Von Jozef Kalescus Tod wusste jeder Truck-Driver. Viele Fahrer waren der Ansicht, dass die Gangster einen härteren Kurs eingeschlagen hatten. Das beunruhigte sie.
Den Verbrechern genügte es offensichtlich nicht mehr, einen Truck-Driver nur bewusstlos zu schlagen. Sie töteten ihn. Jeder stellte sich die bange Frage, wen es als Nächstes erwischen würde.
Drei Tage harte Arbeit brachten nichts ein. Bount Reiniger war sauer. Gab es denn keine andere Möglichkeit, an die Bande heranzukommen?
Am Abend des dritten Tages kehrte Bount Reiniger von einer Tour nach New Haven zurück. Er lieferte seinen Truck bei Tennessee Brooks mitsamt den Papieren ab. Brooks saß in seinem kleinen Büro in der Truck-Halle.
„Ah, Sheridan. Wie war die Fahrt?“
„Bestens.“
„Keine Probleme?“
„Ich wurde nicht überfallen“, erwiderte Bount grinsend.
Tennessee Brooks zuckte zusammen. Seine Miene nahm einen ärgerlichen Ausdruck an. „Mann, mit so etwas scherzt man nicht. Das ist viel zu ernst. Jeder von euch Truck-Drivern sollte dem Himmel täglich dafür danken, von diesen Banditen verschont geblieben zu sein.“
„Die sahnen ganz schön ab.“
Brooks hob den Kopf und blickte Bount prüfend an. „Das hört sich so an, als würdest du’s ihnen neiden.“ Längst war er zum Du übergegangen, denn er duzte alle Fahrer, während sie ihn siezen mussten. Er wollte damit wohl herausstreichen, dass er eine Etage höher stand als sie.
Bount zuckte mit den Schultern. „Ich beneide die Gangster zwar nicht, aber ich hätte auch gern mehr Geld.“
„Das hört man gern. Du hast eben erst die Nase bei uns hereingesteckt, und schon bist du unzufrieden. Junge, Junge, ich fürchte, du wirst dich nicht lange bei uns halten, wenn du diese Einstellung beibehältst.“
„Hätte nicht jeder gern mehr Geld, als er tatsächlich hat?“
„Ich nicht. Ich bin zufrieden.“
„Dann sind Sie eine große Ausnahme“, sagte Bount. „Brauchen Sie mich noch?“
„Nein, du kannst gehen.“
„Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Abend.“
„Merk dir eines, Sheridan: Es kommt nicht so sehr darauf an, wie viel Geld man besitzt, sondern wie man es sich verdient hat. In diesem Punkt spielt das Gewissen eine nicht unbedeutende Rolle.“
„Ich werde darüber nachdenken“, erwiderte Bount und verließ das Büro des Fuhrparkleiters. In der Halle lief ihm Richard Dodge über den Weg. Der Truck-Driver hatte sich - genau wie Bount - von den Hieben des Hünen und dessen Freunden bestens erholt. Aber sie waren bis heute nicht dazugekommen, Jack Lunas Truck-Driver-Kaschemme wieder aufzusuchen.
„Klappt es heute mit uns beiden?“, erkundigte sich Bount Reiniger.
„Tut mir leid, ich muss für einen kranken Kollegen einspringen. Gehst du allein zu Jack Luna?“
„Werde ich wohl müssen. Ich komme um vor Durst.“
„Schade. Vielleicht haben wir morgen mehr Glück“, meinte Dodge ehrlich bedauernd. Er blickte auf seine Uhr, sagte, er müsse sich beeilen und lief an Bount vorbei.
Bount Reiniger trat aus der Halle. Er wollte das Firmengelände verlassen, da hörte er jemand seinen falschen Namen rufen. Ein Mädchen. Er reagierte sofort und drehte sich um. Celestine Cabot, die Tochter seines „Chefs“, kam lächelnd auf ihn zu.
Sie trug blau weiß gestreifte Karottenhosen und eine cremefarbene Schlotterbluse. „Alles in Ordnung, Mister Sheridan?“
„In bester Ordnung.“
„Haben Sie sich bei uns schon eingewöhnt?“
„Oh ja, das war nicht schwierig.“
„Das freut mich. Wie kommen Sie mit Mister Brooks aus?“
„Blendend.“
„Und mit Ihren Fahrerkollegen?“
„Ausgezeichnet. Nur Brick Curtis kann mich nicht riechen. Aber man kann nicht jedem Menschen sympathisch sein.“
„Brick ist ein sonderbarer Junge. Aber er ist in Ordnung“, sagte Celestine.
„Wenn Sie das behaupten, will ich es Ihnen gerne glauben.“
„Machen Sie Schluss für heute?“
„Ja, ich bin rechtschaffen müde.“
„Mein Vater hätte Sie noch gern gesehen. Er ist in seinem Büro. Mir kommt vor, als hätte er neuerdings Geheimnisse vor mir.“ Celestine sagte das, während sie Bount so ansah, als würde sie ihn mit diesen Geheimnissen in Verbindung bringen.
Bount gab sich naiv. „So?“
„Er scheint mir etwas zu verheimlichen. Das hat er noch nie getan. Ob das mit den Truck-Überfällen zusammenhängt?“
Bount hob die Schultern. „Da bin ich leider überfragt, Miss Cabot.“
„Ach bitte, nennen Sie mich doch Celestine, ja?“
„Okay, Celestine.“
Sie trennten sich. Bount begab sich zum Bürogebäude und betrat es gleich darauf. Errol Cabot machte keinen zufriedenen Eindruck auf ihn, als er dessen Büro betrat. Der Mann war nervös. Bei Bounts Eintreten sprang er auf und kam hastig um seinen Schreibtisch herum. Sobald Bount die Tür geschlossen hatte, redete ihn Cabot mit seinem richtigen Namen an.
„Mister Reiniger, ich muss sagen, dass ich enttäuscht bin.“
„Von mir?“
„J...ja.“
„Sie würden schon gern eine Erfolgsmeldung hören.“
„Ist das nicht verständlich?“
„Natürlich ist es das, Mister Cabot. Aber ich kann leider nicht zaubern. Sie können mir glauben, dass ich alles in meiner Macht Stehende unternommen habe, um den Gangstern auf die Spur zu kommen, aber es will einfach nicht klappen. Das frustriert mich bestimmt ebenso wie Sie.“
„Die ersten Rückschläge sind zu verzeichnen, Mister Reiniger. Einer meiner langjährigen Geschäftspartner hat sich entschlossen, seine Waren von der Bahn transportieren zu lassen. Wenn dieses Beispiel Schule macht, gehen wir Frachtunternehmer schwierigen Zeiten entgegen. Ich hoffte, Sie würden mit diesen Verbrechern im Handumdrehen fertigwerden, aber das war ein Irrtum.“
„Rom ist auch nicht an einem einzigen Tag erbaut worden, Mister Cabot“, erwiderte Bount ernst. „Ich kann keine Wunder wirken. Ich gebe mein Bestes. Sollte Ihnen das allerdings nicht reichen, so bin ich gerne bereit, Sie aller Verpflichtungen mir gegenüber zu entbinden.“
Errol Cabot schüttelte heftig den Kopf. „Mein Gott, so war das doch nicht gemeint, Mister Reiniger. Ich habe nicht die Absicht, meinen Auftrag zurückzuziehen. Ich wollte Ihnen nur meine prekäre Situation erklären.“
„Ich kriege die Gangster“, sagte Bount zuversichtlich. „Aber sie müssen mir Zeit lassen.“
Cabot strich sich mit der Hand über die Stirn. „Natürlich. Verzeihen Sie. Ich wollte Sie in keiner Weise kritisieren.“
„Früher oder später machen die Brüder einen Fehler, und dann gehen sie hoch“, sagte Bount.
„Ich hoffe, das wird schon morgen geschehen“, seufzte der geplagte Frachtunternehmer.
Bount verließ Cabots Büro.
Zwanzig