“Hat Ihnen das der MdB erzählt?”
“Er saß ja neben mir”, sagte Wildenbacher. “Und er hat ein ziemlich mitteilsames Wesen, wenn Sie verstehen, was ich meine.”
Ich verstand das sehr gut. Bei Wildenbacher war das die Umschreibung für einen Dauerredner.
“Ich nehme an, Frau Moldenburg ist jetzt in Berlin, wo ihr Mann behandelt wird”, meinte ich.
“Ja, aber ich habe mit ihr inzwischen zweimal telefoniert. Das erste Mal, als ich sie darüber informiert habe, was passiert ist. Und das zweite Mal heute Morgen. Ich wollte nämlich Näheres wissen. Und offenbar ist es so, dass die Moldenburgs in letzter Zeit Drohungen erhalten haben, die explizit Bezug auf Moldenburgs politische Positionen nahmen.”
“Ich nehme an, die Behörden wissen davon.”
“Nein, anscheinend wusste nur Moldenburgs engere Umgebung darüber Bescheid, Harry.”
“Wieso das denn?”, mischte sich Rudi ein. “Normalerweise wird doch gleich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, wenn ein MdB von Terroristen bedroht wird.”
“Genau”, nickte Wildenbacher. “Und genau das wollte Moldenburg offenbar verhindern. Seine persönlichen Sicherheitsleute waren gewarnt, aber er wollte auf gar keinen Fall, dass davon etwas in die Öffentlichkeit dringt oder er sich vor lauter Sicherheitsmaßnahmen gar nicht mehr frei bewegen kann. Möglicherweise hätte dann dieses Charity-Essen hier in Wismar gar nicht stattgefunden…”
“...sondern an einem Ort, der sich besser sichern lässt”, vollendete ich.
“Frau Moldenburg hat mir gesagt, dass ihr Mann in der Öffentlichkeit als kraftvoll und durchsetzungsstark dastehen wollte - nicht als jemand, der sich vor irgendwem verstecken muss. ‘Ein paar Spinner, die fiese Mails schreiben, gibt es immer’, hätte er gesagt. Das müsste man nicht ernst nehmen.”
“Nur dass einer von denen in diesem Fall tatsächlich seinen Plan in die Tat umgesetzt hat”, meinte Rudi.
“Wann fahren Sie zurück nach Quardenburg?”, fragte ich Wildenbacher.
Der Pathologe zuckte mit den Schultern. “Keine Ahnung. Ich dachte, ich verfolge erstmal, was hier am Tatort noch sonst ans Tageslicht kommt.”
10
Etwas später sprachen wir mit Richard Catenhusen. Er gehörte zu den Leibwächtern des MdBs und wahrscheinlich war Johannes E. Moldenburg durch Carters entschlossenes Eingreifen gerettet worden. Catenhusen hatte bei dem Attentat selbst etwas abbekommen. Streifschüsse und Fleischwunden, die in einer Ambulanz in Wismar selbst hatten behandelt werden können. Außerdem hatte er eine ganze Reihe von Hämatomen durch Kugeln, die von seiner Kevlar-Weste abgefangen worden waren.
Wir trafen Catenhusen in seinem Hotelzimmer, nur wenige Fußminuten von der Werner Bretzler Halle entfernt. Vom Hotelzimmer aus hatte Catenhusen einen freien Blick auf den Strand und die Ostsee.
“Es gibt schlimmere Orte, um sich auszukurieren”, meinte er.
“Wir möchten Ihnen gerne ein paar Fragen stellen, Herr Catenhusen”, sagte Rudi.
“Nur zu! Wenn ich etwas kurzatmig erscheine, dann liegt das vielleicht daran, dass ich ein paar üble Prellungen am Oberkörper habe. Aber ich bin froh, dass wenigstens nichts gebrochen ist.” Er verzog das Gesicht. Offenbar hatte er reflexartig doch etwas zu heftig geatmet.
“MdB Moldenburg soll in der Zeit vor dem Attentat bedroht worden sein”, stellte ich fest. “Wissen Sie Näheres darüber?”
“Natürlich. Aber das hat den MdB ehrlich gesagt nicht besonders beunruhigt. Eher schon seine Frau.”
“Wie sahen diese Bedrohungen aus?”
“Es kam immer wieder vor, dass sein Email-Account und sein privates Handy gehackt wurden. Er wurde dabei förmlich mit Hassbotschaften überschüttet.”
“Wurde er beobachtet? Sind irgendwelche Personen dabei auffällig geworden?”
“Ja, das ist auch vorgekommen. In diesen Fällen ist das dann von Ihren BKA-Kollegen überprüft worden - aber es ist nie etwas dabei herausgekommen.”
“Seltsamerweise steht nichts davon in unseren Unterlagen”, sagte Rudi.
“Nein, das wollte der MdB nicht. Er ist den kurzen Dienstweg gegangen, wenn Sie verstehen, was ich meine.”
“Und wie sah der aus?”
“Der zuständige Dienststellenleiter der Polizei in Reichenberg ist ein persönlicher Bekannter des MdBs. Und über dessen Büro hat er die Überprüfungen durchführen lassen. Aber wie ich schon sagte, das war jedesmal blinder Alarm. Wenn Sie in einer Position wie MdB Moldenburg sind und sich dann auch noch politisch so stark exponieren, dann kommt es immer wieder vor, dass Sie den Eindruck haben, dass jemand Sie beobachtet. Manchmal waren es Journalisten, die irgendeine Story über das Privatleben des MdB zusammenschmieren wollten.”
“Wir werden mal mit den Kollegen in Reichenberg sprechen”, sagte ich. Was immer auch über diese Vorfälle festgehalten worden war und wie belanglos sie auch sein mochten, so sicher stand fest, dass wir darüber alles wissen mussten, was es zu wissen gab. Schließlich war es durchaus möglich, dass der Attentäter sein Opfer schon sehr viel früher ausgespäht hatte.
Dasselbe galt für die privaten Handydaten des MdBs. Auch die brauchten wir. Aber das würde noch ein heikles Thema werden und war nicht so einfach durchzusetzen. Schließlich war Moldenburg das Opfer und nicht etwa ein Verdächtiger. Und es gab für Leute wie Moldenburg manchmal durchaus gute Gründe, sich vor der Untersuchung ihrer Handy-Daten zu fürchten. Vor allem dann, wenn es da vielleicht Kontakte gab, deren Existenz nicht an die Öffentlichkeit dringen sollte.
“Ist Ihnen vor Beginn der eigentlichen Veranstaltung irgendetwas aufgefallen, was vielleicht mit dem Anschlag in Zusammenhang stehen könnte?”, fragte ich.
“Also, wenn Sie mich fragen, dann muss ich erstmal eins feststellen: Das ganze war nicht sehr professionell geplant. Das fing schon damit an, dass irgendetwas mit dem Catering nicht so ganz geklappt hat. Da fehlte irgendeine entscheidende Lieferung und es herrschte in der Werner Bretzler Halle die blanke Panik, weil man befürchtete, das Problem nicht bis zum Beginn der Gala lösen zu können. Der Sicherheitsdienst, der eigentlich für die Kontrollen sorgen sollte, war die reinste Chaos-Truppe. Ich hatte den Eindruck, dass die für diesen Anlass eine Menge an zusätzlichem und schlecht geschultem Personal angeheuert haben.”
“Wie kommen Sie darauf?”
“Die Kontrollen beim Einlass waren chaotisch. Erst ging es nicht voran, dann hat man wohl viele Gäste oder vermeintliche Gäste einfach durchgewunken. Meinem ganz persönlichen Eindruck nach war der Einsatz der Kollegen auch schlecht koordiniert. Ich hatte immer das Gefühl, die laufen durcheinander wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Tja, und zu allem Überfluss ist auch noch kurz vor Beginn der Veranstaltung ein Teil der Beleuchtung kaputtgegangen. Zum Glück hat man dann noch ein Elektriker-Team herbeischaffen können.”
“Das heißt, das Licht hat dann doch noch funktioniert.”
“Ja, zum Glück. Die ganze Veranstaltung stand wirklich auf Messers Schneide. Wissen Sie, ich begleite den MdB ja jetzt schon einige Jahre und ich kann Ihnen sagen, dass das unter Sicherheitsgesichtspunkten betrachtet schon sehr… abwechslungsreich war. Gerade in Wahlkämpfen gibt es manchmal Situationen, die der Alptraum jedes Personenschützers sind. Dichtes Gedrängel, aufdringliche Leute, die sich gar nicht nahe genug an ihr politisches Idol herandrängeln können und hin und wieder ein paar Verrückte, die schlicht und ergreifend austicken.”
“Hört sich nicht gerade so an, als wären Sie um Ihren Job zu beneiden!”, meinte ich.
“Ich bin