Wenn Du aber sagst, liebster Bruder, Du könnest Dich nicht mit Lesung beschäftigen, weil Du von Trübsal niedergedrückt seiest, so scheint mir Dieß keine passende Entschuldigung zu sein, da Paulus spricht: „Alles, was geschrieben steht, ist zu unsrer Belehrung geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost aus der Schrift Hoffnung haben.“144Wenn also die hl. Schrift zu unserm Troste da ist, so müssen wir um so mehr lesen, je mehr wir uns von der Bürde der Trübsal ermüdet finden. Kann man sich aber unbedingt auf jenen Ausspruch verlassen, den Ihr in Euerm Brief anführt, daß nämlich der Herr gesagt habe: „Wenn sie euch aber überliefern, so denkt nicht, wie oder was ihr reden sollet; denn es wird euch gegeben werden in jener Stunde, was ihr reden sollet. Dennn nicht ihr seid es, die da reden, sondern der Geist eures Vaters ist es, der in euch redet;„145 — dann sind uns die hl. Schriften umsonst gegeben, da wir, vom Geiste erfüllt, äusserer Worte nicht bedürfen. Aber etwas Anderes, liebster Bruder, ist es, worauf wir in der Zeit der Verfolgung in unsrer Bedrängniß ohne Bedenken rechnen dürfen, und etwas Anderes, was wir im Kirchenfrieden thun sollen. Denn jetzt müssen wir in diesem Geiste der Lesung obliegen und so in Empfang nehmen, was wir, wenn der Fall für uns eintrifft, auch durch Leiden zu bekräftigen haben.
Sehr gefreut hat mich hingegen in Eurem Brief, daß Ihr Fleiß auf die Ermahnung Anderer zu verwenden erkläret. Denn daraus ersehe ich, daß Ihr Eure Standespflicht getreu erfüllet, wenn Ihr auch Andere zu Euren Schöpfer zu führen bemüht seid. Wenn Ihr aber an derselben Stelle saget, daß Ihr mir nicht ähnlich seiet, so habt Ihr mir gleich nach der Freude wieder Betrübniß gemacht, weil ich ein Lob für Spott halte, dessen Wahrhaftigkeit ich durchaus nicht einsehen kann. Ich danke aber dem allmächtigen Gott, daß durch Euch die Ketzer wieder zur hl. Kirche zurückgerufen werden. Aber Ihr müßt auch dafür sorgen, daß die im Schooße der hl.. Kirche Befindlichen so leben, daß sie nicht durch ihre schlechten Sitten ihre Gegner werden. Denn wenn sie nicht dem Verlangen nach himmlischen Dingen, sondern irdischen Begierden und Lüsten sich hingeben , so werden unächte Kinder im Schooße der Kirche herangezogen.
Wenn Ihr aber zugestehet, daß Ihr Euch in Betreff der kirchlichen Ordnung in keiner Unwissenheit befinden könnet, so bin ich hievon hinsichtlich Eurer vollkommen überzeugt und eben deßhalb sehr betrübt; denn da ihr die rechte Ordnung kennet, so habt Ihr, was das Schlimmste ist, mit Wissen gegen mich gefehlt. Nachdem nämlich in der Sache des Archidiakons Honoratus meine und meines Vorgängers Zuschriften an Ew. Herrlichkeit gelangt waren, habt Ihr das Urtheil von uns Beiden verachtet und den erwähnten Honoratus seiner Stelle enthoben.146Hätte Dieß einer von den vier Patriarchen gethan, so hätte man eine so große Widerpenstigkeit nicht ohne das größte Ärgernis übersehen können.147 Nachdem jedoch Eure Brüderlichkeit wieder zur Ordnung zurückgekehrt ist, so gedenke ich nicht mehr der mir und meinem Vorfahrer zugefügten Unbill.
Wenn Ihr aber behauptet, auch in unsrer Zeit müsse man aufrecht erhalten, was von meinen Vorgängern überliefert und eingehalten worben sei, — so sei es ferne von mir, gegen die Verordnungen der Vorfahren an meinen Mitbischöfen in den Einzelkirchen zu verstoßen; denn ich würde mir selbst eine Unbill zufügen, wenn ich die Rechte meiner Brüder verletzen wollte. Wenn also Eure Gesandten ankommen, so werde ich schon sehen, was zwischen Euch und dem erwähnten Archidiakon Honoratus Rechtens ist, und Iht werbet schon aus meiner Behandlung der Sache ersehen, daß Ihr, wenn die Gerechtigkeit auf Eurer Seite ist, keine Benachtheiligung zu erleiden haben werdet, wie Ihr auch nie eine solche erlitten habt. Wenn aber dem mehrerwähnten Archidiakon Honoratus die Gerechtigkeit bei seinen Aussagen zur Seite steht, so wird seine Freisprechung beweisen, daß ich als Richter keine Rücksicht auf mir sonst bekannte Personen nehme. Uber die Excommunikationssentenz, welche jedoch in bedingter Weise schon das zweite oder dritte Mal, so zu sagen aus Nothwendigkeit angedroht ist, beklagt sich Ew. Herrlichkeit mit Unrecht, da der Apostel Paulus spricht: „Seid bereit jeden Ungehorsam zu bestrafen.“ 148Doch, fort mit dieser Sache, kehren Wir zu Unsrer eigenen zurück! Denn wenn Herr Natalis recht handelt, so kann ich nicht anders, als ihm Freund sein, da ich wohl weiß, wie sehr ich ihm für seine Zuneigung verpflichtet bin.
X. (54.) Seinem heiligsten Herrn dem Papste Gregorius der Bischof Licinianus.
X. Gesammtausgabe 54.
Seinem heiligsten Herrn dem Papste Gregorius der Bischof Licinianus.149
Inhalt: Lob der Pastoralregel. Bedenken hinsichtlich zu großer Forderungen an die Ordinanten; Bitte um Zusendung der Erklärung des Job.
Das Regelbuch, 150 welches Deine Heiligkeit herausgegeben, ist uns durch Gottes Gnade zugekommen, und wir lesen es mit größter Freude, weil wir sehen, daß geistige Regeln in demselben enthalten sind. Wer sollte nicht gerne in dem Buche lesen, in welchem er eine Seelenarznei bei beständiger Erwägung findet, welches ihn die hinfälligen, beständig wechselnden irdischen Dinge verachten lehrt und sein Geistes Auge zur ewigen Wohnung erhebt? Dieses Dein Buch ist eine Fundgrube aller Tugenden. Da befestigt die Klugheit die Scheidegrenze zwischen Gutem und Bösem; die Gerechtigkeit gibt Jedem das Seine, die Seele wird Gott, der Leib der Seele unterthan. Da findet sich auch die Stärke, die sich bei Glück unb Unglück gleich bleibt, durch Widerwärtigkeit nicht gebeugt, durch Glück nicht stolz gemacht wird. Da bricht die Mäßigkeit die Gewalt der Wollust und setzt mit Bescheidenheit den Lüsten ein Ziel. Hier fassest Du Alles zusammen, was zur Theilnahme am ewigen Leben gehört, und schreibst nicht nur eine Lebensregel für die Hirten, sondern gibst auch Jenen, die kein Vorsteheramt haben, eine solche. Die Hirten ersehen daraus nach Deiner Eintbeilung in vier Abschnitten, wie beschaffen sie dieses Amt antreten, welches Leben sie nach der Übernahme desselben führen, wie und was sie lehren und was sie thun sollen, damit sie bei so hoher priesterlicher Stellung nicht in Selbsterhebung verfallen. Mit Deiner vortrefflichen Lehre stimmen überein die alten heiligen Väter, die Lehrer und Vertheidiger der Kirche, Hilarius, Ambrosius, Augustinus, Gregor von Nazianz. Diese alle geben Dir Zeugniß, wie es die Propheten den Aposteln gegeben haben. So sagt der hl. Hilarius bei Erklärung der Worte des apostolischen Völkerlehrers: „Selbstbeherrschung und sittlichen Wandel bezeichnet er (Paulus) nur insofern als tauglich zur Priesterwürde, als bei den übrigen Tugenden die zur Predigt und Vertheidigung des Glaubens nothwendige Wissenschaft nicht felht. Denn Das macht noch keinen guten und nutzbringenden Priester aus, daß man entweder nur der Lehre entsprechend handle oder wissenschaftlich predige. Sondern auch wer für sich schuldlos ist, genügt nur dann, wenn er auch gelehrt ist, und wer gelehrt ist, nur dann, wenn er auch nach seiner Lehre lebt.“151 Auch der hl. Augustinus stimmt Dir bei, wenn er sagt: „Bei den Werken in diesem Leben darf man nicht Ehre oder Macht lieben; denn Alles ist eitel unter der Sonne, sondern nur jenes Werk, das mit Ehre oder Macht geschieht, wird gut und nutzbringend verrichtet, welches zum gottgewollten Heil der Untergebenen gereicht …. Deßhalb sagt der Apostel: „Wer ein Bischofsamt verlangt, der verlangt ein gutes Werk,” Er wollte erklären, was ein Bischofsamt sei, — es ist nämlich der Name eines Werkes, nicht ein Ehrenname. Das griechische und das aus dieser Sprache abgeleitete Wort bedeutet, daß der Vorgesetzte seine Untergebenen überschaut d. h. für sie Sorge trägt. Bischofsamt heißt also Aufsicht; so können wir es wenigstens, wenn wir wollen, in unsre Sprache übertragen. Daraus möge man ersehen, daß Derjenige kein Bischof sei, der nur den Vorrang im Auge hat, nicht aber den Nutzen der Heerde. Denn von dem Streben nach Erkenntniß der Wahrheit wird Niemand abgehalten, da dasselbe nur eine löbliche Zeitverwendung in sich schließt, immer aber ist es ungeziemend, ein hohes Amt, welches zur Leitung des Volkes unumgänglich nothwendig ist, anzustreben, selbst wenn es dann auf geziemende Art eingenommen und verwaltet würde. Deßhalb verlangt die Liebe nach heiliger Ruhe, um sich der Erforschung und Vertheidigung der Wahrheit widmen zu können. Wird aber das Bischofsamt übertragen, so erfordert