“Hat er nicht?”
“Er hat das nie besonders ernst genommen. Es gehörte quasi zu seinem Image, keine Furcht zu haben. Einer, der zu einem furchtlosen, kompromisslosen Kampf gegen Terroristen aufruft, kann ja nicht selbst wie eine ängstliche Memme daherkommen und sich verkriechen! So lautete sein Credo.”
“Kann ich nachvollziehen.”
“Außerdem ist MdB Moldenburg auch noch ziemlich eitel.”
“Wie hat sich das ausgedrückt?”
“Er hat keine Schutzweste getragen. Sehen Sie, ich würde jetzt nicht mit Ihnen reden, wenn ich keine Weste angehabt hätte. Kann ja sein, dass man dann etwas pummelig aussieht. Aber ich sage immer: Lieber fett und lebendig als eine Kugel im Bauch. Aber obwohl Frau Moldenburg in diesem Punkt ganz auf meiner Seite war, wollte er davon nichts hören.”
“Aber Sie müssen zugeben, dass bei so einem Charity-Ereignis es schon eher ungewöhnlich gewesen wäre, wenn der MdB da mit einer Kevlar-Weste unter dem Anzug gesessen hätte.”
“Ein Personenschützer wird ja wohl mal träumen dürfen.”
Ich gab Catenhusen eine der Visitenkarten, die das BKA für seine Kriminalinspektoren drucken lässt. “Ich nehme an, Sie bleiben noch ein paar Tage hier in Wismar”
“Mein Boss braucht mich im Moment wohl kaum.”
“Falls Ihnen noch irgendetwas einfallen sollte, dass Sie für relevant halten, dann…”
“...werde ich mich bei Ihnen melden. Ganz bestimmt.”
“Okay.”
“Und wer immer auch hinter dieser Sache stecken mag - ich hoffe, dass Sie sie kriegen.”
“Wir geben uns alle Mühe”, ergänzte Rudi.
11
Als wir ins Freie traten, wehte ein kühler Wind. Es dämmerte bereits.
“Ein fanatischer Attentäter, der nacheinander einen Top-Juristen und einen MdB umbringt”, meinte Rudi. “Dass dabei auch noch ein Wachmann sterben musste, wird das Gewissen dieses Täters nicht sonderlich belasten, wie ich vermute.”
“Für einen Glaubenskrieger geht der Täter überraschend kühl und professionell vor, findest du nicht auch, Rudi?”
“Die Terroristen des 11. September waren auch exzellent vorbereitet”, gab Rudi zu bedenken. “Und das ist nicht das einzige Beispiel. Das sind nicht einfach nur Fanatiker, sondern häufig Personen, die sich über Jahre hinweg auf ihre Taten vorbereiten.”
“Ja, aber der Täter dachte ganz sicher nicht daran, sich selbst aufzuopfern.”
“Das ist zwar ein sehr häufiges, aber kein zwingendes Tatmerkmal bei Verbrechen dieser Art”, gab Rudi zu bedenken.
“Also wenn sich der MdB jetzt für schärfere Gesetze gegen Geldwäsche ausgesprochen hätte und dieser Franz Lutterbeck als ein superharter Staatsanwalt seine Lebensaufgabe in der Bekämpfung des organisierten Verbrechens gesehen hätte, anstatt dem Präsidenten zu helfen, Anti-Terror-Operationen im Ausland juristisch zu rechtfertigen, dann…”
“Dann was?”, hakte Rudi nach, nachdem ich zunächst gestockt und nicht weitergesprochen hatte.
Ich zuckte mit den Schultern, während wir ein Stück weiter gingen. “Dann hätten wir doch wahrscheinlich als erstes vermutet, dass ein Profi-Killer hier aktiv war, oder?”
“Die Umstände sind aber nunmal nicht so, Harry.”
“Vielleicht trifft ja sogar beides zu”, meinte ich.
“Was meinst du jetzt?”
“Na, dass Lutterbeck sich in seiner aktiven Zeit als Staatsanwalt jede Menge Feinde im organisierten Verbrechen gemacht hat und MdB Moldenburg für die Verschärfung von Gesetzen eingetreten ist, die genau diese Leute hart getroffen hätten.”
“Ja, wenn wir jetzt viel Zeit hätten, könnten wir das alles mal sorgfältig überprüfen, Harry.”
“Das lässt sich schon herausfinden…”
“Im Moment würde ich sagen, sollten wir den offensichtlichen Spuren folgen und vor allen Dingen erst einmal die naheliegendsten Fragen endlich vernünftig beantworten.”
Ich sah Rudi etwas erstaunt an. “Und was sind deiner Meinung nach die naheliegendsten Fragen?”
“Na, da gibt es einige. Aber ganz oben steht diese auf meiner Liste, Harry: Wie hat es der Schütze geschafft, unbemerkt in die Veranstaltung zu kommen, sich offenbar unbehelligt hinter dem Vorhang an der Balustrade zu postieren und das Attentat durchzuführen. Nur mit Schlamperei und Nachlässigkeit bei dem Security Service oder meinetwegen auch der mangelnden Professionalität von Hilfskräften ist das nicht zu erklären. Und selbst wenn das der entscheidende Faktor gewesen sein sollte, dann wüsste ich doch ganz gerne, wie genau das vor sich gegangen ist!”
“Du sprichst immer so von dem Täter, dass man annehmen könnte, du meinst einen Mann.”
“Naja…”
“Genau genommen wissen wir noch nicht einmal das, Rudi.”
12
Wir trafen uns mit Katrina Gintert, einer energiegeladenen, quirligen Enddreißigerin. Sie war die Chefin des Security Service, der für die Sicherheit bei der Veranstaltung mit MdB Moldenburg verantwortlich gewesen war. Die Büros und der Fuhrpark von Gintert SECURITY INC. lagen ganz im Süden von Wismar an der Südspitze von Fellworn. Ein unscheinbares Flachdachgebäude, ein Parkplatz für den Fuhrpark der Firma und ein Schießstand, der offenbar gegen Bezahlung auch Privatpersonen und Touristen zur Nutzung angeboten wurde, gehörten zur Firma.
Katrina Gintert empfing uns in ihrem Büro.
Wir stellten uns kurz vor und sie bot uns an, uns zu setzen.
“Möchten Sie einen Kaffee?”, fragte sie. “Manche würden sagen, dass es dafür ein bisschen spät ist, aber ich trinke das Zeug rund um die Uhr.”
“Nein danke”, sagte ich und auch Rudi lehnte ab.
“Wir würden gerne unmittelbar zur Sache kommen”, sagte mein Kollege.
“Sie gestatten sicher, dass ich mir einen eingieße. Und was Ihr Anliegen angeht, habe ich schon vorgearbeitet.”
Katrina Gintert ging zu ihrer Kaffeemaschine und goss sich eine sehr große Tasse Kaffee ein. Die Tasse, die sie dafür benutzte, hatte schätzungsweise den Volumeninhalt eines Bierkrugs.
“In welcher Weise haben Sie denn vorgearbeitet?”, fragte ich. “Sie wissen doch noch gar nicht, was wir Sie fragen wollen.”
“Sie werden sich fragen, wie ein Attentäter in die Veranstaltung mit MdB Moldenburg gelangen konnte, obwohl so umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden”, schloss Katrina Gintert. “Und Sie werden sich außerdem fragen, ob nicht möglicherweise einer oder mehrere meiner Mitarbeiter in der Sache drinstecken könnten…”
“Kurz gesagt, wir brauchen sämtliche Personaldaten Ihrer Leute”, sagte ich. “Dafür gibt es auch einen richterlichen Beschluss.”
Katrina Gintert öffnete eine Schublade ihres Schreibtischs und holte eine Mappe hervor. Diese schob sie anschließend über den Tisch. “Vielleicht können wir das Ganze etwas abkürzen.”
“Abkürzen?”
“Ich habe Ihnen die Daten der Mitarbeiter herausgesucht, die arabisch klingende Namen tragen, in den Personalbögen angegeben haben, muslimischen Glaubens zu sein und nicht länger als drei Monate