Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles M. Shawin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783941485945
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stets geladen in Reichweite zu halten. Dave sah nun mit anderen Augen der Zukunft entgegen. Er ließ das Ufer keinen Moment mehr unbeobachtet.

      In diesen Tagen drängte sich das Gespräch zwischen den beiden Kreolen und Orlando Bell, das Dave unbeabsichtigt in Uptons Scheune belauscht hatte, wieder in sein Bewusstsein. „Der Tod lauert am Yellowstone”, hatten die Kreolen geweissagt. Nach wie vor hielt Dave ihre Ahnung für reinen Aberglauben, und eine Zeit lang schien es, als gebe auch der Captain nichts darauf. Doch je weiter sie sich dem Yellowstone näherten, desto schweigsamer wurde Bell. Mit er-

      starrter Miene stand er am Bug, die Büchse fest umklammert, und beobachtete das Land. Und das beunruhigte nun auch Dave.

      Die Herrlichkeit der Natur brachte ihn zumindest zeitweise auf andere Gedanken. Die Prärie zeigte sich noch mehr als zuvor in malerischer Pracht. Manchmal verdeckten riesige Gänsescharen den Himmel; dichte Eschen- und Pappelwälder säumten den Fluss, dann wieder waren seine Ufer kahl und steinig, auf die die Strömung

      Berge von Treibholz angeschwemmt hatte. Wenn der Missouri Gelegenheit fand, weitete er sich und nahm oft die Größe eines Sees an. Hier suchten in den schilfbewachsenen Ufern Schwäne, Schnepfen und Kraniche Schutz. Der Missouri schien alles Leben magisch anzuziehen. Von Menschen fehlte dennoch jegliche Spur. Keine Hütte, nicht einmal ein Kanu war zu sehen, auch war kein Baum gefällt worden. Vielleicht hatten gelegentlich wilde Indianer in der Nähe gelagert, doch von ihrem Dasein blieb nach ihrem Weiterziehen

      ohnehin nichts weiter übrig als die verkohlte Asche ihrer Feuer. So bot sich das Land nach wie vor in unberührter harmonischer Schönheit.

      Dave dachte manchmal, wer hier lebte, brauchte sich nicht zu sorgen. Nahrung und Brennholz gab es im Überfluss, und die Landschaft war so atemberaubend herrlich, dass einem das Herz vor Freude hüpfte. Dieses Land ließ alles vergessen. Nur noch selten erinnerte er sich an St. Louis.

      Eine Woche nach ihrem Aufbruch vom Mandanendorf erreichten sie die Mündung des Yellowstone River, dem sie von nun an folgten. Auf das Vorhandensein der Blackfeet deutete noch immer nichts hin.

      Doch die Blackfeet waren da, hatten die Trapper längst entdeckt. Wie unsichtbare Schatten folgten sie den Booten.

      „Noch zwanzig Tage”, verriet Henry Reed eines Nachts, nachdem sie sich von Pemmican und wilden Erdbeeren, die es jetzt in Mengen gab, sattgegessen hatten und sich nun in ihre Decken rollten.

      Dave wählte sein Lager immer neben dem von Reed. Von Anfang an hatte er ihn gemocht, weil der Lange eine wohltuende Ruhe ausstrahlte. Und seit der Sache mit dem Gewehr waren sie Freunde geworden. Vielleicht mochte er ihn auch, weil Dave mit der Zeit die feinen Charakterunterschiede der Männer besser kennenlernte und Reed dabei noch am besten abschnitt. Reed war nicht so unvernünftig wie Booker, hatte nicht den Dickschädel des Captains, nervte nicht mit endlosen Geschichten, wie es Paul Jackly oft stundenlang tat, und hing nicht dauernd an der Brandyflasche wie Durak oder Sven, der Schwede. Wenn Reed eine Schwäche hatte, dann war es das Essen. Hierin übertraf er alle, und er fraß wie ein hungriger Wolf. Obwohl er fast das Doppelte in sich hineinstopfte wie der riesige Bell, nahm er keine Unze zu. Dave wunderte sich manchmal, dass ein Mensch, der seinem Körper solche Unmengen zuführte, so dünn sein konnte.

      „Was ist in zwanzig Tagen?”, fragte Dave.

      „Dann haben wir es geschafft”, sagte Reed und deutete mit seinen dürren Fingern, die vom fettigen Essen glänzten, in die Nacht hinein. „Dort im Westen liegt unser Ziel. Wir werden die Ruder gegen Äxte tauschen und tagelang nur Bäume fällen. Danach kannst du endlich wieder deine Zimmermannsarbeit aufnehmen.”

      Dave schmunzelte, während er seine Hände, die hart wie trockenes Leder geworden waren, im Schein des Feuers betrachtete.

      „Jetzt, wo ich mich an das Rudern gewöhnt habe”, sagte er etwas mürrisch. „Meinetwegen hätte es noch eine Zeit lang so weitergehen können.”

      Reed lachte. „Hör sich einer den Grünschnabel an. Wenn du erst zehntausend Meilen auf dem Fluss gefahren bist, redest du anders.”

      „Wo eigentlich genau werden wir die Zwischenstation bauen?”, fragte Dave.

      Bisher hatte er immer nur gehört: irgendwo am Yellowstone. Aber auch Reed konnte keine eindeutige Antwort geben. „Was weiß ich”, brummte der Lange. „An einem Seitenarm des Yellowstone. Die exakte Lage kennt nicht einmal der Captain. Ich glaube, er will sich erst genau umsehen, wenn wir dort sind.”

      Dave musste sich damit zufriedengeben. Im Grunde war es ihm auch egal. Die Arbeit und das Zusammensein mit den Männern

      machten ihm Freude. Überhaupt hatte er bemerkt, dass ihn jeder Tag, der ihn weiter fort brachte von St. Louis, fröhlicher und unbeschwerter machte. Anfangs hatte er täglich gebetet, wie es ihn seine Mutter gelehrt hatte. Er hatte es heimlich getan, denn er schämte sich vor den Männern, denen nichts an Gott zu liegen schien. Dann hatte er sich auf die Sonntage beschränkt, an denen er leise zu seinem

      Schöpfer sprach. Da ihm aber mit der Zeit das Gefühl für die Wochentage abhanden kam, schlief auch diese Zeremonie ein. Gott trug er dennoch immer in seinem Herzen. Aber vieles, was er in St. Louis gelernt hatte, schien irgendwo während der Reise verlorengegangen zu sein. Er spürte Übermut aufkommen und einen Tatendrang, der ihn selbst überraschte. Er wusste nun, dass er den richtigen Entschluss gefasst hatte. Die Wildnis bekam ihm gut.

      Doch manchmal schlüpfte eine vage Furcht in ihn und verdeckte

      seine Freude wie ein dunkler Schatten. „Glaubst du an Vorahnungen?”, fragte er Henry Reed.

      „Nicht, wenn sie irgendein vagabundierender Zirkuszauberer macht. Aber es gibt Menschen, die das zweite Gesicht haben. Alle übertreiben sie, aber ein Fünkchen Wahrheit ist immer dabei.

      Weshalb fragst du?”

      „Nur aus Neugier”, sagte Dave.

      Zwei Tage später entdeckten sie am Ufer Spuren von Büffeln. Eine genauere Untersuchung der Hufabdrücke und des Kots, der noch warm war, zeigte ihnen, dass die Büffel den Fluss vor weniger als einer Stunde durchschwommen hatten. Wieder entflammte Bookers Jagdtrieb, und diesmal konnte ihn der Captain nicht halten. Im Grunde wollte er es auch nicht. In einer so gefährlichen Gegend war es immer ratsam, so viel Nahrung wie möglich bei sich zu haben.

      Da es Booker nun erlaubt war, schlossen sich ihm noch Durak und Paul Jackly an. Sie vertäuten die Boote, und während sich die Jäger rüsteten, richteten die anderen das Lager. Es war noch früh am Vormittag, und Bell gestand dem Jagdtrupp einen vollen Tag zu. Sollte er bis Sonnenaufgang des nächsten Tages nicht zurück sein, würde der Captain ohne Zögern aufbrechen. Jeder wusste, dass er sein Wort rigoros halten würde.

      Im letzten Moment entschloss sich Dave mitzukommen. Das letzte Mal war er mit Blackmore zur Jagd gewesen, das aber lag schon Jahre zurück. Wann er wieder Gelegenheit finden würde, Büffel zu jagen, wenn überhaupt, war fraglich. Außerdem war dies die beste Möglichkeit, seine theoretischen Kenntnisse vom Schießen in die Praxis umzusetzen. Ein plötzliches Fieber packte ihn. Rasch holte er seine alte Büchse, steckte sich ein paar Kugeln in die Tasche und nahm das Horn mit dem Pulver mit. Booker grinste geringschätzig, doch er schwieg. Die geladenen Gewehre geschultert, entfernten sich die vier. Die deutlich sichtbaren Spuren führten sie hinaus auf die offene Prärie.

      Dave wunderte sich, weil Bell die Gabelbockjagd untersagt und jetzt die Jagd auf die Büffel erlaubt hatte. Waren sie nicht hier wie da ohne Pferde hilflos?

      Den Captain hatte ein bestimmter Grund dazu veranlasst. Er weigerte sich, seiner Furcht, die die beiden Kreolen in St. Louis entfacht hatten, nachzugeben. Vielleicht wollte er sich beweisen, dass hier nichts, rein gar nichts zu befürchten war.

      Während sie stramm marschierten, wurde wenig geredet. Das Land hier war von welligen Hügeln durchsetzt, kurzes, kräftiges Gras bewuchs es, und wenn der Wind darüber wehte, hatte es den Anschein, als wäre das Grasmeer in ständiger Bewegung. In fortlaufenden

      Intervallen schwammen die Wellen dahin, bis sie in der Ferne