welchem Wege wir eine Genehmigung zur Vorführung seines Kurzfilms CASSIS (1966) im Rahmen einer Veranstaltung zur Zeitlichkeit in der Kunst erhalten könnten, antwortete er prompt und geradezu lapidar per E-Mail: »You don’t need a license. I give it to you!«
So dankbar wir schon Jonas Mekas für diese unkomplizierte Lösung waren, so herzlich möchten wir nun auch seinem Sohn Sebastian Mekas danken, der uns von Anfang an mit der Vermittlung von Kontakten, der Beschaffung von Fotografien und der Anfertigung von Stills unterstützte. Ebenso zu Dank verpflichtet sind wir Kristina Köhler für ihren Zuspruch und die Vermittlung unseres Projekts, Jörg Schweinitz für den ersten Korrekturdurchgang sowie Jerome P. Schäfer für das aufmerksame Lektorat.
Menschen an der Filmkunst teilhaben zu lassen, den Austausch über sie zu stimulieren, war bis zu seinem Tod 2019 eines der obersten Gebote seiner Arbeit. Die Ergebnisse unseres Nachdenkens über Mekas, die wir mit der Leserschaft nun teilen wollen, mögen der Auseinandersetzung mit seinem Schaffen einen neuen Anstoß geben. Dass die Summe der einzelnen Teile wiederum nur ein Fragment ergeben kann, liegt gewissermaßen in der Natur der Forschungssache selbst, im Wesen von Mekas’ Filmkunst, begründet.
Ann-Christin Eikenbusch und Philipp Scheid | April 2021 |
1 Jonas Mekas, »Notes on the New American Cinema« (1970), in: Film Culture Reader, hg. von P. Adams Sitney, New York 2000, S. 87–107, hier S. 98. — 2 Hans Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001, S. 83. — 3 Vgl. Annette Jael Lehmann, Kunst und Neue Medien. Ästhetische Paradigmen seit den sechziger Jahren, Tübingen 2008, S. 43 f.
Daniel Kothenschulte
Jonas Mekas’ Selbstpositionierung im Kunstkontext vor dem Hintergrund seiner Arbeit als Filmkritiker
»Warum, glauben Sie, datiere ich alles, was ich mache?«, fragte Picasso einmal den Fotografen Brassaï und gab gleich selbst die Antwort: Er glaube daran, dass es einmal eine »Wissenschaft vom Menschen« geben werde, die sich mit dem Ursprung des schöpferischen Lebens befasse und diese Fragmente wieder in eine temporale und kausale Ordnung füge.1
Picasso eröffnete damit seinen Werken ein zusätzliches Dispositiv – sie waren auf diese Weise nicht mehr nur Kunstwerke, sondern Lebensdokumente in einem allgemeineren Sinn, den tiefer zu erschließen er späteren Generationen auftrug. Jonas Mekas’ filmische Tagebücher wären für diese Wissenschaft wohl von ganz besonderem Interesse. Wie Picasso schuf er sie mit Blick auf spätere Generationen, auch wenn er das nie offen bekannt hätte. Einen beträchtlichen Teil seiner Lebenszeit verwendete er auf den Aufbau eines Archivs und die Akquise immenser Spendengelder für ein Gebäude, in dem sie – gemeinsam mit den bedeutenden Filmsammlungen der Anthology Film Archives – dauerhaft ihren Platz finden würden.
Anders als Picasso zeigte sich Mekas jedoch wenig überzeugt vom Kunstwert seiner Werke. Und das, obwohl er als Publizist, Kritiker und Archivar wie nur wenige Zeitgenossen zur Etablierung eines Kanons des nicht-industriellen Kinos beigetragen hatte. Man mag darüber streiten, inwiefern es für die Rezeption eines Kunstwerks entscheidend ist, ob sich sein Urheber selbst für einen Künstler hält. Vielleicht sah sich Jonas Mekas tatsächlich nur als filmenden Amateur im Gegensatz zu den eigentlichen Filmkünstlern, für deren Anerkennung er sich engagierte. Tatsächlich aber waren beide Betätigungsfelder eng verbunden. Die Ansprüche, die er an die Werke anderer stellte, seine persönlichen Vorlieben in der Filmästhetik, finden auch in seinem eigenen Œuvre ihren Niederschlag.
Mekas hatte seit den 1950er Jahren als Filmkritiker gearbeitet und sich dabei nicht vor normativen, ja mitunter dogmatisch vorgebrachten Werturteilen gescheut. Seine persönliche Geschmacksbildung teilte er dabei mit seiner Leserschaft, die er auf eine Reise vom italienischen Neorealismus bis zu Stan Brakhage und Andy Warhol führte. Davon unabhängig entstand sein eigenes filmisches Werk, das im Rückblick die gleichen Ideale einer Fusion zwischen Realismus und ästhetischer Radikalität anstrebt.
Wie kaum ein Filmkünstler dokumentierte Mekas sein öffentliches und privates Leben, die Zeugenschaft und Mitgestaltung kulturgeschichtlicher Schlüsselmomente mit der Kamera. Seine 16-mm-Bolex-Kamera machte er sich zu eigen wie stilbildende Jazzmusiker ihre Instrumente – mit dem Ergebnis einer unverwechselbaren, improvisatorischen Stilistik. Das Fragmentarische der Form, das Stop and Go der Kamera, verweist dabei auf den unsichtbaren Teil der Totalität des Lebens, die einzufangen so unmöglich wäre wie die Utopie, die Picasso formulierte. Seine späten, auf Video gedrehten Tagebuchfilme – die meisten bislang unveröffentlicht – verfolgten das gleiche Ziel auf denkbar gegenläufige Art und Weise – etwa wenn er über eine ganze Bandlänge seinen Fußweg durch New York festhielt.2
Mekas selbst begegnete freilich jedem auf sein Werk bezogenen Kunstbegriff mit einer Distanz, mit der er seine Zeitgenossen gerne in Verlegenheit brachte. Wer ihn als Journalist interviewte oder als Kurator einem Publikum vorstellte, tappte oft in Fallen bezüglich der Kategorisierung seines Schaffens, die er genüsslich auszulegen wusste. Die Begriffe Experimentalfilm und Avantgarde, die er anfangs selbst als Autor verwendet hatte, hielt er schließlich für abwertend, gleich wessen Werk es betraf. Und wenn man einen Vertreter des independent cinema suche, dann solle man sich besser an Steven Spielberg wenden: »Er ist wirklich unabhängig. Er kann tun und lassen, was er will.«3
Aber konnte das Jonas Mekas nicht erst recht? Seine mit minimalen Produktionsmitteln geschaffenen Werke brauchten keine Auftraggeber, keine Förderinstitution und sie mussten es keinem Publikumsgeschmack recht machen. Auch wenn er sie kontinuierlich im Programm der Film-Maker’s Cinematheque präsentierte, versagte er ihnen in der Diskussion darüber den gleichen Status, den er anderen Filmkünstlern einräumte.