Wer die Geister stört. Ulrich Wißmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrich Wißmann
Издательство: Bookwire
Серия: Frank Begay
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783941485341
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parkte seinen Wagen diesmal an einer Stelle oberhalb der Gegend, in der er am vorhergegangenen Tag seine Suche beendet hatte und ging von dort aus querfeldein bergab, bis er diesen Punkt wieder gefunden hatte. Er arbeitete sich in derselben Richtung wie am Vortag weiter und entdeckte bald darauf weitere Anzeichen dafür, dass Timmons hier entlanggekommen war. Nach einer Weile kam Begay an eine Lichtung, von der aus man einen fantastischen Blick über das Tal hatte. An einem großen Felsblock häuften sich die Spuren von Timmons und als Begay darunter sah, bemerkte er einen durchsichtigen Cellophanbeutel mit Plastik- und Papierabfällen darin, wahrscheinlich die Reste von Timmons Frühstück, dachte Begay missbilligend. Im Sand vor dem Felsblock bemerkte er, dass Timmons dort mit den Füßen gescharrt hatte und als er näher hinsah, entdeckte er die Stumpen von zwei ausgetretenen Dunnhill-Zigarillos, einer Rauchware, die zumindest in diesem Teil des Landes sicher eher selten konsumiert wurde. Begay nahm die Kippen auf und steckte sie in einen Plastikbeutel. Es würde vielleicht sinnvoll sein, Timmons Frau zu fragen, ob er diese Marke rauchte.

      Begay setzte seinen Weg auf Timmons Spuren in den Wald hinein fort. Hier gab es mehr deutliche Veränderungen auf dem Boden, geknickte Halme oder abgebrochene Zweige an Büschen und Bäumen als vorher. Begay konnte den Spuren des Geologen jetzt mühelos folgen. Er fand sogar so viele Spuren, dass er nicht genau sagen konnte, in welche Richtung Timmons weiter gegangen war. War er in verschiedene Richtungen gelaufen, um das Terrain genauer zu untersuchen? Oder waren hier mehrere Personen gewesen?

      Jeder Mensch hat seine eigene und unverkennbare Art, sich zu bewegen. So hinterlässt auch jeder Mensch spezifische Spuren. Einige der Spuren, die Begay hier feststellen konnte, unterschieden sich deutlich von denen Timmons, denen er schon so lange gefolgt war. Außerdem waren hier Spuren mehrerer Personen, die nebeneinander oder hintereinander gegangen waren. Begay war sich jetzt sicher, dass hier eine Gruppe von Menschen ebenfalls vor ein paar Tagen entlanggegangen war. Hatten sie Timmons gesucht oder verfolgt? Dass diese Gruppe weitab von einem Pfad in der unwegsamem Wildnis des Mount Graham dieselbe Richtung eingeschlagen hatte wie Timmons, konnte kaum ein Zufall sein. Begays Jagdinstinkt war geweckt. Er widerstand aber der Versuchung schneller zu gehen, um keine Spuren zu übersehen. Er kam zu einem jungen, abgestorbenen, etwa in der Mitte abgebrochenen Baum, dessen obere Hälfte auf dem Boden lag. In größerem Umkreis waren viele Grashalme und Zweige geknickt oder abgebrochen, teilweise war der Waldboden aufgewühlt. Diese Spuren deuteten auf Körper hin, die sich schnell oder mit großem Kraftaufwand bewegt hatten. Hatte hier ein Kampf stattgefunden? War der Baum gebrochen worden, als ein Körper gegen ihn gestoßen wurde oder jemand versucht hatte, sich an ihm festzuhalten?

      Begay sah sich, von dieser Stelle ausgehend, in der Umgebung genauer um. Eine leichte Erhebung unter einer eng stehenden Baumgruppe, deren Zweige den Boden fast berührten, erregte seine Aufmerksamkeit. Begay zwängte sich durch die Äste. Die Erde auf dem Hügel war bewegt worden und die Zweige und Blätter darauf lagen hier noch nicht lange. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube begann Begay in der Erde zu scharren. Der Boden war so locker, dass es nicht schwer war, ihn mit bloßen Händen abzutragen. Nach kurzem Graben bestätigten sich seine Befürchtungen. Als er Blattwerk und Erde davon abtrug, lag ein Arm mit einer kreideweißen, bläulich marmorierten Hand vor ihm. Begay konnte einen Ausruf des Entsetzens nicht unterdrücken. Fast panisch sprang er zurück. Schon seit frühester Kindheit hatte man ihm beigebracht, dass der Kontakt mit dem Tod oder die Berührung eines Toten Unheil bedeuteten. Der chindi, der böse Geist des Toten, konnte ihn verfolgen und er würde erst durch eine Reinigungszeremonie wieder zur Normalität und Gesundheit zurückfinden.

      Begay atmete tief ein und beugte sich wieder über den Toten. Methodisch arbeitete er sich an dem Arm entlang weiter vor. Zwischendurch stand er ab und zu auf und ging ein Stück von dem Grab weg, um frische Luft einzuatmen, bevor er sich mit angehaltenem Atem wieder an die Arbeit machte. Die Leiche lag hier seit etwa einer Woche und es war heiß gewesen. Über dem karierten Hemd tauchte ein mit Erde besprenkelter, aufgedunsener Kopf auf, der mit rotblondem, lockigem Haar bedeckt war. Kein Zweifel: Das war Timmons! Begay nahm eine Bewegung wahr und als er auf die blutverkrustete Stelle am Kopf sah, von der sie ausging, bemerkte er, dass sich Würmer darin wanden.

      Vor Schreck atmete er aus und sog sogleich die Luft reflexartig wieder ein. Der widerliche Verwesungsgestank schnitt ihm in die Lungen. Er sprang abermals auf und lief einige Schritte von der Leiche weg. Er drehte sich um und sah zu der Stelle hin. Dort lag Timmons mit eingeschlagenem Schädel. Ein lauer Wind spielte mit den Blättern und rauschte leise in den Zweigen. Ein friedliches Bild, zu dem der tote Mann, den Begay gefunden hatte, so gar nicht passte.

      Begay hatte seine Aufgabe erfüllt und den Vermissten gefunden. Um die Bergung konnten sich jetzt andere kümmern. Er nahm sein Handy heraus und informierte Sheriff Lawson in Safford. Aber Begay war viel zu sehr Polizist, um jetzt aufzuhören und nach Hause zu fahren. Und er war viel zu sehr Navaho-Polizist, um nicht zu wissen, dass Lawson mit seinem Stab und der sogenannten Spurensuche hier bald alle brauchbaren Spuren zertrampelt haben würden. Timmons war ermordet und verscharrt worden, das war klar.

      Begay machte sich daran, nach den Spuren seiner Mörder zu suchen. Es handelte sich auf jeden Fall um mehrere Personen, wahrscheinlich drei oder vier, so deutliche Spuren hatten sie hinterlassen. Dies waren sicher auch keine traditionellen Apachen, die wussten, wie man sich in der Wildnis bewegte ohne viel Spuren zurückzulassen. Es konnten natürlich aber sehr wohl „moderne“ Indianer gewesen sein oder sogar Stadtindianer, denen der Bau der Teleskopanlagen und die Straße, die dafür gebaut wurde, nicht passten. Viele junge Indianer nutzten die Chance, wenn wieder ein indianisches Heiligtum oder ein Friedhof zerstört wurde, sich in die erste Reihe zu stellen und ihre Frustration über die verhasste weiße Gesellschaft auszuleben.

      Zwischen einzelnen kleineren Ästen und Laubbäumen, die auf dem Waldboden wuchsen, hindurch zwischen großen Tannen und Fichten bahnte Begay sich seinen Weg hangaufwärts. Die Mörder waren nicht zurückgegangen, von wo sie gekommen waren und wo sie auf Timmons Spuren gestoßen waren, sondern gingen zielsicher den Berg hinauf. Offensichtlich hatten sie eine sehr genaue Karte und wussten, dass die Straße in dieser Richtung in weniger als einer Meile Entfernung in einer Kehre sehr nahe kam. Begay wusste, dass Weißen, ebenso wie Stadtindianern, die Orientierung in wegloser Wildnis sehr schwer fiel und er nahm an, dass sie ein technisches Hilfsmittel gehabt haben mussten, um so genau zu wissen, in welche Richtung sie gehen sollten. Damit wusste Begay schon etwas über die Mörder. Sie waren offenbar mit Karte und Kompass gut ausgerüstet und waren zielgerichtet vorgegangen. Begay erreichte die Kehre an der eingezeichneten Stelle und konnte hier mit etwas Mühe auch noch feststellen, in welche Richtung die Gruppe sich von hier aus gewandt hatte.

      Nachdem er der Straße etwa eine Stunde lang bergab gefolgt war, entdeckte er eine Stelle, an der offensichtlich zwei Autos geparkt worden waren, die die Mörder dort abgestellt hatten. Um die Autos von der Straße zu bekommen, hatten sie die Wagen weit in das Buschwerk fahren müssen und dabei weitere Spuren hinterlassen. An den Ausmaßen der Verwüstung konnte Begay ablesen, dass mindestens einer der Wagen ein Pick-up gewesen sein musste. Das engte den Kreis der Verdächtigen allerdings nicht sehr ein, da Pick-ups in dieser Gegend des Landes weitverbreitete Gefährte waren. Außerdem fand Begay winzige dunkelblaue Lackpartikel an den dornigen Zweigen, so dass damit die Farbe eines der Fahrzeuge geklärt war.

      Auf dem Weg zurück telefonierte Begay noch einmal mit Lawson, der inzwischen mit seinem Tross auf dem Weg zum Mount Graham war, und teilte ihm mit, dass er bereits etwas über die Täter in Erfahrung gebracht hatte. Sie verabredeten sich für den Abend in Lawsons Büro.

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