Network. Ansgar Thiel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ansgar Thiel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839269640
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und Di Marco.

      »Wenn du noch kurz dableiben könntest, Richie?« Burger war neben Babic – und zuweilen Di Marco – der Einzige, der Hensen bei ihrem Vornamen nannte.

      »Ich kann Mia ja zum Hotel bringen«, bot Di Marco an. Er hatte sich wieder gefangen.

      »Ist das für dich okay?«, fragte Hensen.

      Babic nickte. Sie wollte nur noch ins Bett.

      *

      Di Marco hatte sich den BMW ausgeliehen, um Babic ins Hotel zu fahren. Die ersten vier Minuten herrschte Schweigen.

      »Wie …« – »Wie …«, begannen sie gleichzeitig zu sprechen.

      »Du zuerst.«

      »Nein du.«

      »Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, zur Polizei zu gehen?« Di Marco erschien diese Frage unverfänglich genug, um einen Small Talk zu beginnen.

      »Eigentlich eine ziemlich komplizierte Geschichte.« Die Idee hatte Babic damals schon lange mit sich herumgetragen.

      »Den endgültigen Entschluss habe ich gefasst, nachdem ich versehentlich als Terroristin verhaftet worden war.«

      »Hä?«

      »Ich war gerade 20, mitten im Psychologiestudium. Ich hatte mir beim Bouldern den Knöchel gebrochen und musste ins Krankenhaus. Irgend so ein anonymer Möchtegernpolizist war anscheinend der Meinung, ich sei ein Mitglied der radikalen AntiGloCap-Zelle, und der Fahndungscomputer hat, aus welchen Gründen auch immer, diese Möglichkeit eingeräumt.«

      »Und Computer können nicht irren!«, sagten beide gleichzeitig. Di Marco hatte mehrere Freunde, die zu der Zeit ebenfalls aufgrund von Computerfehlern in die Mangel der Polizei geraten waren.

      »Ich hab mich total aufgeregt, aber diese Spinner von der politischen Sicherheit haben mich einfach aus dem Krankenhausbett gezerrt.«

      Dass unbescholtene Bürger als Terroristen verhaftet wurden, hatte Babic damals nicht überrascht. Es war eine Konsequenz aus den verheerenden IS-Anschlägen Ende der 20er-Jahre und den Beschneidungen demokratischer Rechte, die daraufhin gefolgt waren. Nach der H1N1/29-Pandemie konnten auch die größten Optimisten die Grenzen internationaler Solidarität nicht mehr bestreiten. Die katastrophalen Folgen des Klimawandels, wie die Energiekrisen der frühen 30er-Jahre und die großen afrikanischen Wasserkriege mit ihren Massenwanderungen, hatten die internationale Gemeinschaft schließlich endgültig zersplittert.

      Nach der amerikanischen Ölsperre hatten sich die EU-Mitgliedstaaten geeinigt, die Rolle der Europäischen Union und insbesondere des Europäischen Parlaments in der Legislative und der Exekutive entscheidend zu stärken sowie die Vereinigten Staaten von Europa (EUS), mit eigener Verfassung und einer europäischen Zentralregierung, zu gründen. Großbritannien, dessen konservative Politiker auch Jahrzehnte nach dem Brexit noch an die Rückkehr des British Empires glaubten, entschloss sich nach einigem Hin und Her, der Gemeinschaft als assoziierter Sonderstaat beizutreten, ebenso alle skandinavischen Staaten. Der nächste Schritt war der Aufbau einer zentralen europäischen Armee (CEF) unter der Zuständigkeit des europäischen Verteidigungsministeriums gewesen. Der übernächste die Einrichtung einer zentralen europäischen Bundespolizeiorganisation, die vor allem für Kapitalverbrechen, organisierte Kriminalität und Terrorismus zuständig war.

      Da sich die europäischen Staaten ohne die USA auch nicht sicherer fühlten, war es jetzt erst richtig losgegangen: verschärfte Sicherheitsgesetze, die Einführung von Rasterfahndungsprogrammen und der Einsatz routinemäßiger Genanalysen. In Europa entstand eine Atmosphäre kollektiver Paranoia. An fast jeder Straßenecke hingen Kameras, und der Polizei saß der elektronische Knüppel bei Systemgegnern jeglicher Art recht locker.

      »Ich weiß noch, wie ich immer gelacht habe, wenn meine politisch engagierten Studienkollegen meinten, ›Passt auf, dass euer Steckbrief nicht irgendwie einem gerade frisch ausgegebenen Fahndungsraster entspricht.‹ Und dann habe ich es selbst erlebt.« Babic ballte die Fäuste bei der Erinnerung daran. »Ich sag dir, die sind mit mir umgegangen, als wäre ich der letzte Dreck. Und weißt du, was der größte Witz war? Das AntiGloCap-Mitglied, für den der Denunziant und der Computer mich gehalten hatten, war ein Mann gewesen.«

      »Echt?« Di Marco musste lachen.

      »Mir ist das Lachen damals im Hals stecken geblieben. Und weißt du, mit was die Polizisten meine Vernehmung begründet haben? Dass Geschlechtsumwandlungen mittlerweile weitgehend problemlos möglich seien.«

      »Mannomann.« Mehr fiel Di Marco dazu nicht mehr ein. »Wie bist du da wieder rausgekommen?«

      »Schlau, wie die waren, kamen sie drauf, dass ich eine andere Augenfarbe als der Terrorist hatte. Und Augenfarben konnten damals ja allenfalls mithilfe von Kontaktlinsen simuliert werden. Nach acht Stunden durfte ich dann endlich wieder gehen und mich in mein Bett legen.«

      »Dass du da überhaupt noch Lust hattest, zur Polizei zu gehen …«

      »Das konnten meine Freunde auch nicht verstehen. Die haben mich sogar für verrückt erklärt, genauso wie mein Vater, meine Mutter und Richie.« Babic dachte an die langen Diskussionen mit Hensen, die mit allen Mitteln versucht hatte, ihr diese Schnapsidee auszureden. »Aber ich wollte es jetzt erst recht. Ich dachte mir, dass man den Job nur besser machen kann als diese Deppen.«

      »Meine Güte.« Di Marco schüttelte den Kopf. »Leider gibt’s auch heute noch genug von der Sorte. Schau dir nur mal Haak und Strickle an, und die sind bei Weitem nicht die einzigen Bekloppten.«

      Sie bogen in die Straße ein, in der Babics Hotel lag. Di Marco fuhr an den Seitenstreifen und stellte den Motor ab.

      Babic blieb im Auto sitzen und fragte: »Was ging da heute früh eigentlich ab, mit dir und diesen beiden?«

      »Wir sind mal richtig aneinandergeraten. Die Typen sind nicht nur Spinner, musst du wissen, die sind richtig gefährlich.«

      Di Marco sah aus dem Fenster.

      »Die beiden waren früher bei der Sitte. Ich hatte damals eine Freundin, die gerade bei der Kripo anfing und den beiden zugeteilt wurde. Eines Abends erzählte sie mir, sie sei von einer Prostituierten angerufen worden, die sich von Polizisten bedroht fühlte. Am selben Abend noch haben die beiden sich getroffen. Wie sich herausstellte, hatte meine Freundin in ein Wespennest gestochen.«

      Er sah Babic nun direkt an. Seine Miene war ernst.

      »Die Informantin erzählte meiner Freundin von einer Art Polizeigeheimklub, der mehrere Zuhälter unter Kontrolle hatte, die wiederum Prostituierte zwangen, für alle möglichen Perversitäten zur Verfügung zu stehen.«

      Er machte eine kurze Pause.

      »Von normalen Perversitäten bis hin zum Aufschlitzen vor der Kamera oder Tiere in Körperöffnungen stecken. Die Polizisten vermittelten Freier, meist reiche Typen, die bei Razzien in die Finger der Sitte geraten waren. Statt sie vor Gericht zu bringen, brachten diese Schweine die Freier dazu, künftig nur noch zu den Frauen zu gehen, bei denen sie von den Zuhältern Provision kassierten. Deshalb gab es, wenn Frauen aussteigen wollten, auch jede Menge Druck.« Di Marcos Kiefermuskeln spannten sich sichtbar an. »Psychisch und physisch. Verbale Demütigungen, stundenlanger Schlafentzug, Schläge, Vergewaltigungen und so weiter.« Sein Blick löste sich wieder von Babic.

      »Meine Freundin kam am selben Abend noch zu mir. Ihrer Meinung nach hingen auch Haak und Strickle in der Sache drin. Sie hatte allerdings keine Beweise, weil nur diese eine Informantin aussagen wollte. Und ausgerechnet diese Frau hatte nicht direkt mit Haak und Strickle zu tun, sondern nur von ihnen gehört.«

      Di Marco spürte die Wut in sich aufsteigen wie jedes Mal, wenn er über die Sache sprach. »Sie war so dumm, die beiden am nächsten Tag ganz offen darauf anzusprechen – warum stöhnst du?«

      »Sorry, aber ich kann von solchen Dummheiten ein Lied singen.«

      »Sie leider nicht mehr.« Er hielt inne und schluckte. »Haak und Strickle stritten natürlich alles ab. Aber von dem Zeitpunkt an bekam meine